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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Königin war Palmerston gewiß nicht beliebt. Nichtsdestoweniger mußte sie
ihn 1855, nur drei Jahre später, und ein zweitesmal 1859 als Premier¬
minister die Zügel der Regierung ergreifen sehen. Als Premierminister ist
Palmerston gestorben.

Anders als Palmerston verfuhr Disraeli. Seine orientalische Klugheit
scheint ihn besonders befähigt zu haben, auf die Eigenheiten der Königin ein-
zugehn und sie persönlich für seine Pläne zu gewinnen. Ohne Zweifel war
Disraeli der weisere von beiden; denn wenn auch das Königtum nicht stark
genug ist, die feste Politik eines vom Parlament gestützten Ministers zu
hintertreiben, so ist es doch besonders gegenüber auswärtigen Höfen eine zu
wertvolle Stütze, als daß ein einsichtsvoller Mann es nicht lieber an seiner
Seite sehen sollte. Der Schwerpunkt der Macht wird dadurch nicht verschoben.
Die Politik, die befolgt wird, ist und muß die des Ministers sein, der nicht
der Krone, sondern dem Parlament verantwortlich ist.

Wenn der König mit der vom Minister eingeschlaguen Politik nicht ein¬
verstanden ist, so steht es ihm zu, den Minister oder das ganze Ministerium
zu entlassen und Männer zu berufen, die eine andre Politik zu unterstützen
bereit sind. Es ist aber fraglich, ob er Mitglieder des Parlaments bereit
finden würde, die Aufgabe und damit auch die Verantwortlichkeit für die Ent¬
lassung ihrer Vorgänger zu übernehmen, es sei denn, daß die Stimmung des
Landes dem neuen Kabinett Erfolg an der Wahlurne verspräche. Es ließe
sich denken, daß sich der König und der Minister des Auswärtigen auf eine
auswärtige Politik einigten, die mit den Ansichten der Mehrheitspartei nicht
übereinstimmte. Aber auch dann müßten sie sicher sein, in kurzer Zeit die
öffentliche Meinung für sich zu haben. Dasselbe Vertrauen auf ein Ein¬
schwenken der öffentlichen Meinung müßte eine fremde Macht haben, die bei
der Verfolgung dieser Politik zu Abmachungen und Verpflichtungen bewogen
werden sollte. Sonst hinge alles in der Luft. Denn das, was jeglicher aus¬
wärtigen Politik erst Gewicht giebt, das fehlt dem britischen Könige, die Ver¬
fügung über die Streitkrüfte des Landes. Eine Politik, wie sie in den Jahren
von 1861 bis 1866 von König Wilhelm I. von Preußen und Bismarck durch¬
geführt wurde, ist in Großbritannien unter den gegenwärtigen Verhältnissen
völlig undenkbar.

In Deutschland gehört der Bestand des Heeres zur Reichsverfassung. In
Großbritannien ist sein bloßes Dasein von der alljährlichen Zustimmung des
Parlaments abhängig. Die Mannszucht, die den Eigenwillen beschränkt und
den Soldaten zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet, hebt das Heer aus der
Masse der Bevölkerung heraus. Ohne Mannszucht ist ein Heer unmöglich.
Aber das Meutereigesetz, auf dem die Mannszucht des britischen Heeres beruht,
muß seit 1688 alljährlich erneuert werdeu. Man glaubte dadurch am besten
allen Übergriffen der Krone vorzubeugen. Wenn also der König eine dem
Parlament nicht genehme Politik versuchen wollte, dann brauchte dieses bloß
die Erneuerung des Gesetzes zu versagen und dem Heere damit die gesetzliche
Grundlage zu entzieh". Dann könnte ein Gemeiner seinen Obersten vor der


Königin war Palmerston gewiß nicht beliebt. Nichtsdestoweniger mußte sie
ihn 1855, nur drei Jahre später, und ein zweitesmal 1859 als Premier¬
minister die Zügel der Regierung ergreifen sehen. Als Premierminister ist
Palmerston gestorben.

Anders als Palmerston verfuhr Disraeli. Seine orientalische Klugheit
scheint ihn besonders befähigt zu haben, auf die Eigenheiten der Königin ein-
zugehn und sie persönlich für seine Pläne zu gewinnen. Ohne Zweifel war
Disraeli der weisere von beiden; denn wenn auch das Königtum nicht stark
genug ist, die feste Politik eines vom Parlament gestützten Ministers zu
hintertreiben, so ist es doch besonders gegenüber auswärtigen Höfen eine zu
wertvolle Stütze, als daß ein einsichtsvoller Mann es nicht lieber an seiner
Seite sehen sollte. Der Schwerpunkt der Macht wird dadurch nicht verschoben.
Die Politik, die befolgt wird, ist und muß die des Ministers sein, der nicht
der Krone, sondern dem Parlament verantwortlich ist.

Wenn der König mit der vom Minister eingeschlaguen Politik nicht ein¬
verstanden ist, so steht es ihm zu, den Minister oder das ganze Ministerium
zu entlassen und Männer zu berufen, die eine andre Politik zu unterstützen
bereit sind. Es ist aber fraglich, ob er Mitglieder des Parlaments bereit
finden würde, die Aufgabe und damit auch die Verantwortlichkeit für die Ent¬
lassung ihrer Vorgänger zu übernehmen, es sei denn, daß die Stimmung des
Landes dem neuen Kabinett Erfolg an der Wahlurne verspräche. Es ließe
sich denken, daß sich der König und der Minister des Auswärtigen auf eine
auswärtige Politik einigten, die mit den Ansichten der Mehrheitspartei nicht
übereinstimmte. Aber auch dann müßten sie sicher sein, in kurzer Zeit die
öffentliche Meinung für sich zu haben. Dasselbe Vertrauen auf ein Ein¬
schwenken der öffentlichen Meinung müßte eine fremde Macht haben, die bei
der Verfolgung dieser Politik zu Abmachungen und Verpflichtungen bewogen
werden sollte. Sonst hinge alles in der Luft. Denn das, was jeglicher aus¬
wärtigen Politik erst Gewicht giebt, das fehlt dem britischen Könige, die Ver¬
fügung über die Streitkrüfte des Landes. Eine Politik, wie sie in den Jahren
von 1861 bis 1866 von König Wilhelm I. von Preußen und Bismarck durch¬
geführt wurde, ist in Großbritannien unter den gegenwärtigen Verhältnissen
völlig undenkbar.

In Deutschland gehört der Bestand des Heeres zur Reichsverfassung. In
Großbritannien ist sein bloßes Dasein von der alljährlichen Zustimmung des
Parlaments abhängig. Die Mannszucht, die den Eigenwillen beschränkt und
den Soldaten zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet, hebt das Heer aus der
Masse der Bevölkerung heraus. Ohne Mannszucht ist ein Heer unmöglich.
Aber das Meutereigesetz, auf dem die Mannszucht des britischen Heeres beruht,
muß seit 1688 alljährlich erneuert werdeu. Man glaubte dadurch am besten
allen Übergriffen der Krone vorzubeugen. Wenn also der König eine dem
Parlament nicht genehme Politik versuchen wollte, dann brauchte dieses bloß
die Erneuerung des Gesetzes zu versagen und dem Heere damit die gesetzliche
Grundlage zu entzieh«. Dann könnte ein Gemeiner seinen Obersten vor der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/536>, abgerufen am 01.09.2024.