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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Aas englische Aönigtuin

zollern hatten die Welsen nichts. Auch die Erwerbung der englischen Krone
war nicht ihrem Verdienst oder ihrem innern Werte zuzuschreiben, sondern
lediglich dem Zufalle, daß sie protestantisch und leine andern protestantischen
Nachkommen Jakobs I. mehr vorhanden waren.

Gewiß war die Stellung Georgs I. auf dem englischen Throne schwierig.
Er verdankte die Krone lediglich den Whigs und mußte die Tories als ver
tappte Anhänger der Stuarts ansehen. Ans Dank hatten die Whigs deswegen
keinen Anspruch. Denn was sie an Georg fesselte, war nichts als die Furcht
vor einer Wiederkehr der Stuarts und einer damit verbundnen Erschütterung
des Kredits, dessen Festigkeit für sie Lebensfrage war. Es Hütte keines großen
Aufwandes von Verstand bedurft, einzusehen, daß in Wirklichkeit die Whig?
mehr vom Könige abhingen, als der König von den Whigs. Wilhelm III.
war ebensowenig volkstümlich gewesen wie Georg I., aber Wilhelm war jeder
Zoll ein König, der durch das Gewicht seiner Persönlichkeit die Leitung des
Staates in der Hand behielt, wahrend Georg nicht einmal versuchte, durch
Erlernung der englischen Sprache zu einem Verständnis seiner Unterthanen
zu gelangen, sodaß er mit Walpole in schlechten: Lateinisch Verkehre" mußte.
Allen Kreisen des britischen Volkes bis an sein Lebensende als Fremder gegen¬
überstehend, war es für den Welsen ein Ding der Unmöglichkeit, ein eignes
Urteil zu gewinnen, geschweige denn bestimmend in den Gang der Stnats-
mnschine einzugreifen. Zugegeben, daß er nur mit den Whigs regieren konnte,
die seine Thronbesteigung bewirkt hatten und sich der Unterstützung eines großen
Teiles des Landadels, der Kirche und der Handelswelt erfreuten, wäre es für
ihn richtig gewesen, wenigstens die Leitung dieser Partei zu übernehmen, anstatt
ihr bloß als Puppe zu dienen. Unter seinem Sohne war es nicht um ein
Haar anders. Georg II. stand England ebenso fremd gegenüber, als wäre er
nur Kurfürst von Hannover gewesen, und ein volles halbes Jahrhundert
regierten die Whigs, ohne daß sich der Träger der Krone geltend gemacht
hätte, um der zunehmenden Versumpfung zu wehren.

Als endlich in Georg III. ein Fürst den Thron bestieg, der in England
aufgewachsen war und die Sprache des Volks verstand, über das er herrschen
sollte, da hatte sich die Korruption so tief eingefressen, daß es eines Herkules
bedurft hätte, Besserung zu schassen. In seiner Art war Georg III. ein kluger
Mann. Er mochte sich wohl der Geschichte vom König Augias erinnern und
hielt es für geratner, sich nicht nach einem Herkules umzuschaun, sondern die
herrschende Verderbnis für seine Zwecke zu benutzen.

Pitt, der ältere, hatte es für seiner unwürdig gehalten, sich mit
Bestechung und Stimmenkauf zu befassen, und hatte dergleichen Schacher¬
geschäfte Newcastle überlassen. Georg III. aber schien einen besondern Genuß
in der Behandlung dieser schmutzigen Sachen zu finden. Er verfügte per¬
sönlich über die Belohnungen der ihm willfährigen Abgeordneten und ordnete
die Verfolgung ihm mißliebiger Personen an. Er erreichte zwar uicht immer,
was er wollte, er mußte am Ende selbst den Eintritt des ihm verhaßten John


Aas englische Aönigtuin

zollern hatten die Welsen nichts. Auch die Erwerbung der englischen Krone
war nicht ihrem Verdienst oder ihrem innern Werte zuzuschreiben, sondern
lediglich dem Zufalle, daß sie protestantisch und leine andern protestantischen
Nachkommen Jakobs I. mehr vorhanden waren.

Gewiß war die Stellung Georgs I. auf dem englischen Throne schwierig.
Er verdankte die Krone lediglich den Whigs und mußte die Tories als ver
tappte Anhänger der Stuarts ansehen. Ans Dank hatten die Whigs deswegen
keinen Anspruch. Denn was sie an Georg fesselte, war nichts als die Furcht
vor einer Wiederkehr der Stuarts und einer damit verbundnen Erschütterung
des Kredits, dessen Festigkeit für sie Lebensfrage war. Es Hütte keines großen
Aufwandes von Verstand bedurft, einzusehen, daß in Wirklichkeit die Whig?
mehr vom Könige abhingen, als der König von den Whigs. Wilhelm III.
war ebensowenig volkstümlich gewesen wie Georg I., aber Wilhelm war jeder
Zoll ein König, der durch das Gewicht seiner Persönlichkeit die Leitung des
Staates in der Hand behielt, wahrend Georg nicht einmal versuchte, durch
Erlernung der englischen Sprache zu einem Verständnis seiner Unterthanen
zu gelangen, sodaß er mit Walpole in schlechten: Lateinisch Verkehre» mußte.
Allen Kreisen des britischen Volkes bis an sein Lebensende als Fremder gegen¬
überstehend, war es für den Welsen ein Ding der Unmöglichkeit, ein eignes
Urteil zu gewinnen, geschweige denn bestimmend in den Gang der Stnats-
mnschine einzugreifen. Zugegeben, daß er nur mit den Whigs regieren konnte,
die seine Thronbesteigung bewirkt hatten und sich der Unterstützung eines großen
Teiles des Landadels, der Kirche und der Handelswelt erfreuten, wäre es für
ihn richtig gewesen, wenigstens die Leitung dieser Partei zu übernehmen, anstatt
ihr bloß als Puppe zu dienen. Unter seinem Sohne war es nicht um ein
Haar anders. Georg II. stand England ebenso fremd gegenüber, als wäre er
nur Kurfürst von Hannover gewesen, und ein volles halbes Jahrhundert
regierten die Whigs, ohne daß sich der Träger der Krone geltend gemacht
hätte, um der zunehmenden Versumpfung zu wehren.

