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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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und versteh" es so einzurichten, daß man auch tu Fällen, wo die von ihnen ver-
tretne Ansicht aus einem andern Munde Widerspruch erfährt, sofort weiß, woran
man ist. Der Vertreter der mißliebigen Meinung wird dem Leser durch kleine,
scheinbar nebensächliche Bemerkungen verleidet. Der Familie Real, die die Helden
und Heldinnen liefert, steht die Familie des Grafen de La Mure gegenüber, der
sich als Bonnpartist und Konservativer nicht recht in das feurige und rücksichts¬
lose Wesen des Volkstribunen finden kann. Dafür, daß man sich dem, was er
über Gambetta sagt, nicht irrigerweise anschließt, ist durch sicher wirkende kleine
Hilfsmittel gesorgt. Während den Nealschen jungen Damen alle Reize der Jugend
und Amrne angerühmt werden, ist Mademoseille de La Mure uns Mtv se dlßms
Mrnv Ms, ihre Mutter wird als dicke Gräfin und aggressive Legitimistin gebrand¬
markt, und der Vater, der einen Teint wie altes Porzellan hat und Galoschen
trägt, legt diese in einem Augenblick an, wo die Familie Real, die allerdings nicht
wie er in die kalte Dezcmbernacht hinausfährt, sondern an den behaglichen Thee-
tisch in dem hellerleuchteten und snnftdnrchwärmten Salon zurückkehrt, infolge ihres
Patriotischen Feuers warme Füße hat und darum auch des Pelzes und des Fonlards,
mit denen sich der Sybarit gegen die Kälte schützt, nicht bedürfen würde. Auch
später in Bordeaux, nach der Genehmigung des Prnlüninarfriedens durch die Kon¬
stituierende Versammlung, steigt der unbegreifliche Graf -- welcher Patriot könnte
das in einem solchen Augenblicke thun! -- in eine funkelnde, mit mutigen Rossen
bespannte Kalesche (it AgZmrit, uns Iris-into oglöelnz, öanipaFe piatlÄnt,), und der
Hexenmeister, der sein Möglichstes gethan hat, ihn zu schneiden, sieht durch das
offne Wagenfenster 1a xrosso oomtssss sitzen, stolzer denn je (xlns vont'üg alö nwrgcnz
<zus i^unus) und Mademoiselle de La Mure, avec- hö, rcciäsur Mio.

Wie könnte man sich mit solchen Leuten gegen Gambetta zusammenthun!
Und doch haben auf uns, vielleicht weil wir Barbaren sind, weder die Galoschen
des Vaters noch die Korpulenz der Mutter oder das Plättbrett der Tochter einen
solchen Eindruck gemacht, daß wir ohne weiteres in den Margnerittischen Lobgesang
auf den Diktator einstimmen möchten. Es bleibt für uns vielmehr bei der bis¬
herigen Ansicht, daß Gambetta trotz seines Patriotismus, seiner Beredsamkeit und
seines organisatorischen Talents nicht der Kriegsminister und Stratege war, den
sich Frankreich unter den damaligen mißlichen Verhältnissen wünschen mußte, und
daß es im Gegenteil er und Freycinet sind, deren Unkenntnis vom Wesen des
modernen Kriegs man das namenlose Elend der französischen Truppen zuschreiben
muß, das sogar für die Wünsche des Gegners zu gräßlich und entwürdigend war.
An der Vortrefflichkeit der Gesinnungen und Absichten der beiden Patrioten zweifelt
niemand, den nicht Voreingenommenheit blendet. Nur das muß man ihnen zum
Vorwurf machen, daß sie einen für ihr Vaterland so gefahrvollen Augenblick dazu
benutzten, sich als Dilettanten in einer Kunst zu versuchen, die wie jede andre ge¬
lernt sein will, und die sie unbegreiflicherweise mit dem verwechselten, was Orga¬
nisatoren und Feldherren am Anfang des Jahrhunderts zu leisten gehabt hatten,
um dem auch damals einer brauchbaren ständigen Armee entbehrenden Frankreich
zum Siege zu verhelfen. Die Idee der Volksbewaffnung, des Massenaufgebots,
des Kriegs bis aufs Messer (to cont^t a, out-Airos, wie sich Gambetta ausdrückte)
hatte sie hypnotisiert. Sie glaubten, was einem Carnot, einem Bonapnrte am
Ende des achtzehnten Jahrhunderts gegen die Truppen der europäischen Koalitionen
gelungen war, ließe sich im Jahre 1870 Moltke gegenüber wiederholen. Die
mangelhaft verpflegten und gekleideten, im Hcmdnmdrehn formierten und instra-
dierten Haufen haben ja an gutem Willen, Begeistrung und Opferfreudigkeit das
Unglaubliche geleistet, und soweit Mut und Vaterlandsliebe einem Volke schon
an sich und ganz abgesehen vom Erfolge zu unvergänglichen Ruhm gereichen,
braucht Frankreich die für Gnmbcttas Pläne gebrachten Opfer nicht zu bereuen.


Grenzboten IV 1901 S1
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und versteh» es so einzurichten, daß man auch tu Fällen, wo die von ihnen ver-
tretne Ansicht aus einem andern Munde Widerspruch erfährt, sofort weiß, woran
man ist. Der Vertreter der mißliebigen Meinung wird dem Leser durch kleine,
scheinbar nebensächliche Bemerkungen verleidet. Der Familie Real, die die Helden
und Heldinnen liefert, steht die Familie des Grafen de La Mure gegenüber, der
sich als Bonnpartist und Konservativer nicht recht in das feurige und rücksichts¬
lose Wesen des Volkstribunen finden kann. Dafür, daß man sich dem, was er
über Gambetta sagt, nicht irrigerweise anschließt, ist durch sicher wirkende kleine
Hilfsmittel gesorgt. Während den Nealschen jungen Damen alle Reize der Jugend
und Amrne angerühmt werden, ist Mademoseille de La Mure uns Mtv se dlßms
Mrnv Ms, ihre Mutter wird als dicke Gräfin und aggressive Legitimistin gebrand¬
markt, und der Vater, der einen Teint wie altes Porzellan hat und Galoschen
trägt, legt diese in einem Augenblick an, wo die Familie Real, die allerdings nicht
wie er in die kalte Dezcmbernacht hinausfährt, sondern an den behaglichen Thee-
tisch in dem hellerleuchteten und snnftdnrchwärmten Salon zurückkehrt, infolge ihres
Patriotischen Feuers warme Füße hat und darum auch des Pelzes und des Fonlards,
mit denen sich der Sybarit gegen die Kälte schützt, nicht bedürfen würde. Auch
später in Bordeaux, nach der Genehmigung des Prnlüninarfriedens durch die Kon¬
stituierende Versammlung, steigt der unbegreifliche Graf — welcher Patriot könnte
das in einem solchen Augenblicke thun! — in eine funkelnde, mit mutigen Rossen
bespannte Kalesche (it AgZmrit, uns Iris-into oglöelnz, öanipaFe piatlÄnt,), und der
Hexenmeister, der sein Möglichstes gethan hat, ihn zu schneiden, sieht durch das
offne Wagenfenster 1a xrosso oomtssss sitzen, stolzer denn je (xlns vont'üg alö nwrgcnz
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Wie könnte man sich mit solchen Leuten gegen Gambetta zusammenthun!
Und doch haben auf uns, vielleicht weil wir Barbaren sind, weder die Galoschen
des Vaters noch die Korpulenz der Mutter oder das Plättbrett der Tochter einen
solchen Eindruck gemacht, daß wir ohne weiteres in den Margnerittischen Lobgesang
auf den Diktator einstimmen möchten. Es bleibt für uns vielmehr bei der bis¬
herigen Ansicht, daß Gambetta trotz seines Patriotismus, seiner Beredsamkeit und
seines organisatorischen Talents nicht der Kriegsminister und Stratege war, den
sich Frankreich unter den damaligen mißlichen Verhältnissen wünschen mußte, und
daß es im Gegenteil er und Freycinet sind, deren Unkenntnis vom Wesen des
modernen Kriegs man das namenlose Elend der französischen Truppen zuschreiben
muß, das sogar für die Wünsche des Gegners zu gräßlich und entwürdigend war.
An der Vortrefflichkeit der Gesinnungen und Absichten der beiden Patrioten zweifelt
niemand, den nicht Voreingenommenheit blendet. Nur das muß man ihnen zum
Vorwurf machen, daß sie einen für ihr Vaterland so gefahrvollen Augenblick dazu
benutzten, sich als Dilettanten in einer Kunst zu versuchen, die wie jede andre ge¬
lernt sein will, und die sie unbegreiflicherweise mit dem verwechselten, was Orga¬
nisatoren und Feldherren am Anfang des Jahrhunderts zu leisten gehabt hatten,
um dem auch damals einer brauchbaren ständigen Armee entbehrenden Frankreich
zum Siege zu verhelfen. Die Idee der Volksbewaffnung, des Massenaufgebots,
des Kriegs bis aufs Messer (to cont^t a, out-Airos, wie sich Gambetta ausdrückte)
hatte sie hypnotisiert. Sie glaubten, was einem Carnot, einem Bonapnrte am
Ende des achtzehnten Jahrhunderts gegen die Truppen der europäischen Koalitionen
gelungen war, ließe sich im Jahre 1870 Moltke gegenüber wiederholen. Die
mangelhaft verpflegten und gekleideten, im Hcmdnmdrehn formierten und instra-
dierten Haufen haben ja an gutem Willen, Begeistrung und Opferfreudigkeit das
Unglaubliche geleistet, und soweit Mut und Vaterlandsliebe einem Volke schon
an sich und ganz abgesehen vom Erfolge zu unvergänglichen Ruhm gereichen,
braucht Frankreich die für Gnmbcttas Pläne gebrachten Opfer nicht zu bereuen.


