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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Vas englische Aömgtnm

und Kapitalismus, Der Herzog von Marlborough hat alljährlich dem König
eine französische Lilienflagge für den Besitz von Blenheim zu entrichten, einer
ähnlichen Leistung unterliegt der Herzog von Wellington für das Lehn von
Strathfieldsaye, ein Zeichen, wie sehr die feudale Anschauung noch in die
Neuzeit hinüberreicht. Solcherlei feudale Verpflichtungen, in denen sich die
persönliche Gefolgschaft des LehnsträgerS gegen den Lehnsherrn ausspricht,
giebt es noch viele. Doch bei diesen Zeichen der feudalen Form des König¬
tums hat es sein Bewenden. Zivilliste und Staatsbudget sind mit wirklichem
Feudalsystem unvereinbar.

Die Aufgaben des Staatsoberhaupts sind sich in alleu Ländern, welche
Verfassung sie auch haben mögen, gleich. Der Präsident einer Republik hat
den Staat ebenso zu vertreten wie ein absoluter Monarch. Unterschiede
finden sich mir in dem Maße des Gewichts, das vom Staatsoberhaupte selbst in
dieser Vertretung ausgeübt wird, und darin steht der König von England
sogar hinter dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Cleveland konnte aus
persönlicher Machtvollkommenheit in der Venezuelafrnge dem Kongresse eine
Botschaft senden, die beinahe England und die Vereinigten Staaten zum
Kriege getrieben hätte. Ein König von England kann sich ähnliches nicht er¬
lauben.

Der Form nach ist der König von England im Besitz einer Machtfülle
wie nur irgend ein Herrscher, wie der despotischste seiner Vorgänger. Als
alter feudaler Lehnsherr gilt er als der einzige wirkliche Eigentümer des
ganzen Grund und Bodens. Nach außen vertritt er den Staat, sendet und
empfängt Gesandte, schließt Verträge und Bündnisse, macht Krieg und Frieden.
Er ist der oberste Richter, ist der Quell aller Ehren, verleiht Orden und
Standeserhöhungen. In seiner Hand liegt die Leitung des Handelsverkehrs,
die Bestimmung von Maß und Gewicht, die Münzprägung und das gesamte
Geldwesen. Er ist der Oberbefehlshaber aller Streitkräfte zu Wasser und zu
Lande, er allein kann Heere und Flotten ausrüsten und Festungen bauen.
Was geistliche Dinge angeht, so ist er das Haupt der englischen Kirche. Die
Einberufung, Vertagung und Auflösung des Parlaments liegt in seinem persön¬
lichen Ermessen, und wenn das Parlament Beschlüsse faßt, die ihm nicht
genehm sind, so kann er sie verwerfen.

So stellt sich das englische Königtum in der Theorie dar, aber in der
Praxis bleibt davon nicht viel übrig. Bis zur Vertreibung der Stuarts lag
die ausführende Gewalt des Staats lediglich in der Hand des Königs, der
in der Wahl seiner Ratgeber keinen Beschränkungen unterlag. Das Parlament
mußte sich gefallen lassen, wen der König zu berufen für gut fand. Der ge¬
heime Rat, der an der Spitze der Regierung stand, war gebildet nach dem
Gefallen des Königs, nicht des Parlaments. War dieses mit der Regierung
unzufrieden, so konnte es die Bewilligung von Geldern von der Abstellung
der Mißbräuche abhängig machen, oder auch, wie im Falle des Carl of Strafford,
dem Minister den Prozeß machen. Das Parlament vermochte also höchstens
das Werkzeug einer ihm nicht genehmen Politik zu strafen, nachdem das lin-


Vas englische Aömgtnm

und Kapitalismus, Der Herzog von Marlborough hat alljährlich dem König
eine französische Lilienflagge für den Besitz von Blenheim zu entrichten, einer
ähnlichen Leistung unterliegt der Herzog von Wellington für das Lehn von
Strathfieldsaye, ein Zeichen, wie sehr die feudale Anschauung noch in die
Neuzeit hinüberreicht. Solcherlei feudale Verpflichtungen, in denen sich die
persönliche Gefolgschaft des LehnsträgerS gegen den Lehnsherrn ausspricht,
giebt es noch viele. Doch bei diesen Zeichen der feudalen Form des König¬
tums hat es sein Bewenden. Zivilliste und Staatsbudget sind mit wirklichem
Feudalsystem unvereinbar.

Die Aufgaben des Staatsoberhaupts sind sich in alleu Ländern, welche
Verfassung sie auch haben mögen, gleich. Der Präsident einer Republik hat
den Staat ebenso zu vertreten wie ein absoluter Monarch. Unterschiede
finden sich mir in dem Maße des Gewichts, das vom Staatsoberhaupte selbst in
dieser Vertretung ausgeübt wird, und darin steht der König von England
sogar hinter dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Cleveland konnte aus
persönlicher Machtvollkommenheit in der Venezuelafrnge dem Kongresse eine
Botschaft senden, die beinahe England und die Vereinigten Staaten zum
Kriege getrieben hätte. Ein König von England kann sich ähnliches nicht er¬
lauben.

