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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Heimat Nliquels

das Fragebuch enthielt, und daß gleichwohl der Pastor sich damit zufrieden
gegeben habe, oder wenigstens stillschweigend darüber hinweggegangen sei. Ans
das Verhalten der übrigen Schüler, die sich hierdurch beeinträchtigt geglaubt
hätten, weil doch Miguels Antwort unrichtig gewesen sei, habe dann die Ant¬
wort des Geistlichen regelmäßig gelautet, daß sie das nicht verstünden, Johannes
Miguel oder ele son"s Iive-r habe aus einem andern Buche geantwortet, und
das sei mich richtig. Dabei Hütten sich dann die Frager beruhigen müssen,
aber plausibel sei ihnen die Sache nie erschienen. Was ihn aber selber an¬
beträfe, so habe er sich später das Ding so zurecht gelegt, daß wohl der etwas
furchtsame Geistliche einen Konflikt mit dein alten Hofmedikns gefürchtet hätte,
"der auch mit seinen Söhnen in den gelehrten Vücheru las."

So weit mein letzter Gewährsmann, der sich mir in seiner ganzen Unter¬
haltung, wie auch aus der letzten Bemerkung hervorgeht, als einen nachdenk¬
lichen Mann kund gab. Aber nicht allein als einen nachdenklichen, sondern auch
als einen, der mit seinen Gedanken das Richtige getroffen hatte. Der alte Miguel
war katholisch und hatte, soviel ich weiß, völlig mit seiner Kirche gebrochen,
aber das war kein Grund für ihn, sich zum Ersatz in den Schoß der reformierten
Orthodoxie zu flüchten. Von dem innern Widerspruch, worin er sich ohne
Zweifel mit den Glaubenssätzen der Dordrechter Synode befand, war ver¬
mutlich schon damals genug auf seinen jüngsten Sohn übergegangen, diesen
als gefürchteten oder wenigstens als unbequemer Gegner erscheinen zu lassen.

Noch eins kann daraus entnommen werden. Noch bis in die neuste Zeit
ist darüber in der Presse gestritten worden, ob der gestorbne Finanzminister,
in reinlicher Scheidung vom Katholizismus, ausgesprochen einer der protestan¬
tischen Kirchen angehört habe. Schon aus dem vorher erzählten kann man
sich hierüber Gewißheit verschaffen. Denn daß der junge Miguel mit dem
Wissen der Eltern an dem reformierten Konfirmationsunterricht teilgenommen
habe, ohne daß dieser Thatsache durch die Einsegnung in derselben Kirche die
spätere Folge gegeben worden sei, ist einfach undenkbar. Deshalb wußte auch
in Neuenhaus von jeher niemand anders, als daß der unter ihnen geborne
Finanzminister reformierter Konfession sei. Auch das wußte mau, daß er i"
der katholischen Kirche getauft worden war. Indes, wer kanns wissen? Trotz
unsrer Neneiihaus-Bentheimischen Gewißheit waren in der großen Welt perio¬
disch immer wieder Zweifel laut geworden, und so wandte ich mich kurzerhand
an den jetzigen katholischen Pfarrer in Neneiihans. Von diesem Herrn nun
ist eine cmltliche Bescheinigung in meinem Besitz, daß Johannes Miguel katho¬
lisch getauft worden sei, während derselbe Herr mir privatim mitteilt, daß die
spätere Einsegnung reformiert war.

