Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der ältere jüngere Lrcmach

Wesen seien. Auch Förster widersprach (1853) in seiner Geschichte der deutschen
Kunst der Annahme, daß Cranach in dem Verhältnis eines Schülers zu Grüne¬
wald gestanden habe. Das Altarwerk in Kolmar hielt er, wie schon vor ihm
Quandt und Waagen, für ein Werk des Hans Baldung Grien. Dieselbe
Ansicht vertrat 1862 wieder Waagen selbst in seinem Handbuch der deutschen
und niederländischen Malerschulen, ebenso 1866 Woltmann, der bekannte Hol¬
beinforscher. Er meinte, daß in den alten schriftlichen Nachrichten gewiß eine
Verwechslung zwischen Grttnewald und Grien vorliege; wer die sichern Werke
Grünewalds, d. h. die Werke in der Pinakothek und den Altar in Halle kenne,
der könne unmöglich die Bilder in Kolmar für Arbeiten Grünewalds halten.

Da wurde plötzlich (1873) der Glaube, den jahrzehntelang alle Kunst-
forscher geteilt hatten, mit unbarmherziger Hand von Woltmann selbst in seinen
"Streifzügen im Elsaß" zerstört (in der Zeitschrift für bildende Kunst), indem
er den Nachweis führte, daß der Altar in Kolmar thatsächlich ein Werk
Grünewalds sei, daß also alle bisherigen Vorstellungen von Grünewald gänz¬
lich falsch gewesen seien, daß der Annahme, die fünf Bilder der Pinakothek
seien Werke Grünewalds, jede Spur einer Beglaubigung fehle, ja "daß der
sogenannte Matthias Grünewald, wie er als ein dem Lukas Cranach im Stil
nahe verwandter, doch an Geschmack und Großartigkeit überlegner Meister in
unsern kunstgeschichtlichen Handbüchern erscheine, eine vollkommen mythische
Figur sei." Die Frage, wem die Bilder, die man bisher für Werke Grüne¬
walds gehalten hatte, zuzuschreiben seien, wird von Woltmann auf folgende
Weise beantwortet: "Man könnte an Cranach selbst denken, dem die meisten
früher zugeschrieben wurden. Doch bestehn auch wieder merkliche Verschieden¬
heiten zwischen ihnen und Cranachs sichern Werken. Soll man vielleicht an
Crcmachs Vater denken? Jedenfalls fließt in diesen Werken die eigentliche
Quelle von Cranachs Kunst."

Der Nachweis Woltmanns fand die Zustimmung aller deutschen Forscher.
Von nun an gab es nnr noch den Grünewald, der den Altar in Kolmar ge¬
malt hatte; dein frühern Grünewald dagegen gab man nun den Notnamcn
"Pseudogrünewald," der so lange gelten sollte, bis sein wirklicher Name er¬
mittelt wäre. Otto Eisenmann war es, der 1875 diese Taufe vornahm. Sie
drang aber zunächst nicht über die engen Kreise der Fachwissenschaft hinaus.
Sie konnte es schon deshalb nicht, weil die Frage nur in fachwissenschaftlichen
Zeitschriften erörtert wurde.

Da brachte 1874 Wilhelm Schmidt (in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung) den überraschenden Nachweis, daß thatsächlich auch eins der fünf
Bilder in der Pinakothek von dem echten Grünewald gemalt sei, nur die vier
andern nicht. Ohne Zweifel habe sich eine Tradition hiervon erhalten, man
habe ohne weitere Prüfung auch die vier übrigen, offenbar aus Crauachs
Werkstatt stammenden Bilder für Werke Grünewalds erklärt und damit "eine
yeulose Verwirrung angerichtet."

