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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Vas englische Königtum

Wilkes ins Unterhaus zulnsseu, aber in der Hauptsache hatte sein ständig auf
ein Ziel gerichtetes Streben Erfolg, Durch eine beispiellose Bestechung eines
beispiellos bestechlichen Parlaments wurde er wirklich zur Herrscher. Leider
stand seine Herrscherfähigkeit im umgekehrten Verhältnisse zu seinen Ansprüchen.
Auch in seinen geistig besten Jahren war er höchstens ein englischer Tammany
Boß, und für sein Reich war seine Selbstregierung alles rubra als ein Segen.
Seiner blinden Halsstarrigkeit verdankt England den Verlust der amerikanischen
Kolonien. Vergebens hielt Chathnm seine Reden zu Gunsten der Amerikaner,
Reden, die, nebenbei gesagt, mit einigen Änderungen auch auf die Gegenwart
passen; für deu König waren die Amerikaner nichts als Rebellen, denen nicht
ein Fetzen von Selbständigkeit gelassen werden durfte. Zu einem höhern
Standpunkt vermochte sich sein beschränkter Geist nicht zu erheben. Der Aus¬
gang gab ihm Unrecht. Während sein Verstand der Umnachtung verfiel,
blühte der überseeische Sproß auf, und die Nemesis der Geschichte hat aus
ihm den gefährlichsten wirtschaftlichen Nebenbuhler des Mutterlands gemacht,
das ihn einst kurzsichtig in wirtschaftlicher Unmündigkeit halten wollte.

Mit der königlichen Selbstherrlichkeit Georgs III. ist England übel ge¬
fahren, mit der seines Nachfolgers fuhr es nicht besser. Die Macht, die auf
Georg IV. als Prinzregenten wie als König überging, beruhte auf derselben
faulen Grundlage der Korruption, die nur wenig eingeengt war. Georg IV.
übertraf dabei seinen Bater noch dadurch, daß er durch sein schamlos unsitt¬
liches Leben und sein gemeines Benehmen gegen seine Gemahlin sogar die
Würde seiner Stellung in den Kot herabzerrte und der allgemeinen Ver¬
achtung preisgab.

Festigkeit konnte eine ans so morschem Unterbau beruhende königliche
Macht nicht haben. Sie war ebenso fest und dauerhaft wie die Giftmorchcl,
der sie an Anrüchigkeit gleichkam. Sobald die Reform des Unterhauses diesen
Unterban zu Fall brachte, zerfloß sie, und Wilhelm IV. hatte sich mit saurer
Miene zu einem umgekehrten schlemihlschen Königtum zu bequemen, zum
Schatten ohne das Wesen. Er war der letzte, der ein Ministerium entließ
und den Versuch machte, eine eigne Meinung durchzusetzen. Dein in einer
Zeit, wo das Königtum den Allsschlag gab, aufgewachsenen mußte es schwer¬
fallen, einzusehen, wie wenig die Krone in Wirklichkeit bedeutete, und wie sie
durch die sittliche Lebensftthrnng der Mitglieder des königlichen Hauses fast
den letzten Rest von Achtung beim Volke eingebüßt hatte. Das Urteil, das
ihn als den einfältigsten alten Herrn im Vereinigten Königreiche hinstellte, ist
vielleicht zu absprechend, aber der Krone wieder zu Ansehen zu verhelfen, dazu
war er nicht der Mann.

Was Wilhelm IV. seiner Nachfolgerin hinterließ, war ein fadenscheiniger
und nicht ganz reiner Königsmantel. Dünn ist der Mantel auch unter der
Königin Viktoria geblieben. Aber wenn sie ein Verdienst hat, so ist es das,
daß sie ihn vom Schmutz rein gehalten und sozusagen den königlichen Hof
wieder hoffähig gemacht hat. Daß sie sich dieses Verdienst erwerben konnte,


Vas englische Königtum

Wilkes ins Unterhaus zulnsseu, aber in der Hauptsache hatte sein ständig auf
ein Ziel gerichtetes Streben Erfolg, Durch eine beispiellose Bestechung eines
beispiellos bestechlichen Parlaments wurde er wirklich zur Herrscher. Leider
stand seine Herrscherfähigkeit im umgekehrten Verhältnisse zu seinen Ansprüchen.
Auch in seinen geistig besten Jahren war er höchstens ein englischer Tammany
Boß, und für sein Reich war seine Selbstregierung alles rubra als ein Segen.
Seiner blinden Halsstarrigkeit verdankt England den Verlust der amerikanischen
Kolonien. Vergebens hielt Chathnm seine Reden zu Gunsten der Amerikaner,
Reden, die, nebenbei gesagt, mit einigen Änderungen auch auf die Gegenwart
passen; für deu König waren die Amerikaner nichts als Rebellen, denen nicht
ein Fetzen von Selbständigkeit gelassen werden durfte. Zu einem höhern
Standpunkt vermochte sich sein beschränkter Geist nicht zu erheben. Der Aus¬
gang gab ihm Unrecht. Während sein Verstand der Umnachtung verfiel,
blühte der überseeische Sproß auf, und die Nemesis der Geschichte hat aus
ihm den gefährlichsten wirtschaftlichen Nebenbuhler des Mutterlands gemacht,
das ihn einst kurzsichtig in wirtschaftlicher Unmündigkeit halten wollte.

Mit der königlichen Selbstherrlichkeit Georgs III. ist England übel ge¬
fahren, mit der seines Nachfolgers fuhr es nicht besser. Die Macht, die auf
Georg IV. als Prinzregenten wie als König überging, beruhte auf derselben
faulen Grundlage der Korruption, die nur wenig eingeengt war. Georg IV.
übertraf dabei seinen Bater noch dadurch, daß er durch sein schamlos unsitt¬
liches Leben und sein gemeines Benehmen gegen seine Gemahlin sogar die
Würde seiner Stellung in den Kot herabzerrte und der allgemeinen Ver¬
achtung preisgab.