Dieses ist das einzige thatsächliche, was über die äußere Stellung Miguels
zur christlichen Kirche gesagt werden kann. Und sein inneres Verhalten dazu?
Die Frage soll uns deshalb nicht beschäftigen, weil ihre Erörterung für den
Zweck dieser Veröffentlichung von wenig oder gar keinem Belang sein würde.
Ob der Heimgegangne ein gläubiger Christ war, soll uns so wenig beschäftigen,
wie die andre Frage, mit welchem Rechte er zu den wirklich großen Staats-


Aus der Heimat Nliquels

das Fragebuch enthielt, und daß gleichwohl der Pastor sich damit zufrieden
gegeben habe, oder wenigstens stillschweigend darüber hinweggegangen sei. Ans
das Verhalten der übrigen Schüler, die sich hierdurch beeinträchtigt geglaubt
hätten, weil doch Miguels Antwort unrichtig gewesen sei, habe dann die Ant¬
wort des Geistlichen regelmäßig gelautet, daß sie das nicht verstünden, Johannes
Miguel oder ele son»s Iive-r habe aus einem andern Buche geantwortet, und
das sei mich richtig. Dabei Hütten sich dann die Frager beruhigen müssen,
aber plausibel sei ihnen die Sache nie erschienen. Was ihn aber selber an¬
beträfe, so habe er sich später das Ding so zurecht gelegt, daß wohl der etwas
furchtsame Geistliche einen Konflikt mit dein alten Hofmedikns gefürchtet hätte,
„der auch mit seinen Söhnen in den gelehrten Vücheru las."

So weit mein letzter Gewährsmann, der sich mir in seiner ganzen Unter¬
haltung, wie auch aus der letzten Bemerkung hervorgeht, als einen nachdenk¬
lichen Mann kund gab. Aber nicht allein als einen nachdenklichen, sondern auch
als einen, der mit seinen Gedanken das Richtige getroffen hatte. Der alte Miguel
war katholisch und hatte, soviel ich weiß, völlig mit seiner Kirche gebrochen,
aber das war kein Grund für ihn, sich zum Ersatz in den Schoß der reformierten
Orthodoxie zu flüchten. Von dem innern Widerspruch, worin er sich ohne
Zweifel mit den Glaubenssätzen der Dordrechter Synode befand, war ver¬
mutlich schon damals genug auf seinen jüngsten Sohn übergegangen, diesen
als gefürchteten oder wenigstens als unbequemer Gegner erscheinen zu lassen.

Noch eins kann daraus entnommen werden. Noch bis in die neuste Zeit
ist darüber in der Presse gestritten worden, ob der gestorbne Finanzminister,
in reinlicher Scheidung vom Katholizismus, ausgesprochen einer der protestan¬
tischen Kirchen angehört habe. Schon aus dem vorher erzählten kann man
sich hierüber Gewißheit verschaffen. Denn daß der junge Miguel mit dem
Wissen der Eltern an dem reformierten Konfirmationsunterricht teilgenommen
habe, ohne daß dieser Thatsache durch die Einsegnung in derselben Kirche die
spätere Folge gegeben worden sei, ist einfach undenkbar. Deshalb wußte auch
in Neuenhaus von jeher niemand anders, als daß der unter ihnen geborne
Finanzminister reformierter Konfession sei. Auch das wußte mau, daß er i»
der katholischen Kirche getauft worden war. Indes, wer kanns wissen? Trotz
unsrer Neneiihaus-Bentheimischen Gewißheit waren in der großen Welt perio¬
disch immer wieder Zweifel laut geworden, und so wandte ich mich kurzerhand
an den jetzigen katholischen Pfarrer in Neneiihans. Von diesem Herrn nun
ist eine cmltliche Bescheinigung in meinem Besitz, daß Johannes Miguel katho¬
lisch getauft worden sei, während derselbe Herr mir privatim mitteilt, daß die
spätere Einsegnung reformiert war.

