Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Briefe eines Zurückgekehrten jubelten. Überhaupt, wie leuchtete in diesen Kreisen der Stern Heines, Heller Andre Sekten und Kirchen haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sogar Briefe eines Zurückgekehrten jubelten. Überhaupt, wie leuchtete in diesen Kreisen der Stern Heines, Heller Andre Sekten und Kirchen haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sogar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236266"/> <fw type="header" place="top"> Briefe eines Zurückgekehrten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1685" prev="#ID_1684"> jubelten. Überhaupt, wie leuchtete in diesen Kreisen der Stern Heines, Heller<lb/> sicherlich, als er jemals in Deutschland geleuchtet hat. Die Agitation für<lb/> die Aufstellung seines in Düsseldorf abgelehnten Denkmals in Newhork, die<lb/> vor ein paar Jahren die deutsch-amerikanischen Kreise bewegte, war nur der<lb/> Ausfluß eines weit zurückreichenden Heinekultus der dortigen Halbbildung und<lb/> der oberflächlichem Elemente des deutsch-amerikanischen Judentums. In San<lb/> Francisco stand die deutsche freie Gemeinde einst hoher, aber ihr Führer schlug<lb/> sich nnr kümmerlich durch. Kurz, wenn man diese Bewegung verglich mit der<lb/> nahverwandten der Unitarier, fiel der Vergleich ganz ausgesprochen zu Gunsten<lb/> der Amerikaner aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1686" next="#ID_1687"> Andre Sekten und Kirchen haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sogar<lb/> die Lutheraner, die soviele kräftige Stützen und in den schon seit den dreißiger<lb/> Jahren eingewanderten Altlutheranern einen alten, überzeugungstreuen Kern<lb/> hatten, haben sich veruneinigt, gespalten, wiedervereinigt, ohne in all diesen<lb/> Wandlungen die Kraft zu gewinnen, die so manche kleine, schwach fundierte<lb/> Glaubensgemeinschaft der Amerikaner hat. Ich möchte nicht ohne weiteres<lb/> daraus folgern, wie man so ost drüben zu thun pflegt, daß der Deutsche ur¬<lb/> sprünglich weniger religiös angelegt sei als der Anglokelte. Es kommt zu¬<lb/> nächst nur die Kirchlichkeit in Frage. Und darin sind uns alle Anglotelten<lb/> überlegen, wie sie in allem den Vorsprung haben, was Unterordnung unter<lb/> anerkannte Führer, seien es nun Personen oder Gesellschaften, und daraus<lb/> folgende Ein- und Zusammengliederung und Zusammenhalt der Einzelnen<lb/> fordert. In keiner Gesellschaft versteht stillschweigend einer den andern so<lb/> genau wie hier, und in keiner folgen die Massen so gehorsam Befehlen der<lb/> Sitte, die nie ausgesprochen zu werden brauchen. Darin liegt ja auf allen<lb/> Gebieten die große und gefährliche Kraft des Anglokeltentums, daß alle Be¬<lb/> wegungen die Tendenz haben, ganz allgemein zu werden, das ganze Volk mit¬<lb/> zureißen. Nicht die Tiefe und die Verschiedenartigkeit, sondern die Allgemeinheit<lb/> des religiösen Zuges imponiert dem fremden Beobachter. Besser noch als die<lb/> Organisation der politischen Parteien und die sichere Schichtung der Gesellschaft<lb/> gelingt ihnen der Zusammenhalt der kirchlichen Gemeinschaft. Die Deutschen<lb/> treibt gerade in diesen uicht bloß der teutonische Individualismus, auf den sie<lb/> sich gern berufen, sondern, daß wir es offen bekennen, viel mehr der klein¬<lb/> liche Neid und der unverständige Eigensinn auseinander. Außerdem sind die<lb/> Bildungsgange und -ansprüche gerade in deutschen Kreisen verschiedner und<lb/> werden stärker betont als in anglokeltischen. Der zum Stcineklopfeu reduzierte<lb/> Deutsche, und wie viele ereilte dieses Geschick in den kritischen Jahren trans¬<lb/> atlantischer Eingewöhnung, der in der Heimat das Gymnasium durchlaufen<lb/> hat, sieht stolz auf deu reichgewordnen Kaufmann hinab, der nur die Volks¬<lb/> schule absolviert hat. Unzweifelhaft hat aber der Anglokelte mich eine reli¬<lb/> giöse Anlage von besondrer Kraft und Lust der Äußerung und des Schaffens.<lb/> Die deutsche Religiosität vertieft sich, hat einen Zug zum Innerlichen, die<lb/> anglokeltische wirkt, organisiert, macht Proselhten. Die Missionsthätigkeit<lb/> irischer und später angelsächsischer Mönche in ganz Mittel-, Nord- und West-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0444]
