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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Ver 'Kampf um den Zolltarif

Wie wenig einig übrigens die akademischen Anwälte des Doppeltarifs
über seinen Wert, anch über den taktischen, sind, sieht man, wenn man dem
Schuhmacherschen Plaidoyer das gegenüberstellt, was Professer van der Borght
in seinem Hand- und Lehrbuch: "Handel und Handelspolitik," nach dessen Er¬
scheinen er ins Reichsamt des Innern berufen wurde, uoch im Jahre 1900
gelehrt hat. Er schreibt auf Seite 453: "Es läßt sich uicht leugnen, daß das
System des Maximal- und Minimaltnrifs gewisse Vorteile für dre Verhand¬
lungen bietet, wenn es nicht zu einer starren Mindestgrenze der Konzessionen
führt. Die Möglichkeit muß bestehn, in besondern Füllen unter die Grenze
zu gehn; da hier aber ein ungewöhnliches Zugeständnis gemacht wird, so kann
der betreffende Staat dafür auch besondre Gegenleistungen verlangen und
durchsetzen. Vielleicht wird in dieser Form der Grundgedanke des Systems
noch einmal eine größere Bedeutung gewinnen." Den wissenschaftlichen Wert
solcher merkantilistischer Kniffe zu beurteilen, wollen wir der Zunft über¬
lassen. Daß diese Auffassung vom Doppeltarif Herrn van der Borght selbst
oder das Reichsamt des Innern zur praktischen. Befürwortung der Fest¬
legung von Miimnalzollsätzcn im neuen deutschen Zolltarif bestimmt haben
könnte, ist natürlich ausgeschlossen. Man hätte ja sonst die Agrarier in un¬
verantwortlicher Weise zum Narren gehabt. Sie haben doch von vornherein
gerade einen Minimaltarif verlangt, der bei allen Vertragskonzessionen un¬
bedingt eingehalten werden soll. Auch daß die Hochschutzzöllnerischen Indu¬
striellen, die für den Doppeltarif sind, die Minimalzölle im Sinne des
van der Borghtschen Lehrbuchs behandelt sehen wollen, scheint uns unmöglich.
Auch sie würden eine solche Zweideutigkeit ihren agrarischen Bundesgenossen
gegenüber gar nicht wagen. Eine bessere wissenschaftliche Begründung des
Doppeltarifsystems, als die der Herren Schuhmacher und van der Borght, ist
aber in der ganzen deutschen nationalökonomischen Litteratur nicht zu finden.

Natürlich beruft man sich bei der Empfehlung oder der Kritik des Doppel¬
tarifsystems gern auf die Erfahrungen, die im Auslande damit gemacht worden
sind, obwohl eigentlich daraus für oder wider seine Anwendbarkeit in Dentsch-
land und anderswo --- für alle Zeiten und alle möglichen Lagen -- so gut
wie nichts entnommen werden kann. Den Reigen hat nicht Frankreich, sondern
Spanien eröffnet,^) und zwar in dem Zolltarif von 1877. Günstige Wir¬
kungen sind gar keine festzustellen, Wohl aber hat Spanien wiederholt, um sich
vor Schaden zu bewahren, Handelsverträge abschließen müssen, in denen der
Minimaltarif preisgegeben wurde. Der Meliuische Doppeltarif ist in Frank¬
reich am 11. Januar 1892 publiziert worden. Auch er ist notwendigen
Handelsverträgen zuliebe durchbrochen worden, wie jn sattsam bekannt ist. Ob
er, wie vielfach behauptet wird, den Außenhandel Frankreichs ungünstig be¬
einflußt hat, scheint uns eine müßige und kaum hinreichend beantwortbare
Frage. Wäre es geschehn, so würde das zunächst gar nicht ohne weiteres als



") Vergl. Grunzet, System der Handelspolitik. Leipzig, Duncker und Humblot, I9del.
Grenzboten I V 1901 15
Ver 'Kampf um den Zolltarif

Wie wenig einig übrigens die akademischen Anwälte des Doppeltarifs
über seinen Wert, anch über den taktischen, sind, sieht man, wenn man dem
Schuhmacherschen Plaidoyer das gegenüberstellt, was Professer van der Borght
in seinem Hand- und Lehrbuch: „Handel und Handelspolitik," nach dessen Er¬
scheinen er ins Reichsamt des Innern berufen wurde, uoch im Jahre 1900
gelehrt hat. Er schreibt auf Seite 453: „Es läßt sich uicht leugnen, daß das
System des Maximal- und Minimaltnrifs gewisse Vorteile für dre Verhand¬
lungen bietet, wenn es nicht zu einer starren Mindestgrenze der Konzessionen
führt. Die Möglichkeit muß bestehn, in besondern Füllen unter die Grenze
zu gehn; da hier aber ein ungewöhnliches Zugeständnis gemacht wird, so kann
der betreffende Staat dafür auch besondre Gegenleistungen verlangen und
durchsetzen. Vielleicht wird in dieser Form der Grundgedanke des Systems
noch einmal eine größere Bedeutung gewinnen." Den wissenschaftlichen Wert
solcher merkantilistischer Kniffe zu beurteilen, wollen wir der Zunft über¬
lassen. Daß diese Auffassung vom Doppeltarif Herrn van der Borght selbst
oder das Reichsamt des Innern zur praktischen. Befürwortung der Fest¬
legung von Miimnalzollsätzcn im neuen deutschen Zolltarif bestimmt haben
könnte, ist natürlich ausgeschlossen. Man hätte ja sonst die Agrarier in un¬
verantwortlicher Weise zum Narren gehabt. Sie haben doch von vornherein
gerade einen Minimaltarif verlangt, der bei allen Vertragskonzessionen un¬
bedingt eingehalten werden soll. Auch daß die Hochschutzzöllnerischen Indu¬
striellen, die für den Doppeltarif sind, die Minimalzölle im Sinne des
van der Borghtschen Lehrbuchs behandelt sehen wollen, scheint uns unmöglich.
Auch sie würden eine solche Zweideutigkeit ihren agrarischen Bundesgenossen
gegenüber gar nicht wagen. Eine bessere wissenschaftliche Begründung des
Doppeltarifsystems, als die der Herren Schuhmacher und van der Borght, ist
aber in der ganzen deutschen nationalökonomischen Litteratur nicht zu finden.