Dieses ist das einzige thatsächliche, was über die äußere Stellung Miguels
zur christlichen Kirche gesagt werden kann. Und sein inneres Verhalten dazu?
Die Frage soll uns deshalb nicht beschäftigen, weil ihre Erörterung für den
Zweck dieser Veröffentlichung von wenig oder gar keinem Belang sein würde.
Ob der Heimgegangne ein gläubiger Christ war, soll uns so wenig beschäftigen,
wie die andre Frage, mit welchem Rechte er zu den wirklich großen Staats-


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[0399] Aus der Heimat Nliquels das Fragebuch enthielt, und daß gleichwohl der Pastor sich damit zufrieden gegeben habe, oder wenigstens stillschweigend darüber hinweggegangen sei. Ans das Verhalten der übrigen Schüler, die sich hierdurch beeinträchtigt geglaubt hätten, weil doch Miguels Antwort unrichtig gewesen sei, habe dann die Ant¬ wort des Geistlichen regelmäßig gelautet, daß sie das nicht verstünden, Johannes Miguel oder ele son»s Iive-r habe aus einem andern Buche geantwortet, und das sei mich richtig. Dabei Hütten sich dann die Frager beruhigen müssen, aber plausibel sei ihnen die Sache nie erschienen. Was ihn aber selber an¬ beträfe, so habe er sich später das Ding so zurecht gelegt, daß wohl der etwas furchtsame Geistliche einen Konflikt mit dein alten Hofmedikns gefürchtet hätte, „der auch mit seinen Söhnen in den gelehrten Vücheru las." So weit mein letzter Gewährsmann, der sich mir in seiner ganzen Unter¬ haltung, wie auch aus der letzten Bemerkung hervorgeht, als einen nachdenk¬ lichen Mann kund gab. Aber nicht allein als einen nachdenklichen, sondern auch als einen, der mit seinen Gedanken das Richtige getroffen hatte. Der alte Miguel war katholisch und hatte, soviel ich weiß, völlig mit seiner Kirche gebrochen, aber das war kein Grund für ihn, sich zum Ersatz in den Schoß der reformierten Orthodoxie zu flüchten. Von dem innern Widerspruch, worin er sich ohne Zweifel mit den Glaubenssätzen der Dordrechter Synode befand, war ver¬ mutlich schon damals genug auf seinen jüngsten Sohn übergegangen, diesen als gefürchteten oder wenigstens als unbequemer Gegner erscheinen zu lassen. Noch eins kann daraus entnommen werden. Noch bis in die neuste Zeit ist darüber in der Presse gestritten worden, ob der gestorbne Finanzminister, in reinlicher Scheidung vom Katholizismus, ausgesprochen einer der protestan¬ tischen Kirchen angehört habe. Schon aus dem vorher erzählten kann man sich hierüber Gewißheit verschaffen. Denn daß der junge Miguel mit dem Wissen der Eltern an dem reformierten Konfirmationsunterricht teilgenommen habe, ohne daß dieser Thatsache durch die Einsegnung in derselben Kirche die spätere Folge gegeben worden sei, ist einfach undenkbar. Deshalb wußte auch in Neuenhaus von jeher niemand anders, als daß der unter ihnen geborne Finanzminister reformierter Konfession sei. Auch das wußte mau, daß er i» der katholischen Kirche getauft worden war. Indes, wer kanns wissen? Trotz unsrer Neneiihaus-Bentheimischen Gewißheit waren in der großen Welt perio¬ disch immer wieder Zweifel laut geworden, und so wandte ich mich kurzerhand an den jetzigen katholischen Pfarrer in Neneiihans. Von diesem Herrn nun ist eine cmltliche Bescheinigung in meinem Besitz, daß Johannes Miguel katho¬ lisch getauft worden sei, während derselbe Herr mir privatim mitteilt, daß die spätere Einsegnung reformiert war. Dieses ist das einzige thatsächliche, was über die äußere Stellung Miguels zur christlichen Kirche gesagt werden kann. Und sein inneres Verhalten dazu? Die Frage soll uns deshalb nicht beschäftigen, weil ihre Erörterung für den Zweck dieser Veröffentlichung von wenig oder gar keinem Belang sein würde. Ob der Heimgegangne ein gläubiger Christ war, soll uns so wenig beschäftigen, wie die andre Frage, mit welchem Rechte er zu den wirklich großen Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/399>, abgerufen am 01.09.2024.