Briefe eines Zurückgekehrten
jubelten. Überhaupt, wie leuchtete in diesen Kreisen der Stern Heines, Heller
sicherlich, als er jemals in Deutschland geleuchtet hat. Die Agitation für
die Aufstellung seines in Düsseldorf abgelehnten Denkmals in Newhork, die
vor ein paar Jahren die deutsch-amerikanischen Kreise bewegte, war nur der
Ausfluß eines weit zurückreichenden Heinekultus der dortigen Halbbildung und
der oberflächlichem Elemente des deutsch-amerikanischen Judentums. In San
Francisco stand die deutsche freie Gemeinde einst hoher, aber ihr Führer schlug
sich nnr kümmerlich durch. Kurz, wenn man diese Bewegung verglich mit der
nahverwandten der Unitarier, fiel der Vergleich ganz ausgesprochen zu Gunsten
der Amerikaner aus.
Andre Sekten und Kirchen haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sogar
die Lutheraner, die soviele kräftige Stützen und in den schon seit den dreißiger
Jahren eingewanderten Altlutheranern einen alten, überzeugungstreuen Kern
hatten, haben sich veruneinigt, gespalten, wiedervereinigt, ohne in all diesen
Wandlungen die Kraft zu gewinnen, die so manche kleine, schwach fundierte
Glaubensgemeinschaft der Amerikaner hat. Ich möchte nicht ohne weiteres
daraus folgern, wie man so ost drüben zu thun pflegt, daß der Deutsche ur¬
sprünglich weniger religiös angelegt sei als der Anglokelte. Es kommt zu¬
nächst nur die Kirchlichkeit in Frage. Und darin sind uns alle Anglotelten
überlegen, wie sie in allem den Vorsprung haben, was Unterordnung unter
anerkannte Führer, seien es nun Personen oder Gesellschaften, und daraus
folgende Ein- und Zusammengliederung und Zusammenhalt der Einzelnen
fordert. In keiner Gesellschaft versteht stillschweigend einer den andern so
genau wie hier, und in keiner folgen die Massen so gehorsam Befehlen der
Sitte, die nie ausgesprochen zu werden brauchen. Darin liegt ja auf allen
Gebieten die große und gefährliche Kraft des Anglokeltentums, daß alle Be¬
wegungen die Tendenz haben, ganz allgemein zu werden, das ganze Volk mit¬
zureißen. Nicht die Tiefe und die Verschiedenartigkeit, sondern die Allgemeinheit
des religiösen Zuges imponiert dem fremden Beobachter. Besser noch als die
Organisation der politischen Parteien und die sichere Schichtung der Gesellschaft
gelingt ihnen der Zusammenhalt der kirchlichen Gemeinschaft. Die Deutschen
treibt gerade in diesen uicht bloß der teutonische Individualismus, auf den sie
sich gern berufen, sondern, daß wir es offen bekennen, viel mehr der klein¬
liche Neid und der unverständige Eigensinn auseinander. Außerdem sind die
Bildungsgange und -ansprüche gerade in deutschen Kreisen verschiedner und
werden stärker betont als in anglokeltischen. Der zum Stcineklopfeu reduzierte
Deutsche, und wie viele ereilte dieses Geschick in den kritischen Jahren trans¬
atlantischer Eingewöhnung, der in der Heimat das Gymnasium durchlaufen
hat, sieht stolz auf deu reichgewordnen Kaufmann hinab, der nur die Volks¬
schule absolviert hat. Unzweifelhaft hat aber der Anglokelte mich eine reli¬
giöse Anlage von besondrer Kraft und Lust der Äußerung und des Schaffens.
Die deutsche Religiosität vertieft sich, hat einen Zug zum Innerlichen, die
anglokeltische wirkt, organisiert, macht Proselhten. Die Missionsthätigkeit
irischer und später angelsächsischer Mönche in ganz Mittel-, Nord- und West-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |