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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Heimat Miguels

der Arbeit was erzählten, dann war auch die Pfeife tüchtig im Zuge. Auf
die Straße wagte er sie für gewöhnlich nicht mitzunehmen, aber eines Tages,
als der Vater nur früher als gewöhnlich Feierabend bewilligt hatte, that er
es doch. Mein Vater kommt heute so früh nicht zurück, sagte er zu mir, aber
kaum waren die Worte heraus, da hörten wir die bekannten Hufschläge, und
Sie hätten sehen sollen, wie rasch die Pfeife unter meinem Rocke verschwand.

Ja auf der Straße mit ihm gespielt habe ich nur wenig oder gar nicht,
weil der Vater mich schon früh bei der Arbeit gebrauchte, aber als wir älter
wurden, da sind wir wohl, wenn es die Zeit zuließ, zusammen ins Feld ge¬
gangen. Was wir da miteinander gesprochen haben, ja, wer will sich darauf
noch besinnen? Viel was großes wirds Wohl nicht gewesen sein; er hat gewiß
ebensowenig daran gedacht wie ich, daß er ein so berühmter Mann werden
würde. Hochmütig war Johannes Miqnel auch uicht, aber ein guter und
zuverlässiger Kamerad -- das war er, das habe ich auch von andern gehört.

Das letzte und alles andre auch fand ich an meiner dritten Quelle be¬
stätigt. Der Schneidermeister hatte nicht uur die Straße mit ihm unsicher
gemacht, sondern war auch mit ihm in die .Kinderlehre gegangen. Im Murmel¬
spiel -- in Neucnhaus nennen, sie es Knickerspiel -- wäre er allen über ge¬
wesen, aber grundehrlich sei es immer dabei zugegangen. Keinem der Gespielen
sei es jemals in den Sinn gekommen, daß der Sohn des Hofmeditns etwas
andres gewesen sei, als sie selber. Eine rückhaltlose Kameradschaft, die sich
in fröhlicher Jagd durch die Straßen und Heckengäuge geäußert und in
manchem losen Streich bewährt habe. Johannes Miqnel war niemals ein
Spielverderber, und so war er anch mit dabei, als eines guten Tags die
Rangen einen jungen Bauern verleiteten, ihrem Beispiele zu folgen und am
Mast eines Tvrfschisses emporzuklimmen. Der arglose Landmann merkte es
nicht, daß einer von den behenden Burschen ihm folgte, das herabhängende
Segcltau um seine Beine schlang und in einen festen Knoten schlug. Ji verd ....
Stadtfenten,") schalt der Gefesselte von oben herunter und glaubte, seinen
Peinigern durch Drohungen zu imponieren. Aber das war gerade daS ver¬
kehrteste, was er thun konnte, der notleidende Landmann wurde nicht eher
aus der Patsche gelassen, als bis er leine Hand mehr rühren konnte und
klüglich um Mitleid flehte. Was brauchte er sich auch auf Schiffahrt und
Handel einzulassen?

Das war die Straße, und nnn die Kinderlehre oder der Konfirmations-
unterricht? Mit dem Lernen des Katechismus sei es bei Johannes immer
nur wacklig bestellt gewesen. Häusig genug habe Herr Wilmsen, so hieß
mein Schneidermeister, dein Gefragten die Antwort ins Ohr flüstern müssen.
Nicht selten sei es auch vorgekommen, daß dieser auf deutsch -- der Unter¬
richt war sonst holländisch^) --- eine ganz andre Antwort gegeben habe, als




Das altdeutsche Fant. In Uhlcmds Roland Schildträger heißt es: "Sag an, Roland,
du junger Fant."
") Es hat lange gedauert, bis das Deutsche sich den Bentheimischen Grenzbezirk erobert
hat. Noch jetzt ist in Neuenhaus der Nachmittagsgottesdienst holländisch.
Aus der Heimat Miguels

der Arbeit was erzählten, dann war auch die Pfeife tüchtig im Zuge. Auf
die Straße wagte er sie für gewöhnlich nicht mitzunehmen, aber eines Tages,
als der Vater nur früher als gewöhnlich Feierabend bewilligt hatte, that er
es doch. Mein Vater kommt heute so früh nicht zurück, sagte er zu mir, aber
kaum waren die Worte heraus, da hörten wir die bekannten Hufschläge, und
Sie hätten sehen sollen, wie rasch die Pfeife unter meinem Rocke verschwand.

Ja auf der Straße mit ihm gespielt habe ich nur wenig oder gar nicht,
weil der Vater mich schon früh bei der Arbeit gebrauchte, aber als wir älter
wurden, da sind wir wohl, wenn es die Zeit zuließ, zusammen ins Feld ge¬
gangen. Was wir da miteinander gesprochen haben, ja, wer will sich darauf
noch besinnen? Viel was großes wirds Wohl nicht gewesen sein; er hat gewiß
ebensowenig daran gedacht wie ich, daß er ein so berühmter Mann werden
würde. Hochmütig war Johannes Miqnel auch uicht, aber ein guter und
zuverlässiger Kamerad — das war er, das habe ich auch von andern gehört.