Festigkeit konnte eine ans so morschem Unterbau beruhende königliche
Macht nicht haben. Sie war ebenso fest und dauerhaft wie die Giftmorchcl,
der sie an Anrüchigkeit gleichkam. Sobald die Reform des Unterhauses diesen
Unterban zu Fall brachte, zerfloß sie, und Wilhelm IV. hatte sich mit saurer
Miene zu einem umgekehrten schlemihlschen Königtum zu bequemen, zum
Schatten ohne das Wesen. Er war der letzte, der ein Ministerium entließ
und den Versuch machte, eine eigne Meinung durchzusetzen. Dein in einer
Zeit, wo das Königtum den Allsschlag gab, aufgewachsenen mußte es schwer¬
fallen, einzusehen, wie wenig die Krone in Wirklichkeit bedeutete, und wie sie
durch die sittliche Lebensftthrnng der Mitglieder des königlichen Hauses fast
den letzten Rest von Achtung beim Volke eingebüßt hatte. Das Urteil, das
ihn als den einfältigsten alten Herrn im Vereinigten Königreiche hinstellte, ist
vielleicht zu absprechend, aber der Krone wieder zu Ansehen zu verhelfen, dazu
war er nicht der Mann.

Was Wilhelm IV. seiner Nachfolgerin hinterließ, war ein fadenscheiniger
und nicht ganz reiner Königsmantel. Dünn ist der Mantel auch unter der
Königin Viktoria geblieben. Aber wenn sie ein Verdienst hat, so ist es das,
daß sie ihn vom Schmutz rein gehalten und sozusagen den königlichen Hof
wieder hoffähig gemacht hat. Daß sie sich dieses Verdienst erwerben konnte,


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[0475] Vas englische Königtum Wilkes ins Unterhaus zulnsseu, aber in der Hauptsache hatte sein ständig auf ein Ziel gerichtetes Streben Erfolg, Durch eine beispiellose Bestechung eines beispiellos bestechlichen Parlaments wurde er wirklich zur Herrscher. Leider stand seine Herrscherfähigkeit im umgekehrten Verhältnisse zu seinen Ansprüchen. Auch in seinen geistig besten Jahren war er höchstens ein englischer Tammany Boß, und für sein Reich war seine Selbstregierung alles rubra als ein Segen. Seiner blinden Halsstarrigkeit verdankt England den Verlust der amerikanischen Kolonien. Vergebens hielt Chathnm seine Reden zu Gunsten der Amerikaner, Reden, die, nebenbei gesagt, mit einigen Änderungen auch auf die Gegenwart passen; für deu König waren die Amerikaner nichts als Rebellen, denen nicht ein Fetzen von Selbständigkeit gelassen werden durfte. Zu einem höhern Standpunkt vermochte sich sein beschränkter Geist nicht zu erheben. Der Aus¬ gang gab ihm Unrecht. Während sein Verstand der Umnachtung verfiel, blühte der überseeische Sproß auf, und die Nemesis der Geschichte hat aus ihm den gefährlichsten wirtschaftlichen Nebenbuhler des Mutterlands gemacht, das ihn einst kurzsichtig in wirtschaftlicher Unmündigkeit halten wollte. Mit der königlichen Selbstherrlichkeit Georgs III. ist England übel ge¬ fahren, mit der seines Nachfolgers fuhr es nicht besser. Die Macht, die auf Georg IV. als Prinzregenten wie als König überging, beruhte auf derselben faulen Grundlage der Korruption, die nur wenig eingeengt war. Georg IV. übertraf dabei seinen Bater noch dadurch, daß er durch sein schamlos unsitt¬ liches Leben und sein gemeines Benehmen gegen seine Gemahlin sogar die Würde seiner Stellung in den Kot herabzerrte und der allgemeinen Ver¬ achtung preisgab. Festigkeit konnte eine ans so morschem Unterbau beruhende königliche Macht nicht haben. Sie war ebenso fest und dauerhaft wie die Giftmorchcl, der sie an Anrüchigkeit gleichkam. Sobald die Reform des Unterhauses diesen Unterban zu Fall brachte, zerfloß sie, und Wilhelm IV. hatte sich mit saurer Miene zu einem umgekehrten schlemihlschen Königtum zu bequemen, zum Schatten ohne das Wesen. Er war der letzte, der ein Ministerium entließ und den Versuch machte, eine eigne Meinung durchzusetzen. Dein in einer Zeit, wo das Königtum den Allsschlag gab, aufgewachsenen mußte es schwer¬ fallen, einzusehen, wie wenig die Krone in Wirklichkeit bedeutete, und wie sie durch die sittliche Lebensftthrnng der Mitglieder des königlichen Hauses fast den letzten Rest von Achtung beim Volke eingebüßt hatte. Das Urteil, das ihn als den einfältigsten alten Herrn im Vereinigten Königreiche hinstellte, ist vielleicht zu absprechend, aber der Krone wieder zu Ansehen zu verhelfen, dazu war er nicht der Mann. Was Wilhelm IV. seiner Nachfolgerin hinterließ, war ein fadenscheiniger und nicht ganz reiner Königsmantel. Dünn ist der Mantel auch unter der Königin Viktoria geblieben. Aber wenn sie ein Verdienst hat, so ist es das, daß sie ihn vom Schmutz rein gehalten und sozusagen den königlichen Hof wieder hoffähig gemacht hat. Daß sie sich dieses Verdienst erwerben konnte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/475>, abgerufen am 27.07.2024.