Natürlich beruft man sich bei der Empfehlung oder der Kritik des Doppel¬
tarifsystems gern auf die Erfahrungen, die im Auslande damit gemacht worden
sind, obwohl eigentlich daraus für oder wider seine Anwendbarkeit in Dentsch-
land und anderswo —- für alle Zeiten und alle möglichen Lagen — so gut
wie nichts entnommen werden kann. Den Reigen hat nicht Frankreich, sondern
Spanien eröffnet,^) und zwar in dem Zolltarif von 1877. Günstige Wir¬
kungen sind gar keine festzustellen, Wohl aber hat Spanien wiederholt, um sich
vor Schaden zu bewahren, Handelsverträge abschließen müssen, in denen der
Minimaltarif preisgegeben wurde. Der Meliuische Doppeltarif ist in Frank¬
reich am 11. Januar 1892 publiziert worden. Auch er ist notwendigen
Handelsverträgen zuliebe durchbrochen worden, wie jn sattsam bekannt ist. Ob
er, wie vielfach behauptet wird, den Außenhandel Frankreichs ungünstig be¬
einflußt hat, scheint uns eine müßige und kaum hinreichend beantwortbare
Frage. Wäre es geschehn, so würde das zunächst gar nicht ohne weiteres als



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[0121] Ver 'Kampf um den Zolltarif Wie wenig einig übrigens die akademischen Anwälte des Doppeltarifs über seinen Wert, anch über den taktischen, sind, sieht man, wenn man dem Schuhmacherschen Plaidoyer das gegenüberstellt, was Professer van der Borght in seinem Hand- und Lehrbuch: „Handel und Handelspolitik," nach dessen Er¬ scheinen er ins Reichsamt des Innern berufen wurde, uoch im Jahre 1900 gelehrt hat. Er schreibt auf Seite 453: „Es läßt sich uicht leugnen, daß das System des Maximal- und Minimaltnrifs gewisse Vorteile für dre Verhand¬ lungen bietet, wenn es nicht zu einer starren Mindestgrenze der Konzessionen führt. Die Möglichkeit muß bestehn, in besondern Füllen unter die Grenze zu gehn; da hier aber ein ungewöhnliches Zugeständnis gemacht wird, so kann der betreffende Staat dafür auch besondre Gegenleistungen verlangen und durchsetzen. Vielleicht wird in dieser Form der Grundgedanke des Systems noch einmal eine größere Bedeutung gewinnen." Den wissenschaftlichen Wert solcher merkantilistischer Kniffe zu beurteilen, wollen wir der Zunft über¬ lassen. Daß diese Auffassung vom Doppeltarif Herrn van der Borght selbst oder das Reichsamt des Innern zur praktischen. Befürwortung der Fest¬ legung von Miimnalzollsätzcn im neuen deutschen Zolltarif bestimmt haben könnte, ist natürlich ausgeschlossen. Man hätte ja sonst die Agrarier in un¬ verantwortlicher Weise zum Narren gehabt. Sie haben doch von vornherein gerade einen Minimaltarif verlangt, der bei allen Vertragskonzessionen un¬ bedingt eingehalten werden soll. Auch daß die Hochschutzzöllnerischen Indu¬ striellen, die für den Doppeltarif sind, die Minimalzölle im Sinne des van der Borghtschen Lehrbuchs behandelt sehen wollen, scheint uns unmöglich. Auch sie würden eine solche Zweideutigkeit ihren agrarischen Bundesgenossen gegenüber gar nicht wagen. Eine bessere wissenschaftliche Begründung des Doppeltarifsystems, als die der Herren Schuhmacher und van der Borght, ist aber in der ganzen deutschen nationalökonomischen Litteratur nicht zu finden. Natürlich beruft man sich bei der Empfehlung oder der Kritik des Doppel¬ tarifsystems gern auf die Erfahrungen, die im Auslande damit gemacht worden sind, obwohl eigentlich daraus für oder wider seine Anwendbarkeit in Dentsch- land und anderswo —- für alle Zeiten und alle möglichen Lagen — so gut wie nichts entnommen werden kann. Den Reigen hat nicht Frankreich, sondern Spanien eröffnet,^) und zwar in dem Zolltarif von 1877. Günstige Wir¬ kungen sind gar keine festzustellen, Wohl aber hat Spanien wiederholt, um sich vor Schaden zu bewahren, Handelsverträge abschließen müssen, in denen der Minimaltarif preisgegeben wurde. Der Meliuische Doppeltarif ist in Frank¬ reich am 11. Januar 1892 publiziert worden. Auch er ist notwendigen Handelsverträgen zuliebe durchbrochen worden, wie jn sattsam bekannt ist. Ob er, wie vielfach behauptet wird, den Außenhandel Frankreichs ungünstig be¬ einflußt hat, scheint uns eine müßige und kaum hinreichend beantwortbare Frage. Wäre es geschehn, so würde das zunächst gar nicht ohne weiteres als ») Vergl. Grunzet, System der Handelspolitik. Leipzig, Duncker und Humblot, I9del. Grenzboten I V 1901 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/121>, abgerufen am 28.07.2024.