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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der ältere jüngere Lrcmach

einzusetzen und die Bilder des Pseudogrünewald als das hinzustellen, als was
sie sich nun erwiesen, als Werke Crcmachs selbst oder seiner Schule. Auch
Eisenmann war in dieser Richtung thätig. Doch betonte gerade er wieder,
daß die Bilder Crcmachs und des Pseudogrünewalds trotz äußerer Ähnlichkeit
doch wesentlich voneinander verschieden seien, ein Urteil, das ja schon alle frühern
Forscher von Passavant und Waagen ein geäußert hatten. "Es ist eine schöne
Aufgabe für die künftige Forschung, sagt er (1876), auszumitteln, wer dieser
Pseudvgrünewald war, und in welcher Beziehung er zu dem echten Grünewald
und zu Cranach stand."

Eine Antwort ans diese Frage hatten zwei Jahre später Julius Meyer
und Wilhelm Bode bereit. Den Anlaß gaben zwei Bilder des Berliner
Museums, die bisher Grünewald zugeschrieben worden waren. In ihrem
"Beschreibenden Verzeichnis" der Gemälde dieses Museums von 1878 sagen
sie, der Vergleich mit den frühesten datierten und bezeichneten Werken Crcmachs
mache es sehr wahrscheinlich, daß der Pseudogrünewald ein und derselbe Meister
mit Cranach, und daß jene Werke Jugendarbeiten Crcmachs seien. Bei dieser
Verallgemeinerung spukte freilich wieder die Gedankenlosigkeit, daß Werke,
die Cranach mindestens als sechsundvierzigjähriger Mann geschaffen haben
müßte, als "Jugendarbeiten" bezeichnet wurden. Trotzdem verschaffte sich diese
Ansicht immer mehr Geltung. Auch Woermcmu schloß sich ihr um in seiner
Fortsetzung von Woltmanns Geschichte der Malerei.

Gegen diese Ansicht erhob aber 1881 Friedrich Niedermayer Einspruch.
Er behauptete, der unbekannte Künstler habe mit Cranach nur die Malweise
und gewisse Dinge in der Zeichnung gemein, aber seine Auffassung zeige einen
unleugbaren Anklang an Grünewald. Dazu hatte ihn ein nrchivalischer Fund
gebracht: er glaubte den wahren Namen des Pseudogrünewald in einem Maler
Simon von Aschaffenburg ermittelt zu haben. Diesen Rückschritt vom falschen
Grünewald zum echten wies Woermcmn überzeugend zurück. Dagegen schloß
sich Janitschek (1889) in seiner Geschichte der deutschen Malerei der Vermutung
Niedermayers an. Er verteilt die Werke, die von Passavant und Waagen
früher Grünewald zugeschrieben worden waren, ein drei Künstler: an einen
Vertreter einer "Aschnffenburger Malerschule," wahrscheinlich Simon von
Aschaffenburg, bei dem er ebenso Beziehungen zu Grünewald wie zu Cranach
annimmt, an einen zweiten Maler der Aschaffenburger Schule, der einen noch
stürkern Einfluß von Cranach erfahren habe, und endlich an Cranach selbst.
Seitdem hat die Pseudvgrünewaldfrage keine weitere Entwicklung durchgemacht.
Eins hat sich aber doch als unumstößliche Thatsache erwiesen: eine sehr große
Stilverwnndtschaft der Bilder des Psendogrünewald mit denen Cranachs.