Woltmann benutzte jede Gelegenheit, den echten Grünewald in seine Rechte


Der ältere jüngere Lrcmach

Wesen seien. Auch Förster widersprach (1853) in seiner Geschichte der deutschen
Kunst der Annahme, daß Cranach in dem Verhältnis eines Schülers zu Grüne¬
wald gestanden habe. Das Altarwerk in Kolmar hielt er, wie schon vor ihm
Quandt und Waagen, für ein Werk des Hans Baldung Grien. Dieselbe
Ansicht vertrat 1862 wieder Waagen selbst in seinem Handbuch der deutschen
und niederländischen Malerschulen, ebenso 1866 Woltmann, der bekannte Hol¬
beinforscher. Er meinte, daß in den alten schriftlichen Nachrichten gewiß eine
Verwechslung zwischen Grttnewald und Grien vorliege; wer die sichern Werke
Grünewalds, d. h. die Werke in der Pinakothek und den Altar in Halle kenne,
der könne unmöglich die Bilder in Kolmar für Arbeiten Grünewalds halten.

Da wurde plötzlich (1873) der Glaube, den jahrzehntelang alle Kunst-
forscher geteilt hatten, mit unbarmherziger Hand von Woltmann selbst in seinen
„Streifzügen im Elsaß" zerstört (in der Zeitschrift für bildende Kunst), indem
er den Nachweis führte, daß der Altar in Kolmar thatsächlich ein Werk
Grünewalds sei, daß also alle bisherigen Vorstellungen von Grünewald gänz¬
lich falsch gewesen seien, daß der Annahme, die fünf Bilder der Pinakothek
seien Werke Grünewalds, jede Spur einer Beglaubigung fehle, ja „daß der
sogenannte Matthias Grünewald, wie er als ein dem Lukas Cranach im Stil
nahe verwandter, doch an Geschmack und Großartigkeit überlegner Meister in
unsern kunstgeschichtlichen Handbüchern erscheine, eine vollkommen mythische
Figur sei." Die Frage, wem die Bilder, die man bisher für Werke Grüne¬
walds gehalten hatte, zuzuschreiben seien, wird von Woltmann auf folgende
Weise beantwortet: „Man könnte an Cranach selbst denken, dem die meisten
früher zugeschrieben wurden. Doch bestehn auch wieder merkliche Verschieden¬
heiten zwischen ihnen und Cranachs sichern Werken. Soll man vielleicht an
Crcmachs Vater denken? Jedenfalls fließt in diesen Werken die eigentliche
Quelle von Cranachs Kunst."

Der Nachweis Woltmanns fand die Zustimmung aller deutschen Forscher.
Von nun an gab es nnr noch den Grünewald, der den Altar in Kolmar ge¬
malt hatte; dein frühern Grünewald dagegen gab man nun den Notnamcn
„Pseudogrünewald," der so lange gelten sollte, bis sein wirklicher Name er¬
mittelt wäre. Otto Eisenmann war es, der 1875 diese Taufe vornahm. Sie
drang aber zunächst nicht über die engen Kreise der Fachwissenschaft hinaus.
Sie konnte es schon deshalb nicht, weil die Frage nur in fachwissenschaftlichen
Zeitschriften erörtert wurde.

Da brachte 1874 Wilhelm Schmidt (in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung) den überraschenden Nachweis, daß thatsächlich auch eins der fünf
Bilder in der Pinakothek von dem echten Grünewald gemalt sei, nur die vier
andern nicht. Ohne Zweifel habe sich eine Tradition hiervon erhalten, man
habe ohne weitere Prüfung auch die vier übrigen, offenbar aus Crauachs
Werkstatt stammenden Bilder für Werke Grünewalds erklärt und damit „eine
yeulose Verwirrung angerichtet."