Das letzte und alles andre auch fand ich an meiner dritten Quelle be¬
stätigt. Der Schneidermeister hatte nicht uur die Straße mit ihm unsicher
gemacht, sondern war auch mit ihm in die .Kinderlehre gegangen. Im Murmel¬
spiel — in Neucnhaus nennen, sie es Knickerspiel — wäre er allen über ge¬
wesen, aber grundehrlich sei es immer dabei zugegangen. Keinem der Gespielen
sei es jemals in den Sinn gekommen, daß der Sohn des Hofmeditns etwas
andres gewesen sei, als sie selber. Eine rückhaltlose Kameradschaft, die sich
in fröhlicher Jagd durch die Straßen und Heckengäuge geäußert und in
manchem losen Streich bewährt habe. Johannes Miqnel war niemals ein
Spielverderber, und so war er anch mit dabei, als eines guten Tags die
Rangen einen jungen Bauern verleiteten, ihrem Beispiele zu folgen und am
Mast eines Tvrfschisses emporzuklimmen. Der arglose Landmann merkte es
nicht, daß einer von den behenden Burschen ihm folgte, das herabhängende
Segcltau um seine Beine schlang und in einen festen Knoten schlug. Ji verd ....
Stadtfenten,") schalt der Gefesselte von oben herunter und glaubte, seinen
Peinigern durch Drohungen zu imponieren. Aber das war gerade daS ver¬
kehrteste, was er thun konnte, der notleidende Landmann wurde nicht eher
aus der Patsche gelassen, als bis er leine Hand mehr rühren konnte und
klüglich um Mitleid flehte. Was brauchte er sich auch auf Schiffahrt und
Handel einzulassen?

Das war die Straße, und nnn die Kinderlehre oder der Konfirmations-
unterricht? Mit dem Lernen des Katechismus sei es bei Johannes immer
nur wacklig bestellt gewesen. Häusig genug habe Herr Wilmsen, so hieß
mein Schneidermeister, dein Gefragten die Antwort ins Ohr flüstern müssen.
Nicht selten sei es auch vorgekommen, daß dieser auf deutsch — der Unter¬
richt war sonst holländisch^) —- eine ganz andre Antwort gegeben habe, als




Das altdeutsche Fant. In Uhlcmds Roland Schildträger heißt es: „Sag an, Roland,
du junger Fant."
") Es hat lange gedauert, bis das Deutsche sich den Bentheimischen Grenzbezirk erobert
hat. Noch jetzt ist in Neuenhaus der Nachmittagsgottesdienst holländisch.
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[0398] Aus der Heimat Miguels der Arbeit was erzählten, dann war auch die Pfeife tüchtig im Zuge. Auf die Straße wagte er sie für gewöhnlich nicht mitzunehmen, aber eines Tages, als der Vater nur früher als gewöhnlich Feierabend bewilligt hatte, that er es doch. Mein Vater kommt heute so früh nicht zurück, sagte er zu mir, aber kaum waren die Worte heraus, da hörten wir die bekannten Hufschläge, und Sie hätten sehen sollen, wie rasch die Pfeife unter meinem Rocke verschwand. Ja auf der Straße mit ihm gespielt habe ich nur wenig oder gar nicht, weil der Vater mich schon früh bei der Arbeit gebrauchte, aber als wir älter wurden, da sind wir wohl, wenn es die Zeit zuließ, zusammen ins Feld ge¬ gangen. Was wir da miteinander gesprochen haben, ja, wer will sich darauf noch besinnen? Viel was großes wirds Wohl nicht gewesen sein; er hat gewiß ebensowenig daran gedacht wie ich, daß er ein so berühmter Mann werden würde. Hochmütig war Johannes Miqnel auch uicht, aber ein guter und zuverlässiger Kamerad — das war er, das habe ich auch von andern gehört. Das letzte und alles andre auch fand ich an meiner dritten Quelle be¬ stätigt. Der Schneidermeister hatte nicht uur die Straße mit ihm unsicher gemacht, sondern war auch mit ihm in die .Kinderlehre gegangen. Im Murmel¬ spiel — in Neucnhaus nennen, sie es Knickerspiel — wäre er allen über ge¬ wesen, aber grundehrlich sei es immer dabei zugegangen. Keinem der Gespielen sei es jemals in den Sinn gekommen, daß der Sohn des Hofmeditns etwas andres gewesen sei, als sie selber. Eine rückhaltlose Kameradschaft, die sich in fröhlicher Jagd durch die Straßen und Heckengäuge geäußert und in manchem losen Streich bewährt habe. Johannes Miqnel war niemals ein Spielverderber, und so war er anch mit dabei, als eines guten Tags die Rangen einen jungen Bauern verleiteten, ihrem Beispiele zu folgen und am Mast eines Tvrfschisses emporzuklimmen. Der arglose Landmann merkte es nicht, daß einer von den behenden Burschen ihm folgte, das herabhängende Segcltau um seine Beine schlang und in einen festen Knoten schlug. Ji verd .... Stadtfenten,") schalt der Gefesselte von oben herunter und glaubte, seinen Peinigern durch Drohungen zu imponieren. Aber das war gerade daS ver¬ kehrteste, was er thun konnte, der notleidende Landmann wurde nicht eher aus der Patsche gelassen, als bis er leine Hand mehr rühren konnte und klüglich um Mitleid flehte. Was brauchte er sich auch auf Schiffahrt und Handel einzulassen? Das war die Straße, und nnn die Kinderlehre oder der Konfirmations- unterricht? Mit dem Lernen des Katechismus sei es bei Johannes immer nur wacklig bestellt gewesen. Häusig genug habe Herr Wilmsen, so hieß mein Schneidermeister, dein Gefragten die Antwort ins Ohr flüstern müssen. Nicht selten sei es auch vorgekommen, daß dieser auf deutsch — der Unter¬ richt war sonst holländisch^) —- eine ganz andre Antwort gegeben habe, als Das altdeutsche Fant. In Uhlcmds Roland Schildträger heißt es: „Sag an, Roland, du junger Fant." ") Es hat lange gedauert, bis das Deutsche sich den Bentheimischen Grenzbezirk erobert hat. Noch jetzt ist in Neuenhaus der Nachmittagsgottesdienst holländisch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/398>, abgerufen am 01.09.2024.