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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der ältere jüngere Cranach

kleinen Altarflügel in der Aschaffenburger Schloßgalerie. Demselben Künstler
wies er dann noch einige andre Bilder in Wien, Mainz, Frankfurt usw. zu.
In dem Charakterbilde, das er von dem Künstler zu entwerfen suchte, wies er
auf eine gewisse Verwandtschaft mit Cranach hin und schloß daraus, daß
Grünewald zu Cranach "in nahem Verhältnis gestanden, vielleicht dessen
Lehrer oder Mitschüler gewesen" sei. Diese Annahme, sagt er, gewinne noch
dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß "einige" der Aschaffenburger Bilder aus
Halle stammten. "Befänden sich unter den von Halle nach Aschaffenburg ge¬
führten Gemälden einige von Grünewald, so wäre dessen Aufenthalt in dem
nördlichen Deutschland erwiesen und seine Übereinstimmung mit der BeHand¬
lungsweise Crcmachs leicht erklärlich."

Passavcmts Aufsatz bildete die Grundlage für alle weitern Forschungen
über Grünewald. Bei dem Ansehen, das Passavant als Kenner genoß, hielt
es niemand für nötig, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für seine Behaup¬
tungen auch richtig seien. Aber auch der als Kenner vielleicht uoch berühmtere
Waagen war auf seinen Reisen durch Deutschland unabhängig von Passavant
und fast zu derselben Zeit zu denselben Ergebnissen gekommen. Zu den Bildern,
die er außer denen in der Pinakothek Grünewald noch zuschrieb, gehörte unter
anderm der Pflocksche Altar in der Annenkirche in Annaberg. Und auch er
schreibt: "Ich bin fest überzeugt, in Grünewald den bisher unbekannten Lehrer
des Lukas Cranach gefunden zu haben." Inzwischen hatte sich auch Passa¬
vant noch weiter mit Grünewald beschäftigt, und er schrieb ihm nun auch das
große Altarwerk in der Marktkirche zu Halle zu, das bisher unter den Werken
Crcmachs aufgeführt worden war, meinte aber, Cranach sei an der Herstellung
beteiligt gewesen. Aus der Verteilung der Arbeit aber gehe klar hervor, daß
Grünewald als der Meister zu betrachten sei, bei dem das Werk bestellt worden
sei, Cranach als der tüchtigste seiner Schüler und Gehilfen die zweite Stelle
einnehme. Ferner wies er unter anderm auf ein Werk hin, das nach ältern
schriftlichen Überlieferungen von Grünewald sein sollte, auf den aus dem
Antonitertloster in Jsenhcim stammenden großen Flügelaltar in der Bibliothek¬
galerie in Kolmar, betonte aber zugleich den auffülligen Unterschied dieses
Werks von denen, die er selbst oder andre bisher Grünewald zugeschrieben
hatten. Zusammengefaßt wurden die zerstreuten Forschungen Passavcmts und
Wacigens in der zweiten Auflage von Kuglers Handbuch (1347). Der Name
Grünewald wurde damit den weitesten Kreisen bekannt.

Der Annahme, daß Cranach ein Schüler Grünewalds gewesen sei, trat
1851 zuerst Schuchardt, der bekannte Weimarer Cranachforscher, entgegen. Er
gab die Ähnlichkeit der Werke beider zu, meinte, daß man sie ohne genaueres
Studium wohl verwechseln könne, wies aber auch darauf hin, wie unwahr¬
scheinlich es sei, daß Cranach 1529, wo der Hallische Altar entstanden ist, in
seinem siebenundfünfzigsten Jahres), als Schüler oder Gehilfe an dem Werke
eines andern gearbeitet habe, und nahm ein andres Verhältnis zwischen beiden
an, etwa so, daß Grünewald und Cranach Mitschüler bei Cranachs Vater ge-


Der ältere jüngere Cranach

kleinen Altarflügel in der Aschaffenburger Schloßgalerie. Demselben Künstler
wies er dann noch einige andre Bilder in Wien, Mainz, Frankfurt usw. zu.
In dem Charakterbilde, das er von dem Künstler zu entwerfen suchte, wies er
auf eine gewisse Verwandtschaft mit Cranach hin und schloß daraus, daß
Grünewald zu Cranach „in nahem Verhältnis gestanden, vielleicht dessen
Lehrer oder Mitschüler gewesen" sei. Diese Annahme, sagt er, gewinne noch
dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß „einige" der Aschaffenburger Bilder aus
Halle stammten. „Befänden sich unter den von Halle nach Aschaffenburg ge¬
führten Gemälden einige von Grünewald, so wäre dessen Aufenthalt in dem
nördlichen Deutschland erwiesen und seine Übereinstimmung mit der BeHand¬
lungsweise Crcmachs leicht erklärlich."