Woltmann benutzte jede Gelegenheit, den echten Grünewald in seine Rechte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235867"/>
          <fw type="header" place="top"> Der ältere jüngere Lrcmach</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_120" prev="#ID_119"> Wesen seien. Auch Förster widersprach (1853) in seiner Geschichte der deutschen<lb/>
Kunst der Annahme, daß Cranach in dem Verhältnis eines Schülers zu Grüne¬<lb/>
wald gestanden habe. Das Altarwerk in Kolmar hielt er, wie schon vor ihm<lb/>
Quandt und Waagen, für ein Werk des Hans Baldung Grien. Dieselbe<lb/>
Ansicht vertrat 1862 wieder Waagen selbst in seinem Handbuch der deutschen<lb/>
und niederländischen Malerschulen, ebenso 1866 Woltmann, der bekannte Hol¬<lb/>
beinforscher. Er meinte, daß in den alten schriftlichen Nachrichten gewiß eine<lb/>
Verwechslung zwischen Grttnewald und Grien vorliege; wer die sichern Werke<lb/>
Grünewalds, d. h. die Werke in der Pinakothek und den Altar in Halle kenne,<lb/>
der könne unmöglich die Bilder in Kolmar für Arbeiten Grünewalds halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_121"> Da wurde plötzlich (1873) der Glaube, den jahrzehntelang alle Kunst-<lb/>
forscher geteilt hatten, mit unbarmherziger Hand von Woltmann selbst in seinen<lb/>
&#x201E;Streifzügen im Elsaß" zerstört (in der Zeitschrift für bildende Kunst), indem<lb/>
er den Nachweis führte, daß der Altar in Kolmar thatsächlich ein Werk<lb/>
Grünewalds sei, daß also alle bisherigen Vorstellungen von Grünewald gänz¬<lb/>
lich falsch gewesen seien, daß der Annahme, die fünf Bilder der Pinakothek<lb/>
seien Werke Grünewalds, jede Spur einer Beglaubigung fehle, ja &#x201E;daß der<lb/>
sogenannte Matthias Grünewald, wie er als ein dem Lukas Cranach im Stil<lb/>
nahe verwandter, doch an Geschmack und Großartigkeit überlegner Meister in<lb/>
unsern kunstgeschichtlichen Handbüchern erscheine, eine vollkommen mythische<lb/>
Figur sei." Die Frage, wem die Bilder, die man bisher für Werke Grüne¬<lb/>
walds gehalten hatte, zuzuschreiben seien, wird von Woltmann auf folgende<lb/>
Weise beantwortet: &#x201E;Man könnte an Cranach selbst denken, dem die meisten<lb/>
früher zugeschrieben wurden. Doch bestehn auch wieder merkliche Verschieden¬<lb/>
heiten zwischen ihnen und Cranachs sichern Werken. Soll man vielleicht an<lb/>
Crcmachs Vater denken? Jedenfalls fließt in diesen Werken die eigentliche<lb/>
Quelle von Cranachs Kunst."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_122"> Der Nachweis Woltmanns fand die Zustimmung aller deutschen Forscher.<lb/>
Von nun an gab es nnr noch den Grünewald, der den Altar in Kolmar ge¬<lb/>
malt hatte; dein frühern Grünewald dagegen gab man nun den Notnamcn<lb/>
&#x201E;Pseudogrünewald," der so lange gelten sollte, bis sein wirklicher Name er¬<lb/>
mittelt wäre. Otto Eisenmann war es, der 1875 diese Taufe vornahm. Sie<lb/>
drang aber zunächst nicht über die engen Kreise der Fachwissenschaft hinaus.<lb/>
Sie konnte es schon deshalb nicht, weil die Frage nur in fachwissenschaftlichen<lb/>
Zeitschriften erörtert wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_123"> Da brachte 1874 Wilhelm Schmidt (in der Augsburger Allgemeinen<lb/>
Zeitung) den überraschenden Nachweis, daß thatsächlich auch eins der fünf<lb/>
Bilder in der Pinakothek von dem echten Grünewald gemalt sei, nur die vier<lb/>
andern nicht. Ohne Zweifel habe sich eine Tradition hiervon erhalten, man<lb/>
habe ohne weitere Prüfung auch die vier übrigen, offenbar aus Crauachs<lb/>