Hier setzt nun die Untersuchung Flechsigs ein. Ehe man fragen kann,
sagt er, wer der Pseudogrünewald sei, muß man erst genau wissen, in welchem
Verhältnis er zu Cranach gestanden hat. Diese Frage kann nur dann beant¬
wortet werden, wenn die Entwicklung Cranachs selbst bis zu dem Zeitpunkte,
wo die Thätigkeit des Pseudogrünewald beginnt, klar erkennbar ist. Diese


Der ältere jüngere Lrcmach

einzusetzen und die Bilder des Pseudogrünewald als das hinzustellen, als was
sie sich nun erwiesen, als Werke Crcmachs selbst oder seiner Schule. Auch
Eisenmann war in dieser Richtung thätig. Doch betonte gerade er wieder,
daß die Bilder Crcmachs und des Pseudogrünewalds trotz äußerer Ähnlichkeit
doch wesentlich voneinander verschieden seien, ein Urteil, das ja schon alle frühern
Forscher von Passavant und Waagen ein geäußert hatten. „Es ist eine schöne
Aufgabe für die künftige Forschung, sagt er (1876), auszumitteln, wer dieser
Pseudvgrünewald war, und in welcher Beziehung er zu dem echten Grünewald
und zu Cranach stand."

Eine Antwort ans diese Frage hatten zwei Jahre später Julius Meyer
und Wilhelm Bode bereit. Den Anlaß gaben zwei Bilder des Berliner
Museums, die bisher Grünewald zugeschrieben worden waren. In ihrem
„Beschreibenden Verzeichnis" der Gemälde dieses Museums von 1878 sagen
sie, der Vergleich mit den frühesten datierten und bezeichneten Werken Crcmachs
mache es sehr wahrscheinlich, daß der Pseudogrünewald ein und derselbe Meister
mit Cranach, und daß jene Werke Jugendarbeiten Crcmachs seien. Bei dieser
Verallgemeinerung spukte freilich wieder die Gedankenlosigkeit, daß Werke,
die Cranach mindestens als sechsundvierzigjähriger Mann geschaffen haben
müßte, als „Jugendarbeiten" bezeichnet wurden. Trotzdem verschaffte sich diese
Ansicht immer mehr Geltung. Auch Woermcmu schloß sich ihr um in seiner
Fortsetzung von Woltmanns Geschichte der Malerei.

Gegen diese Ansicht erhob aber 1881 Friedrich Niedermayer Einspruch.
Er behauptete, der unbekannte Künstler habe mit Cranach nur die Malweise
und gewisse Dinge in der Zeichnung gemein, aber seine Auffassung zeige einen
unleugbaren Anklang an Grünewald. Dazu hatte ihn ein nrchivalischer Fund
gebracht: er glaubte den wahren Namen des Pseudogrünewald in einem Maler
Simon von Aschaffenburg ermittelt zu haben. Diesen Rückschritt vom falschen
Grünewald zum echten wies Woermcmn überzeugend zurück. Dagegen schloß
sich Janitschek (1889) in seiner Geschichte der deutschen Malerei der Vermutung
Niedermayers an. Er verteilt die Werke, die von Passavant und Waagen
früher Grünewald zugeschrieben worden waren, ein drei Künstler: an einen
Vertreter einer „Aschnffenburger Malerschule," wahrscheinlich Simon von
Aschaffenburg, bei dem er ebenso Beziehungen zu Grünewald wie zu Cranach
annimmt, an einen zweiten Maler der Aschaffenburger Schule, der einen noch
stürkern Einfluß von Cranach erfahren habe, und endlich an Cranach selbst.
Seitdem hat die Pseudvgrünewaldfrage keine weitere Entwicklung durchgemacht.
Eins hat sich aber doch als unumstößliche Thatsache erwiesen: eine sehr große
Stilverwnndtschaft der Bilder des Psendogrünewald mit denen Cranachs.

