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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Briefe ans Paris und Spanien von Llara Bitter

die Verhältnisse richtig zu beurteilen imstande gewesen ist, lassen wir dahin-
gestellt: im großen und ganzen giebt sie uns von dem, was sie in Spanien
gesehen, gehört und erlebt hat, ein so farbenreiches und in vielen Beziehungen
so ausgeführtes Bild, daß man über ihren scharfen und richtigen Blick immer
von neuem erstaunt ist. Wer die dortigen Volkszustände aus den neusten
Romanen spanischer Feder auch nur einigermaßen kennt, wird mit uns darin
übereinstimmen, daß sie die vou unsrer Landsmännin geschilderten Zustände
unter überraschend ähnlichen Zügen wiedergeben. Es kann leider nicht in
Abrede gestellt werden, und gerade die besten und aufrichtigsten Katholiken
werden das mit uus am schmerzlichsten fühlen, daß ein Teil dessen, was
so schwer auf dem unzweifelhaft zurückgegnngnen, in vielfacher Beziehung so
edeln und reichbegabten spanischen Volke lastet, auf Auswüchse und Mißbrüuche
der Priesterherrschaft, des Klosterunfugs und einer sich in Aberglauben und
leeres Formenwesen verirrenden Frömmigkeit zurückgeführt werden muß. Bettelei,
Faulenzerei, Unwissenheit und Aberglaube tragen ja bekanntlich die Schuld
daran, daß es mit der Macht und dem Wohlstand Spaniens von Jahr zu
Jahr mehr und mehr abwärts geht: aber mit dieser Erkenntnis ist freilich
wenig genug geholfen, denn wo soll unter solchen Umstünden der Grund ge¬
funden werden, auf dein sich die Säulen der Aufklärung und der Volksbildung
errichten ließen? Man steht hier vor einer schwer lösbaren Frage, vor einer
sich wenig hoffnungsvoll gestaltenden Aussicht in die Zukunft. Und doch
bringt Clara Bitter in ihren Briefen eine Menge kleiner Züge zum Vorschein,
die einem den spanischen Volkscharakter, was Gefälligkeit, Patriotismus, liebens¬
würdiges Wesen und fromme Gesinnung anlangt, in sehr freundlichem, ge¬
fülligem Lichte zeigen: gerade für diese Züge hat das mit vielem harmlosen
Humor begabte, selten zu schwarz sehende Fräulein den richtigen Blick, und
sie versteht die gewonnenen Eindrücke so glücklich wiederzugeben, daß man mit¬
unter über ihren trocknen Witz laut lachen muß.

Wir haben einige der verwegnen Geschichten, auf die sie in dem einen
oder dem andern Brief schalkhaft anspielt, und die sämtlich durchaus harm¬
loser und unverfänglicher Natur sind, schon in andern Berichten über das Buch
erwähnt gefunden und überlassen es darum dem Leser, sich selbst das heraus¬
zusuchen, was ihm am spaßhaftesten vorkommt oder ihm sonst am besten zu¬
sagt. Uns hat eine überaus einfache, aus dein Leben gegriffne Szene ganz
besondres Vergnügen gemacht. Es ist die, wo Clara, die auf der Fahrt
zwischen La Cornnci und Santjago auf der Jmperiale Platz genommen hat,
den Rosselenker durch ihre Unempfindlichkeit gegen die Unbilden der Witterung,
Hitze, Sonnenbrand und Staub so in Erstaunen setzt, daß er seiner Ver¬
blüffung in den an den Pferdejungen gerichteten Worten Ausdruck giebt:
"Die Frau ist nicht von dieser Welt." So kommt es dem Leser bisweilen
auch vor.

Auch ein Jnterrogatorinm, das ein Postbeamter in Pontevedra mit unsrer
Reisenden anstellt, endet in sehr drolliger Weise. Nachdem sie ihn alle Ratio-


Briefe ans Paris und Spanien von Llara Bitter

die Verhältnisse richtig zu beurteilen imstande gewesen ist, lassen wir dahin-
gestellt: im großen und ganzen giebt sie uns von dem, was sie in Spanien
gesehen, gehört und erlebt hat, ein so farbenreiches und in vielen Beziehungen
so ausgeführtes Bild, daß man über ihren scharfen und richtigen Blick immer
von neuem erstaunt ist. Wer die dortigen Volkszustände aus den neusten
Romanen spanischer Feder auch nur einigermaßen kennt, wird mit uns darin
übereinstimmen, daß sie die vou unsrer Landsmännin geschilderten Zustände
unter überraschend ähnlichen Zügen wiedergeben. Es kann leider nicht in
Abrede gestellt werden, und gerade die besten und aufrichtigsten Katholiken
werden das mit uus am schmerzlichsten fühlen, daß ein Teil dessen, was
so schwer auf dem unzweifelhaft zurückgegnngnen, in vielfacher Beziehung so
edeln und reichbegabten spanischen Volke lastet, auf Auswüchse und Mißbrüuche
der Priesterherrschaft, des Klosterunfugs und einer sich in Aberglauben und
leeres Formenwesen verirrenden Frömmigkeit zurückgeführt werden muß. Bettelei,
Faulenzerei, Unwissenheit und Aberglaube tragen ja bekanntlich die Schuld
daran, daß es mit der Macht und dem Wohlstand Spaniens von Jahr zu
Jahr mehr und mehr abwärts geht: aber mit dieser Erkenntnis ist freilich
wenig genug geholfen, denn wo soll unter solchen Umstünden der Grund ge¬
funden werden, auf dein sich die Säulen der Aufklärung und der Volksbildung
errichten ließen? Man steht hier vor einer schwer lösbaren Frage, vor einer
sich wenig hoffnungsvoll gestaltenden Aussicht in die Zukunft. Und doch
bringt Clara Bitter in ihren Briefen eine Menge kleiner Züge zum Vorschein,
die einem den spanischen Volkscharakter, was Gefälligkeit, Patriotismus, liebens¬
würdiges Wesen und fromme Gesinnung anlangt, in sehr freundlichem, ge¬
fülligem Lichte zeigen: gerade für diese Züge hat das mit vielem harmlosen
Humor begabte, selten zu schwarz sehende Fräulein den richtigen Blick, und
sie versteht die gewonnenen Eindrücke so glücklich wiederzugeben, daß man mit¬
unter über ihren trocknen Witz laut lachen muß.