Werkstatt stammenden Bilder für Werke Grünewalds erklärt und damit &#x201E;eine<lb/>
yeulose Verwirrung angerichtet."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_124" next="#ID_125"> Woltmann benutzte jede Gelegenheit, den echten Grünewald in seine Rechte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Der ältere jüngere Lrcmach Wesen seien. Auch Förster widersprach (1853) in seiner Geschichte der deutschen Kunst der Annahme, daß Cranach in dem Verhältnis eines Schülers zu Grüne¬ wald gestanden habe. Das Altarwerk in Kolmar hielt er, wie schon vor ihm Quandt und Waagen, für ein Werk des Hans Baldung Grien. Dieselbe Ansicht vertrat 1862 wieder Waagen selbst in seinem Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen, ebenso 1866 Woltmann, der bekannte Hol¬ beinforscher. Er meinte, daß in den alten schriftlichen Nachrichten gewiß eine Verwechslung zwischen Grttnewald und Grien vorliege; wer die sichern Werke Grünewalds, d. h. die Werke in der Pinakothek und den Altar in Halle kenne, der könne unmöglich die Bilder in Kolmar für Arbeiten Grünewalds halten. Da wurde plötzlich (1873) der Glaube, den jahrzehntelang alle Kunst- forscher geteilt hatten, mit unbarmherziger Hand von Woltmann selbst in seinen „Streifzügen im Elsaß" zerstört (in der Zeitschrift für bildende Kunst), indem er den Nachweis führte, daß der Altar in Kolmar thatsächlich ein Werk Grünewalds sei, daß also alle bisherigen Vorstellungen von Grünewald gänz¬ lich falsch gewesen seien, daß der Annahme, die fünf Bilder der Pinakothek seien Werke Grünewalds, jede Spur einer Beglaubigung fehle, ja „daß der sogenannte Matthias Grünewald, wie er als ein dem Lukas Cranach im Stil nahe verwandter, doch an Geschmack und Großartigkeit überlegner Meister in unsern kunstgeschichtlichen Handbüchern erscheine, eine vollkommen mythische Figur sei." Die Frage, wem die Bilder, die man bisher für Werke Grüne¬ walds gehalten hatte, zuzuschreiben seien, wird von Woltmann auf folgende Weise beantwortet: „Man könnte an Cranach selbst denken, dem die meisten früher zugeschrieben wurden. Doch bestehn auch wieder merkliche Verschieden¬ heiten zwischen ihnen und Cranachs sichern Werken. Soll man vielleicht an Crcmachs Vater denken? Jedenfalls fließt in diesen Werken die eigentliche Quelle von Cranachs Kunst." Der Nachweis Woltmanns fand die Zustimmung aller deutschen Forscher. Von nun an gab es nnr noch den Grünewald, der den Altar in Kolmar ge¬ malt hatte; dein frühern Grünewald dagegen gab man nun den Notnamcn „Pseudogrünewald," der so lange gelten sollte, bis sein wirklicher Name er¬ mittelt wäre. Otto Eisenmann war es, der 1875 diese Taufe vornahm. Sie drang aber zunächst nicht über die engen Kreise der Fachwissenschaft hinaus. Sie konnte es schon deshalb nicht, weil die Frage nur in fachwissenschaftlichen Zeitschriften erörtert wurde. Da brachte 1874 Wilhelm Schmidt (in der Augsburger Allgemeinen Zeitung) den überraschenden Nachweis, daß thatsächlich auch eins der fünf Bilder in der Pinakothek von dem echten Grünewald gemalt sei, nur die vier andern nicht. Ohne Zweifel habe sich eine Tradition hiervon erhalten, man habe ohne weitere Prüfung auch die vier übrigen, offenbar aus Crauachs Werkstatt stammenden Bilder für Werke Grünewalds erklärt und damit „eine yeulose Verwirrung angerichtet." Woltmann benutzte jede Gelegenheit, den echten Grünewald in seine Rechte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/45>, abgerufen am 28.07.2024.