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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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die Hände einer Partei des Parlaments übergegangen, daß der König nicht
einmal einer Sitzung des Kabinetts beiwohnen darf, also jedes Einflusses auf
die Beratungen bar ist. Der geheime Rat des Königreichs kann nur unter
dem Vorsitz des Königs tagen, im Kabinett, einem Parteiansschnß .hat der
König nichts zu suchen. Das Kabinett beschließt ohne ihn, und er hat nichts
zu thun, als die Beschlüsse gut zu heißen, die der Welt dann als seinem
Willen entsprungen vorgeführt werden. Dafür hat er den Vorzug der Un¬
Verantwortlichkeit, vermöge deren die Minister für alle Regierungshandlungen
einzutreten haben.

In allen innern Verwaltungswegen ist der König thatsächlich nur ein
Schaustück. Das schönste Recht der Könige, das Recht der Gnade, wird vom
Minister des Innern ausgeübt.") Der König braucht kein Todesurteil zu
unterzeichnen, der Minister allein prüft den Fall und entscheidet, ob das Gesetz
freien Lauf haben oder Gnade walten soll.

Am meisten Spielraum würde dem König in der Leitung der auswärtigen
Angelegenheiten bleiben, die ihrer Natur nach öffentlicher parlamentarischer Be¬
handlung erst unterliegen können, wenn feste Thatsachen vorliegen. Aber auch
hier ist die Macht des Königtums auf ein verhältnismäßig geringes Maß zu¬
sammengeschrumpft. Wilhelm III. war der letzte König, der selbst das Aus¬
wärtige leitete, Wilhelm IV. hat sich noch 1835 geweigert, die vorgeschlagne Er¬
nennung des ersten Lords Durham zum Botschafter in Se. Petersburg zu
vollziehn. Seitdem liegt die auswärtige Politik ganz in den Händen des Staats¬
sekretärs, ohne dessen Zugegensein der Monarch mit Vertretern fremder Mächte
nicht verkehrt. In andern Ländern haben Botschafter und Gesandte häufige
Unterredungen mit dem Fürsten, bei dem sie beglaubigt sind, in Großbritannien
dürfen sie sich nur an den Minister wenden.

Plllmerston als Minister des Auswärtigen verhehlte seine Geringschätzung
der monarchischen Spitze so wenig, daß er oft unterließ, die Königin von
seinen Schritten vorher zu verständigen. Die Königin war völlig im Recht,
wenn sie sich über solche Rücksichtslosigkeit bei Lord John Russell, dem
Premierminister, beklagte. Palmerston steckte seinen Rüssel ein, doch ohne sich
zu bessern, und setzte seiner Eigenmächtigkeit die Krone auf, als er dem Grafen
Walewski seine Billigung des napoleonischen Staatsstreichs aussprach, dem
gemessenen Befehle der Königin zuwider. Der Ungehorsam gegen die Königin
würde ihm nicht viel geschadet haben, da das britische Volk in allem, was
vom Hofe ausging, die Hand des Prinzen Albert zu erkennen glaubte; was
Palmerston zum Rücktritt zwang, war der Umstand, daß das ganze übrige
Kabinett, Russell an der Spitze, sür eine abwartende neutrale Haltung war,
und seine voreilige Anerkennung des Dezembermanns mißbilligte. Bei der



*) Um der jungen Königin Viktoria das Peinliche eines Todesurteils zu ersparen, wurde
bald nach ihrem Regierungsantritt bestimmt, daß in Zukunft ein Bericht an sie nicht mehr nötig
sein sollte. Übersehen hatte man dabei, daß englische Gesetze auf der Insel Man keine Geltung
haben. Im Jahre 1872 kam die Königin in die Lage, ein in Man gefälltes Todesurteil be¬
stätigen zu müssen.

die Hände einer Partei des Parlaments übergegangen, daß der König nicht
einmal einer Sitzung des Kabinetts beiwohnen darf, also jedes Einflusses auf
die Beratungen bar ist. Der geheime Rat des Königreichs kann nur unter
dem Vorsitz des Königs tagen, im Kabinett, einem Parteiansschnß .hat der
König nichts zu suchen. Das Kabinett beschließt ohne ihn, und er hat nichts
zu thun, als die Beschlüsse gut zu heißen, die der Welt dann als seinem
Willen entsprungen vorgeführt werden. Dafür hat er den Vorzug der Un¬
Verantwortlichkeit, vermöge deren die Minister für alle Regierungshandlungen
einzutreten haben.

In allen innern Verwaltungswegen ist der König thatsächlich nur ein
Schaustück. Das schönste Recht der Könige, das Recht der Gnade, wird vom
Minister des Innern ausgeübt.") Der König braucht kein Todesurteil zu
unterzeichnen, der Minister allein prüft den Fall und entscheidet, ob das Gesetz
freien Lauf haben oder Gnade walten soll.

Am meisten Spielraum würde dem König in der Leitung der auswärtigen
Angelegenheiten bleiben, die ihrer Natur nach öffentlicher parlamentarischer Be¬
handlung erst unterliegen können, wenn feste Thatsachen vorliegen. Aber auch
hier ist die Macht des Königtums auf ein verhältnismäßig geringes Maß zu¬
sammengeschrumpft. Wilhelm III. war der letzte König, der selbst das Aus¬
wärtige leitete, Wilhelm IV. hat sich noch 1835 geweigert, die vorgeschlagne Er¬
nennung des ersten Lords Durham zum Botschafter in Se. Petersburg zu
vollziehn. Seitdem liegt die auswärtige Politik ganz in den Händen des Staats¬
sekretärs, ohne dessen Zugegensein der Monarch mit Vertretern fremder Mächte
nicht verkehrt. In andern Ländern haben Botschafter und Gesandte häufige
Unterredungen mit dem Fürsten, bei dem sie beglaubigt sind, in Großbritannien
dürfen sie sich nur an den Minister wenden.

Plllmerston als Minister des Auswärtigen verhehlte seine Geringschätzung
der monarchischen Spitze so wenig, daß er oft unterließ, die Königin von
seinen Schritten vorher zu verständigen. Die Königin war völlig im Recht,
wenn sie sich über solche Rücksichtslosigkeit bei Lord John Russell, dem
Premierminister, beklagte. Palmerston steckte seinen Rüssel ein, doch ohne sich
zu bessern, und setzte seiner Eigenmächtigkeit die Krone auf, als er dem Grafen
Walewski seine Billigung des napoleonischen Staatsstreichs aussprach, dem
gemessenen Befehle der Königin zuwider. Der Ungehorsam gegen die Königin
würde ihm nicht viel geschadet haben, da das britische Volk in allem, was
vom Hofe ausging, die Hand des Prinzen Albert zu erkennen glaubte; was
Palmerston zum Rücktritt zwang, war der Umstand, daß das ganze übrige
Kabinett, Russell an der Spitze, sür eine abwartende neutrale Haltung war,
und seine voreilige Anerkennung des Dezembermanns mißbilligte. Bei der



*) Um der jungen Königin Viktoria das Peinliche eines Todesurteils zu ersparen, wurde
bald nach ihrem Regierungsantritt bestimmt, daß in Zukunft ein Bericht an sie nicht mehr nötig
sein sollte. Übersehen hatte man dabei, daß englische Gesetze auf der Insel Man keine Geltung
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stätigen zu müssen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/535>, abgerufen am 01.09.2024.