Der Form nach ist der König von England im Besitz einer Machtfülle
wie nur irgend ein Herrscher, wie der despotischste seiner Vorgänger. Als
alter feudaler Lehnsherr gilt er als der einzige wirkliche Eigentümer des
ganzen Grund und Bodens. Nach außen vertritt er den Staat, sendet und
empfängt Gesandte, schließt Verträge und Bündnisse, macht Krieg und Frieden.
Er ist der oberste Richter, ist der Quell aller Ehren, verleiht Orden und
Standeserhöhungen. In seiner Hand liegt die Leitung des Handelsverkehrs,
die Bestimmung von Maß und Gewicht, die Münzprägung und das gesamte
Geldwesen. Er ist der Oberbefehlshaber aller Streitkräfte zu Wasser und zu
Lande, er allein kann Heere und Flotten ausrüsten und Festungen bauen.
Was geistliche Dinge angeht, so ist er das Haupt der englischen Kirche. Die
Einberufung, Vertagung und Auflösung des Parlaments liegt in seinem persön¬
lichen Ermessen, und wenn das Parlament Beschlüsse faßt, die ihm nicht
genehm sind, so kann er sie verwerfen.

So stellt sich das englische Königtum in der Theorie dar, aber in der
Praxis bleibt davon nicht viel übrig. Bis zur Vertreibung der Stuarts lag
die ausführende Gewalt des Staats lediglich in der Hand des Königs, der
in der Wahl seiner Ratgeber keinen Beschränkungen unterlag. Das Parlament
mußte sich gefallen lassen, wen der König zu berufen für gut fand. Der ge¬
heime Rat, der an der Spitze der Regierung stand, war gebildet nach dem
Gefallen des Königs, nicht des Parlaments. War dieses mit der Regierung
unzufrieden, so konnte es die Bewilligung von Geldern von der Abstellung
der Mißbräuche abhängig machen, oder auch, wie im Falle des Carl of Strafford,
dem Minister den Prozeß machen. Das Parlament vermochte also höchstens
das Werkzeug einer ihm nicht genehmen Politik zu strafen, nachdem das lin-


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[0533] Vas englische Aömgtnm und Kapitalismus, Der Herzog von Marlborough hat alljährlich dem König eine französische Lilienflagge für den Besitz von Blenheim zu entrichten, einer ähnlichen Leistung unterliegt der Herzog von Wellington für das Lehn von Strathfieldsaye, ein Zeichen, wie sehr die feudale Anschauung noch in die Neuzeit hinüberreicht. Solcherlei feudale Verpflichtungen, in denen sich die persönliche Gefolgschaft des LehnsträgerS gegen den Lehnsherrn ausspricht, giebt es noch viele. Doch bei diesen Zeichen der feudalen Form des König¬ tums hat es sein Bewenden. Zivilliste und Staatsbudget sind mit wirklichem Feudalsystem unvereinbar. Die Aufgaben des Staatsoberhaupts sind sich in alleu Ländern, welche Verfassung sie auch haben mögen, gleich. Der Präsident einer Republik hat den Staat ebenso zu vertreten wie ein absoluter Monarch. Unterschiede finden sich mir in dem Maße des Gewichts, das vom Staatsoberhaupte selbst in dieser Vertretung ausgeübt wird, und darin steht der König von England sogar hinter dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Cleveland konnte aus persönlicher Machtvollkommenheit in der Venezuelafrnge dem Kongresse eine Botschaft senden, die beinahe England und die Vereinigten Staaten zum Kriege getrieben hätte. Ein König von England kann sich ähnliches nicht er¬ lauben. Der Form nach ist der König von England im Besitz einer Machtfülle wie nur irgend ein Herrscher, wie der despotischste seiner Vorgänger. Als alter feudaler Lehnsherr gilt er als der einzige wirkliche Eigentümer des ganzen Grund und Bodens. Nach außen vertritt er den Staat, sendet und empfängt Gesandte, schließt Verträge und Bündnisse, macht Krieg und Frieden. Er ist der oberste Richter, ist der Quell aller Ehren, verleiht Orden und Standeserhöhungen. In seiner Hand liegt die Leitung des Handelsverkehrs, die Bestimmung von Maß und Gewicht, die Münzprägung und das gesamte Geldwesen. Er ist der Oberbefehlshaber aller Streitkräfte zu Wasser und zu Lande, er allein kann Heere und Flotten ausrüsten und Festungen bauen. Was geistliche Dinge angeht, so ist er das Haupt der englischen Kirche. Die Einberufung, Vertagung und Auflösung des Parlaments liegt in seinem persön¬ lichen Ermessen, und wenn das Parlament Beschlüsse faßt, die ihm nicht genehm sind, so kann er sie verwerfen. So stellt sich das englische Königtum in der Theorie dar, aber in der Praxis bleibt davon nicht viel übrig. Bis zur Vertreibung der Stuarts lag die ausführende Gewalt des Staats lediglich in der Hand des Königs, der in der Wahl seiner Ratgeber keinen Beschränkungen unterlag. Das Parlament mußte sich gefallen lassen, wen der König zu berufen für gut fand. Der ge¬ heime Rat, der an der Spitze der Regierung stand, war gebildet nach dem Gefallen des Königs, nicht des Parlaments. War dieses mit der Regierung unzufrieden, so konnte es die Bewilligung von Geldern von der Abstellung der Mißbräuche abhängig machen, oder auch, wie im Falle des Carl of Strafford, dem Minister den Prozeß machen. Das Parlament vermochte also höchstens das Werkzeug einer ihm nicht genehmen Politik zu strafen, nachdem das lin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/533>, abgerufen am 01.09.2024.