Passavcmts Aufsatz bildete die Grundlage für alle weitern Forschungen
über Grünewald. Bei dem Ansehen, das Passavant als Kenner genoß, hielt
es niemand für nötig, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für seine Behaup¬
tungen auch richtig seien. Aber auch der als Kenner vielleicht uoch berühmtere
Waagen war auf seinen Reisen durch Deutschland unabhängig von Passavant
und fast zu derselben Zeit zu denselben Ergebnissen gekommen. Zu den Bildern,
die er außer denen in der Pinakothek Grünewald noch zuschrieb, gehörte unter
anderm der Pflocksche Altar in der Annenkirche in Annaberg. Und auch er
schreibt: „Ich bin fest überzeugt, in Grünewald den bisher unbekannten Lehrer
des Lukas Cranach gefunden zu haben." Inzwischen hatte sich auch Passa¬
vant noch weiter mit Grünewald beschäftigt, und er schrieb ihm nun auch das
große Altarwerk in der Marktkirche zu Halle zu, das bisher unter den Werken
Crcmachs aufgeführt worden war, meinte aber, Cranach sei an der Herstellung
beteiligt gewesen. Aus der Verteilung der Arbeit aber gehe klar hervor, daß
Grünewald als der Meister zu betrachten sei, bei dem das Werk bestellt worden
sei, Cranach als der tüchtigste seiner Schüler und Gehilfen die zweite Stelle
einnehme. Ferner wies er unter anderm auf ein Werk hin, das nach ältern
schriftlichen Überlieferungen von Grünewald sein sollte, auf den aus dem
Antonitertloster in Jsenhcim stammenden großen Flügelaltar in der Bibliothek¬
galerie in Kolmar, betonte aber zugleich den auffülligen Unterschied dieses
Werks von denen, die er selbst oder andre bisher Grünewald zugeschrieben
hatten. Zusammengefaßt wurden die zerstreuten Forschungen Passavcmts und
Wacigens in der zweiten Auflage von Kuglers Handbuch (1347). Der Name
Grünewald wurde damit den weitesten Kreisen bekannt.

Der Annahme, daß Cranach ein Schüler Grünewalds gewesen sei, trat
1851 zuerst Schuchardt, der bekannte Weimarer Cranachforscher, entgegen. Er
gab die Ähnlichkeit der Werke beider zu, meinte, daß man sie ohne genaueres
Studium wohl verwechseln könne, wies aber auch darauf hin, wie unwahr¬
scheinlich es sei, daß Cranach 1529, wo der Hallische Altar entstanden ist, in
seinem siebenundfünfzigsten Jahres), als Schüler oder Gehilfe an dem Werke
eines andern gearbeitet habe, und nahm ein andres Verhältnis zwischen beiden
an, etwa so, daß Grünewald und Cranach Mitschüler bei Cranachs Vater ge-


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[0044] Der ältere jüngere Cranach kleinen Altarflügel in der Aschaffenburger Schloßgalerie. Demselben Künstler wies er dann noch einige andre Bilder in Wien, Mainz, Frankfurt usw. zu. In dem Charakterbilde, das er von dem Künstler zu entwerfen suchte, wies er auf eine gewisse Verwandtschaft mit Cranach hin und schloß daraus, daß Grünewald zu Cranach „in nahem Verhältnis gestanden, vielleicht dessen Lehrer oder Mitschüler gewesen" sei. Diese Annahme, sagt er, gewinne noch dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß „einige" der Aschaffenburger Bilder aus Halle stammten. „Befänden sich unter den von Halle nach Aschaffenburg ge¬ führten Gemälden einige von Grünewald, so wäre dessen Aufenthalt in dem nördlichen Deutschland erwiesen und seine Übereinstimmung mit der BeHand¬ lungsweise Crcmachs leicht erklärlich." Passavcmts Aufsatz bildete die Grundlage für alle weitern Forschungen über Grünewald. Bei dem Ansehen, das Passavant als Kenner genoß, hielt es niemand für nötig, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für seine Behaup¬ tungen auch richtig seien. Aber auch der als Kenner vielleicht uoch berühmtere Waagen war auf seinen Reisen durch Deutschland unabhängig von Passavant und fast zu derselben Zeit zu denselben Ergebnissen gekommen. Zu den Bildern, die er außer denen in der Pinakothek Grünewald noch zuschrieb, gehörte unter anderm der Pflocksche Altar in der Annenkirche in Annaberg. Und auch er schreibt: „Ich bin fest überzeugt, in Grünewald den bisher unbekannten Lehrer des Lukas Cranach gefunden zu haben." Inzwischen hatte sich auch Passa¬ vant noch weiter mit Grünewald beschäftigt, und er schrieb ihm nun auch das große Altarwerk in der Marktkirche zu Halle zu, das bisher unter den Werken Crcmachs aufgeführt worden war, meinte aber, Cranach sei an der Herstellung beteiligt gewesen. Aus der Verteilung der Arbeit aber gehe klar hervor, daß Grünewald als der Meister zu betrachten sei, bei dem das Werk bestellt worden sei, Cranach als der tüchtigste seiner Schüler und Gehilfen die zweite Stelle einnehme. Ferner wies er unter anderm auf ein Werk hin, das nach ältern schriftlichen Überlieferungen von Grünewald sein sollte, auf den aus dem Antonitertloster in Jsenhcim stammenden großen Flügelaltar in der Bibliothek¬ galerie in Kolmar, betonte aber zugleich den auffülligen Unterschied dieses Werks von denen, die er selbst oder andre bisher Grünewald zugeschrieben hatten. Zusammengefaßt wurden die zerstreuten Forschungen Passavcmts und Wacigens in der zweiten Auflage von Kuglers Handbuch (1347). Der Name Grünewald wurde damit den weitesten Kreisen bekannt. Der Annahme, daß Cranach ein Schüler Grünewalds gewesen sei, trat 1851 zuerst Schuchardt, der bekannte Weimarer Cranachforscher, entgegen. Er gab die Ähnlichkeit der Werke beider zu, meinte, daß man sie ohne genaueres Studium wohl verwechseln könne, wies aber auch darauf hin, wie unwahr¬ scheinlich es sei, daß Cranach 1529, wo der Hallische Altar entstanden ist, in seinem siebenundfünfzigsten Jahres), als Schüler oder Gehilfe an dem Werke eines andern gearbeitet habe, und nahm ein andres Verhältnis zwischen beiden an, etwa so, daß Grünewald und Cranach Mitschüler bei Cranachs Vater ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/44>, abgerufen am 28.07.2024.