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[0409] trori^vus ein gio.i.ve und versteh» es so einzurichten, daß man auch tu Fällen, wo die von ihnen ver- tretne Ansicht aus einem andern Munde Widerspruch erfährt, sofort weiß, woran man ist. Der Vertreter der mißliebigen Meinung wird dem Leser durch kleine, scheinbar nebensächliche Bemerkungen verleidet. Der Familie Real, die die Helden und Heldinnen liefert, steht die Familie des Grafen de La Mure gegenüber, der sich als Bonnpartist und Konservativer nicht recht in das feurige und rücksichts¬ lose Wesen des Volkstribunen finden kann. Dafür, daß man sich dem, was er über Gambetta sagt, nicht irrigerweise anschließt, ist durch sicher wirkende kleine Hilfsmittel gesorgt. Während den Nealschen jungen Damen alle Reize der Jugend und Amrne angerühmt werden, ist Mademoseille de La Mure uns Mtv se dlßms Mrnv Ms, ihre Mutter wird als dicke Gräfin und aggressive Legitimistin gebrand¬ markt, und der Vater, der einen Teint wie altes Porzellan hat und Galoschen trägt, legt diese in einem Augenblick an, wo die Familie Real, die allerdings nicht wie er in die kalte Dezcmbernacht hinausfährt, sondern an den behaglichen Thee- tisch in dem hellerleuchteten und snnftdnrchwärmten Salon zurückkehrt, infolge ihres Patriotischen Feuers warme Füße hat und darum auch des Pelzes und des Fonlards, mit denen sich der Sybarit gegen die Kälte schützt, nicht bedürfen würde. Auch später in Bordeaux, nach der Genehmigung des Prnlüninarfriedens durch die Kon¬ stituierende Versammlung, steigt der unbegreifliche Graf — welcher Patriot könnte das in einem solchen Augenblicke thun! — in eine funkelnde, mit mutigen Rossen bespannte Kalesche (it AgZmrit, uns Iris-into oglöelnz, öanipaFe piatlÄnt,), und der Hexenmeister, der sein Möglichstes gethan hat, ihn zu schneiden, sieht durch das offne Wagenfenster 1a xrosso oomtssss sitzen, stolzer denn je (xlns vont'üg alö nwrgcnz <zus i^unus) und Mademoiselle de La Mure, avec- hö, rcciäsur Mio. Wie könnte man sich mit solchen Leuten gegen Gambetta zusammenthun! Und doch haben auf uns, vielleicht weil wir Barbaren sind, weder die Galoschen des Vaters noch die Korpulenz der Mutter oder das Plättbrett der Tochter einen solchen Eindruck gemacht, daß wir ohne weiteres in den Margnerittischen Lobgesang auf den Diktator einstimmen möchten. Es bleibt für uns vielmehr bei der bis¬ herigen Ansicht, daß Gambetta trotz seines Patriotismus, seiner Beredsamkeit und seines organisatorischen Talents nicht der Kriegsminister und Stratege war, den sich Frankreich unter den damaligen mißlichen Verhältnissen wünschen mußte, und daß es im Gegenteil er und Freycinet sind, deren Unkenntnis vom Wesen des modernen Kriegs man das namenlose Elend der französischen Truppen zuschreiben muß, das sogar für die Wünsche des Gegners zu gräßlich und entwürdigend war. An der Vortrefflichkeit der Gesinnungen und Absichten der beiden Patrioten zweifelt niemand, den nicht Voreingenommenheit blendet. Nur das muß man ihnen zum Vorwurf machen, daß sie einen für ihr Vaterland so gefahrvollen Augenblick dazu benutzten, sich als Dilettanten in einer Kunst zu versuchen, die wie jede andre ge¬ lernt sein will, und die sie unbegreiflicherweise mit dem verwechselten, was Orga¬ nisatoren und Feldherren am Anfang des Jahrhunderts zu leisten gehabt hatten, um dem auch damals einer brauchbaren ständigen Armee entbehrenden Frankreich zum Siege zu verhelfen. Die Idee der Volksbewaffnung, des Massenaufgebots, des Kriegs bis aufs Messer (to cont^t a, out-Airos, wie sich Gambetta ausdrückte) hatte sie hypnotisiert. Sie glaubten, was einem Carnot, einem Bonapnrte am Ende des achtzehnten Jahrhunderts gegen die Truppen der europäischen Koalitionen gelungen war, ließe sich im Jahre 1870 Moltke gegenüber wiederholen. Die mangelhaft verpflegten und gekleideten, im Hcmdnmdrehn formierten und instra- dierten Haufen haben ja an gutem Willen, Begeistrung und Opferfreudigkeit das Unglaubliche geleistet, und soweit Mut und Vaterlandsliebe einem Volke schon an sich und ganz abgesehen vom Erfolge zu unvergänglichen Ruhm gereichen, braucht Frankreich die für Gnmbcttas Pläne gebrachten Opfer nicht zu bereuen. Grenzboten IV 1901 S1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/409>, abgerufen am 01.09.2024.