Hier setzt nun die Untersuchung Flechsigs ein. Ehe man fragen kann,
sagt er, wer der Pseudogrünewald sei, muß man erst genau wissen, in welchem
Verhältnis er zu Cranach gestanden hat. Diese Frage kann nur dann beant¬
wortet werden, wenn die Entwicklung Cranachs selbst bis zu dem Zeitpunkte,
wo die Thätigkeit des Pseudogrünewald beginnt, klar erkennbar ist. Diese


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[0046] Der ältere jüngere Lrcmach einzusetzen und die Bilder des Pseudogrünewald als das hinzustellen, als was sie sich nun erwiesen, als Werke Crcmachs selbst oder seiner Schule. Auch Eisenmann war in dieser Richtung thätig. Doch betonte gerade er wieder, daß die Bilder Crcmachs und des Pseudogrünewalds trotz äußerer Ähnlichkeit doch wesentlich voneinander verschieden seien, ein Urteil, das ja schon alle frühern Forscher von Passavant und Waagen ein geäußert hatten. „Es ist eine schöne Aufgabe für die künftige Forschung, sagt er (1876), auszumitteln, wer dieser Pseudvgrünewald war, und in welcher Beziehung er zu dem echten Grünewald und zu Cranach stand." Eine Antwort ans diese Frage hatten zwei Jahre später Julius Meyer und Wilhelm Bode bereit. Den Anlaß gaben zwei Bilder des Berliner Museums, die bisher Grünewald zugeschrieben worden waren. In ihrem „Beschreibenden Verzeichnis" der Gemälde dieses Museums von 1878 sagen sie, der Vergleich mit den frühesten datierten und bezeichneten Werken Crcmachs mache es sehr wahrscheinlich, daß der Pseudogrünewald ein und derselbe Meister mit Cranach, und daß jene Werke Jugendarbeiten Crcmachs seien. Bei dieser Verallgemeinerung spukte freilich wieder die Gedankenlosigkeit, daß Werke, die Cranach mindestens als sechsundvierzigjähriger Mann geschaffen haben müßte, als „Jugendarbeiten" bezeichnet wurden. Trotzdem verschaffte sich diese Ansicht immer mehr Geltung. Auch Woermcmu schloß sich ihr um in seiner Fortsetzung von Woltmanns Geschichte der Malerei. Gegen diese Ansicht erhob aber 1881 Friedrich Niedermayer Einspruch. Er behauptete, der unbekannte Künstler habe mit Cranach nur die Malweise und gewisse Dinge in der Zeichnung gemein, aber seine Auffassung zeige einen unleugbaren Anklang an Grünewald. Dazu hatte ihn ein nrchivalischer Fund gebracht: er glaubte den wahren Namen des Pseudogrünewald in einem Maler Simon von Aschaffenburg ermittelt zu haben. Diesen Rückschritt vom falschen Grünewald zum echten wies Woermcmn überzeugend zurück. Dagegen schloß sich Janitschek (1889) in seiner Geschichte der deutschen Malerei der Vermutung Niedermayers an. Er verteilt die Werke, die von Passavant und Waagen früher Grünewald zugeschrieben worden waren, ein drei Künstler: an einen Vertreter einer „Aschnffenburger Malerschule," wahrscheinlich Simon von Aschaffenburg, bei dem er ebenso Beziehungen zu Grünewald wie zu Cranach annimmt, an einen zweiten Maler der Aschaffenburger Schule, der einen noch stürkern Einfluß von Cranach erfahren habe, und endlich an Cranach selbst. Seitdem hat die Pseudvgrünewaldfrage keine weitere Entwicklung durchgemacht. Eins hat sich aber doch als unumstößliche Thatsache erwiesen: eine sehr große Stilverwnndtschaft der Bilder des Psendogrünewald mit denen Cranachs. Hier setzt nun die Untersuchung Flechsigs ein. Ehe man fragen kann, sagt er, wer der Pseudogrünewald sei, muß man erst genau wissen, in welchem Verhältnis er zu Cranach gestanden hat. Diese Frage kann nur dann beant¬ wortet werden, wenn die Entwicklung Cranachs selbst bis zu dem Zeitpunkte, wo die Thätigkeit des Pseudogrünewald beginnt, klar erkennbar ist. Diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/46>, abgerufen am 28.07.2024.