Als endlich in Georg III. ein Fürst den Thron bestieg, der in England
aufgewachsen war und die Sprache des Volks verstand, über das er herrschen
sollte, da hatte sich die Korruption so tief eingefressen, daß es eines Herkules
bedurft hätte, Besserung zu schassen. In seiner Art war Georg III. ein kluger
Mann. Er mochte sich wohl der Geschichte vom König Augias erinnern und
hielt es für geratner, sich nicht nach einem Herkules umzuschaun, sondern die
herrschende Verderbnis für seine Zwecke zu benutzen.

Pitt, der ältere, hatte es für seiner unwürdig gehalten, sich mit
Bestechung und Stimmenkauf zu befassen, und hatte dergleichen Schacher¬
geschäfte Newcastle überlassen. Georg III. aber schien einen besondern Genuß
in der Behandlung dieser schmutzigen Sachen zu finden. Er verfügte per¬
sönlich über die Belohnungen der ihm willfährigen Abgeordneten und ordnete
die Verfolgung ihm mißliebiger Personen an. Er erreichte zwar uicht immer,
was er wollte, er mußte am Ende selbst den Eintritt des ihm verhaßten John


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[0474] Aas englische Aönigtuin zollern hatten die Welsen nichts. Auch die Erwerbung der englischen Krone war nicht ihrem Verdienst oder ihrem innern Werte zuzuschreiben, sondern lediglich dem Zufalle, daß sie protestantisch und leine andern protestantischen Nachkommen Jakobs I. mehr vorhanden waren. Gewiß war die Stellung Georgs I. auf dem englischen Throne schwierig. Er verdankte die Krone lediglich den Whigs und mußte die Tories als ver tappte Anhänger der Stuarts ansehen. Ans Dank hatten die Whigs deswegen keinen Anspruch. Denn was sie an Georg fesselte, war nichts als die Furcht vor einer Wiederkehr der Stuarts und einer damit verbundnen Erschütterung des Kredits, dessen Festigkeit für sie Lebensfrage war. Es Hütte keines großen Aufwandes von Verstand bedurft, einzusehen, daß in Wirklichkeit die Whig? mehr vom Könige abhingen, als der König von den Whigs. Wilhelm III. war ebensowenig volkstümlich gewesen wie Georg I., aber Wilhelm war jeder Zoll ein König, der durch das Gewicht seiner Persönlichkeit die Leitung des Staates in der Hand behielt, wahrend Georg nicht einmal versuchte, durch Erlernung der englischen Sprache zu einem Verständnis seiner Unterthanen zu gelangen, sodaß er mit Walpole in schlechten: Lateinisch Verkehre» mußte. Allen Kreisen des britischen Volkes bis an sein Lebensende als Fremder gegen¬ überstehend, war es für den Welsen ein Ding der Unmöglichkeit, ein eignes Urteil zu gewinnen, geschweige denn bestimmend in den Gang der Stnats- mnschine einzugreifen. Zugegeben, daß er nur mit den Whigs regieren konnte, die seine Thronbesteigung bewirkt hatten und sich der Unterstützung eines großen Teiles des Landadels, der Kirche und der Handelswelt erfreuten, wäre es für ihn richtig gewesen, wenigstens die Leitung dieser Partei zu übernehmen, anstatt ihr bloß als Puppe zu dienen. Unter seinem Sohne war es nicht um ein Haar anders. Georg II. stand England ebenso fremd gegenüber, als wäre er nur Kurfürst von Hannover gewesen, und ein volles halbes Jahrhundert regierten die Whigs, ohne daß sich der Träger der Krone geltend gemacht hätte, um der zunehmenden Versumpfung zu wehren. Als endlich in Georg III. ein Fürst den Thron bestieg, der in England aufgewachsen war und die Sprache des Volks verstand, über das er herrschen sollte, da hatte sich die Korruption so tief eingefressen, daß es eines Herkules bedurft hätte, Besserung zu schassen. In seiner Art war Georg III. ein kluger Mann. Er mochte sich wohl der Geschichte vom König Augias erinnern und hielt es für geratner, sich nicht nach einem Herkules umzuschaun, sondern die herrschende Verderbnis für seine Zwecke zu benutzen. Pitt, der ältere, hatte es für seiner unwürdig gehalten, sich mit Bestechung und Stimmenkauf zu befassen, und hatte dergleichen Schacher¬ geschäfte Newcastle überlassen. Georg III. aber schien einen besondern Genuß in der Behandlung dieser schmutzigen Sachen zu finden. Er verfügte per¬ sönlich über die Belohnungen der ihm willfährigen Abgeordneten und ordnete die Verfolgung ihm mißliebiger Personen an. Er erreichte zwar uicht immer, was er wollte, er mußte am Ende selbst den Eintritt des ihm verhaßten John

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/474>, abgerufen am 28.07.2024.