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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Königtum

und Irland seiue Flotte meistbietend versteigern wollte, es giebt kein Gesetz,
das ihm das untersagt; doch er würde schwerlich einen Hannibal Fischer finden,
obwohl dem Buchstaben des Gesetzes nach die Flotte ihm gehört. Was ihn
hindert ist nichts, als daß er nicht kann. In einem Falle wie diesem liegt
das Nichtkönnen offen zu Tage, da könnte auch der russische Zar nicht. Aber
es giebt viele Fälle, wo frühere englische Könige konnten, während der gegen¬
wärtige nicht mehr kann, ohne daß ein Gesetz den Weg sperrte. Manches
unbestreitbare Recht des Königs ist durch Nichtgebrauch verfallen und durch
eine Gewohnheit abgelöst worden, der sich der König fügen muß, weil er nicht
mehr die Macht hat, sich ihr zu widersetzen.

Soweit das geschriebn? und verbriefte Recht in Frage kommt, ist jede
Parlamentsakte ein Teil der Verfassung. Zu Rechte bestehn alle, die nicht
förmlich durch eine andre widerrufen sind. Aber die meisten der ältern sind
auch veraltet und vergessen und werden nur einmal bei Gelegenheit von einem
findigen Rechtsanwalt ausgegraben. Andre, wie die NgHng. OliarkÄ, haben
bloß noch geschichtlichen Wert, da ihre Bestimmungen in spätere Gesetze über¬
gegangen sind. Die für die Stellung des Königtums wichtigsten Gesetze sind
die Lili ok KiZüw vom Jahre 1689 und die ^.ot ok Löttlömcmk von 1700.

Diese Gesetze bedeuten eine große Einschränkung der königlichen Macht,
am meisten das von 1700, das die Würde des zur Thronfolge berufnen wöl¬
fischen Hauses zu einem Königtum von Parlamentsgnaden macht. Die legi¬
time Geburt des Sohnes Jakobs II. konnte wirklich von keinem vernünftigen
Menschen bezweifelt werden, und auch nach seinein Aufschlüsse hatten die Nach¬
kommen der Herzogin Henriette von Orleans, der Tochter Karls 1., noch ein
besseres Recht als der Enkel der Kurfürstin von der Pfalz. Die welfische
Thronfolge war nur möglich durch ein Gesetz, das die katholischen Nachkommen
Jakobs I. ausschloß, und wenn das Parlament mit Umgehung dieser die
Weisen auf den Thron zu berufen das Recht hatte, so kann es sie oder ihre
koburgischen Nachfolger auch wieder absetzen.

Als die Königin Viktoria einmal an Lord John Russell die Frage richtete,
ob er wirklich, wie ihr berichtet worden sei, für den Unterthan das Recht be¬
anspruche, den Befehlen des Souveräns den Gehorsam zu verweigern, ant¬
wortete Lord John freimütig: "Gegenüber einem Souverän ans dem Hause
Hannover muß ich die Frage bejahen."

Ob nun die Gehorsamsverweigerung berechtigt ist oder nicht, der Wunsch,
es zu thun oder das regierende Hans mit einem andern zu tauschen, wird
nur von dem kleinen Häuflein sentimentaler Jakobiten geteilt. Das Parlament
kann sich jedenfalls nicht beklagen. Auch Georg III. herrschte nur mit seiner
Hilfe, und bisher ist es noch nicht in der Lage des Zauberlehrlings gewesen
und hat bereut, die Welsen gerufen zu haben.

So wichtig die oben genannten Gesetze von 1639 und 1700 sind, so sehr
sie den feudalen Charakter des alten Königtums berühren, die alten Formen
haben sie unangetastet gelassen. So ist das englische Königtum von heute
eine Mischung vou Allein und Neuem, von Mittelalter und Neuzeit, Feudalismus


Das englische Königtum

und Irland seiue Flotte meistbietend versteigern wollte, es giebt kein Gesetz,
das ihm das untersagt; doch er würde schwerlich einen Hannibal Fischer finden,
obwohl dem Buchstaben des Gesetzes nach die Flotte ihm gehört. Was ihn
hindert ist nichts, als daß er nicht kann. In einem Falle wie diesem liegt
das Nichtkönnen offen zu Tage, da könnte auch der russische Zar nicht. Aber
es giebt viele Fälle, wo frühere englische Könige konnten, während der gegen¬
wärtige nicht mehr kann, ohne daß ein Gesetz den Weg sperrte. Manches
unbestreitbare Recht des Königs ist durch Nichtgebrauch verfallen und durch
eine Gewohnheit abgelöst worden, der sich der König fügen muß, weil er nicht
mehr die Macht hat, sich ihr zu widersetzen.

Soweit das geschriebn? und verbriefte Recht in Frage kommt, ist jede
Parlamentsakte ein Teil der Verfassung. Zu Rechte bestehn alle, die nicht
förmlich durch eine andre widerrufen sind. Aber die meisten der ältern sind
auch veraltet und vergessen und werden nur einmal bei Gelegenheit von einem
findigen Rechtsanwalt ausgegraben. Andre, wie die NgHng. OliarkÄ, haben
bloß noch geschichtlichen Wert, da ihre Bestimmungen in spätere Gesetze über¬
gegangen sind. Die für die Stellung des Königtums wichtigsten Gesetze sind
die Lili ok KiZüw vom Jahre 1689 und die ^.ot ok Löttlömcmk von 1700.

Diese Gesetze bedeuten eine große Einschränkung der königlichen Macht,
am meisten das von 1700, das die Würde des zur Thronfolge berufnen wöl¬
fischen Hauses zu einem Königtum von Parlamentsgnaden macht. Die legi¬
time Geburt des Sohnes Jakobs II. konnte wirklich von keinem vernünftigen
Menschen bezweifelt werden, und auch nach seinein Aufschlüsse hatten die Nach¬
kommen der Herzogin Henriette von Orleans, der Tochter Karls 1., noch ein
besseres Recht als der Enkel der Kurfürstin von der Pfalz. Die welfische
Thronfolge war nur möglich durch ein Gesetz, das die katholischen Nachkommen
Jakobs I. ausschloß, und wenn das Parlament mit Umgehung dieser die
Weisen auf den Thron zu berufen das Recht hatte, so kann es sie oder ihre
koburgischen Nachfolger auch wieder absetzen.

Als die Königin Viktoria einmal an Lord John Russell die Frage richtete,
ob er wirklich, wie ihr berichtet worden sei, für den Unterthan das Recht be¬
anspruche, den Befehlen des Souveräns den Gehorsam zu verweigern, ant¬
wortete Lord John freimütig: „Gegenüber einem Souverän ans dem Hause
Hannover muß ich die Frage bejahen."

Ob nun die Gehorsamsverweigerung berechtigt ist oder nicht, der Wunsch,
es zu thun oder das regierende Hans mit einem andern zu tauschen, wird
nur von dem kleinen Häuflein sentimentaler Jakobiten geteilt. Das Parlament
kann sich jedenfalls nicht beklagen. Auch Georg III. herrschte nur mit seiner
Hilfe, und bisher ist es noch nicht in der Lage des Zauberlehrlings gewesen
und hat bereut, die Welsen gerufen zu haben.

So wichtig die oben genannten Gesetze von 1639 und 1700 sind, so sehr
sie den feudalen Charakter des alten Königtums berühren, die alten Formen
haben sie unangetastet gelassen. So ist das englische Königtum von heute
eine Mischung vou Allein und Neuem, von Mittelalter und Neuzeit, Feudalismus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/532>, abgerufen am 01.09.2024.