Wir haben einige der verwegnen Geschichten, auf die sie in dem einen
oder dem andern Brief schalkhaft anspielt, und die sämtlich durchaus harm¬
loser und unverfänglicher Natur sind, schon in andern Berichten über das Buch
erwähnt gefunden und überlassen es darum dem Leser, sich selbst das heraus¬
zusuchen, was ihm am spaßhaftesten vorkommt oder ihm sonst am besten zu¬
sagt. Uns hat eine überaus einfache, aus dein Leben gegriffne Szene ganz
besondres Vergnügen gemacht. Es ist die, wo Clara, die auf der Fahrt
zwischen La Cornnci und Santjago auf der Jmperiale Platz genommen hat,
den Rosselenker durch ihre Unempfindlichkeit gegen die Unbilden der Witterung,
Hitze, Sonnenbrand und Staub so in Erstaunen setzt, daß er seiner Ver¬
blüffung in den an den Pferdejungen gerichteten Worten Ausdruck giebt:
»Die Frau ist nicht von dieser Welt." So kommt es dem Leser bisweilen
auch vor.

Auch ein Jnterrogatorinm, das ein Postbeamter in Pontevedra mit unsrer
Reisenden anstellt, endet in sehr drolliger Weise. Nachdem sie ihn alle Ratio-


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[0039] Briefe ans Paris und Spanien von Llara Bitter die Verhältnisse richtig zu beurteilen imstande gewesen ist, lassen wir dahin- gestellt: im großen und ganzen giebt sie uns von dem, was sie in Spanien gesehen, gehört und erlebt hat, ein so farbenreiches und in vielen Beziehungen so ausgeführtes Bild, daß man über ihren scharfen und richtigen Blick immer von neuem erstaunt ist. Wer die dortigen Volkszustände aus den neusten Romanen spanischer Feder auch nur einigermaßen kennt, wird mit uns darin übereinstimmen, daß sie die vou unsrer Landsmännin geschilderten Zustände unter überraschend ähnlichen Zügen wiedergeben. Es kann leider nicht in Abrede gestellt werden, und gerade die besten und aufrichtigsten Katholiken werden das mit uus am schmerzlichsten fühlen, daß ein Teil dessen, was so schwer auf dem unzweifelhaft zurückgegnngnen, in vielfacher Beziehung so edeln und reichbegabten spanischen Volke lastet, auf Auswüchse und Mißbrüuche der Priesterherrschaft, des Klosterunfugs und einer sich in Aberglauben und leeres Formenwesen verirrenden Frömmigkeit zurückgeführt werden muß. Bettelei, Faulenzerei, Unwissenheit und Aberglaube tragen ja bekanntlich die Schuld daran, daß es mit der Macht und dem Wohlstand Spaniens von Jahr zu Jahr mehr und mehr abwärts geht: aber mit dieser Erkenntnis ist freilich wenig genug geholfen, denn wo soll unter solchen Umstünden der Grund ge¬ funden werden, auf dein sich die Säulen der Aufklärung und der Volksbildung errichten ließen? Man steht hier vor einer schwer lösbaren Frage, vor einer sich wenig hoffnungsvoll gestaltenden Aussicht in die Zukunft. Und doch bringt Clara Bitter in ihren Briefen eine Menge kleiner Züge zum Vorschein, die einem den spanischen Volkscharakter, was Gefälligkeit, Patriotismus, liebens¬ würdiges Wesen und fromme Gesinnung anlangt, in sehr freundlichem, ge¬ fülligem Lichte zeigen: gerade für diese Züge hat das mit vielem harmlosen Humor begabte, selten zu schwarz sehende Fräulein den richtigen Blick, und sie versteht die gewonnenen Eindrücke so glücklich wiederzugeben, daß man mit¬ unter über ihren trocknen Witz laut lachen muß. Wir haben einige der verwegnen Geschichten, auf die sie in dem einen oder dem andern Brief schalkhaft anspielt, und die sämtlich durchaus harm¬ loser und unverfänglicher Natur sind, schon in andern Berichten über das Buch erwähnt gefunden und überlassen es darum dem Leser, sich selbst das heraus¬ zusuchen, was ihm am spaßhaftesten vorkommt oder ihm sonst am besten zu¬ sagt. Uns hat eine überaus einfache, aus dein Leben gegriffne Szene ganz besondres Vergnügen gemacht. Es ist die, wo Clara, die auf der Fahrt zwischen La Cornnci und Santjago auf der Jmperiale Platz genommen hat, den Rosselenker durch ihre Unempfindlichkeit gegen die Unbilden der Witterung, Hitze, Sonnenbrand und Staub so in Erstaunen setzt, daß er seiner Ver¬ blüffung in den an den Pferdejungen gerichteten Worten Ausdruck giebt: »Die Frau ist nicht von dieser Welt." So kommt es dem Leser bisweilen auch vor. Auch ein Jnterrogatorinm, das ein Postbeamter in Pontevedra mit unsrer Reisenden anstellt, endet in sehr drolliger Weise. Nachdem sie ihn alle Ratio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/39>, abgerufen am 28.07.2024.