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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der Aainpf "in den Zolltarif

gegenüber gelten solle, von denen genügende Konzessionen zu erreichen wären,
der höhere dagegen bei dem Verkehr mit allen übrigen Ländern, Das sei die
eine Art des Doppeltarifs, Hierbei seien Tarifverträge nicht denkbar. Die
andre Art bestehe darin, daß bei dem Abschluß von Handelsverträgen der
Kompetenz eine Grenze gezogen würde, unter die sie nicht herabgehn sollten.
In diesem zweiten Sinne hätten die Vorstände der deutschen Landwirtschafts-
knmmern einen bei allen Vertragskvnzessionen unbedingt einzuhaltenden
Minimaltarif verlangt. Es handelt sich hier -- glaubt Schuhmacher uns
sagen zu dürfen -- um eine Frage rein taktischer Art, die nicht die Ziele be¬
treffe, sondern die Wege, die zum Ziele führten. Es sei unbestritten, daß ein
autonomer Doppeltarif "die parlamentarische Verhandlung über Handels¬
verträge" erleichtere. Ohne einen Doppeltarif sei die Lage für die Regierung
lind für den Reichstag mißlich. Der Reichstag könne in diesem Falle einen
Handelsvertrag nur im ganze" annehmen oder ablehnen; die Ablehnung aber
verwickle die Regierung in Komplikationen. Dem Reichstag würde er einen
ihm bisher fehlenden Einfluß auf die Festsetzung der einzelnen Zollsätze ein¬
räumen, und die Regierung würde er erlösen von dein Damoklesschwert einer
Vertragsablehnnng. So würde durch den Doppeltarif die Stellung der Ne¬
gierung der Volksvertretung gegenüber erleichtert und zugleich "der Mangel
um Vertrauen" beseitigt. Der Mangel an Vertrauen sei der Hauptgrund, der
die Interessenten zur Forderung eines Minimaltarifs veranlaßt habe. Land¬
wirtschaft und Industrie wollten sich vor "unliebsamen Überraschungen" sichern.
Während aber die Landwirtschaft die erwünschte Sicherung in dem Minimal¬
tarife suche, glaube die Industrie -- d. h. ihre dein Doppeltarif abgeneigte
Mehrheit -- sie in einer engen und dauernden Fühlung mit der Regierung
vor und während der Verhandlungen zu finden.

Die Vertreter der Melinischen Taktik in Frankreich waren offner. Sie
erklärten, durch den Doppeltarif die Parlamentsmehrheit zum unumschränkten
Herrn der Zollpolitik machen zu wollen. Das wollen die Vorstände der Land-
wirtschaftskammern und die Agrarier bei uns anch. Das Mißtrauen gegen
die Politik der Negierung, gegen die Politik des Kaisers, das die agrarische
Agitation in den Herzen der landwirtschaftlichen Bevölkerung wachgerufen hat
und wachzuhalten sucht, verleitet sogar die konservativen Parteien zu einem
Appell an die Parlamentsherrschaft, den wir seit Jahr und Tag in den
Grenzboten als unverträglich mit der monarchischen und konservativen Ge¬
sinnung des deutschen Landvolks bekämpft haben. Der Kaiser und die ver¬
bündeten Regierungen sollen sich von vornherein ihres wichtigen Rechts, das
Wohl des Ganzen gegen die augenblickliche Parlamentsmehrheit zu wahren,
entäußern. Sie sollen sich vor der Schlacht geschlagen erklären, um nicht in
der Schlacht -- bei der Abstimmung über die Handelsverträge -- geschlagen
werden zu können. Wir brauchen über den Sinn, den das hat, kein Wort
mehr zu verlieren. Nur vom Standpunkt des agrarischen Parteiinteresses kann
das überhaupt Sinn haben, vom Standpunkt der Gesamtheit und vor allein
der Negierung niemals.


Der Aainpf »in den Zolltarif

gegenüber gelten solle, von denen genügende Konzessionen zu erreichen wären,
der höhere dagegen bei dem Verkehr mit allen übrigen Ländern, Das sei die
eine Art des Doppeltarifs, Hierbei seien Tarifverträge nicht denkbar. Die
andre Art bestehe darin, daß bei dem Abschluß von Handelsverträgen der
Kompetenz eine Grenze gezogen würde, unter die sie nicht herabgehn sollten.
In diesem zweiten Sinne hätten die Vorstände der deutschen Landwirtschafts-
knmmern einen bei allen Vertragskvnzessionen unbedingt einzuhaltenden
Minimaltarif verlangt. Es handelt sich hier — glaubt Schuhmacher uns
sagen zu dürfen — um eine Frage rein taktischer Art, die nicht die Ziele be¬
treffe, sondern die Wege, die zum Ziele führten. Es sei unbestritten, daß ein
autonomer Doppeltarif „die parlamentarische Verhandlung über Handels¬
verträge" erleichtere. Ohne einen Doppeltarif sei die Lage für die Regierung
lind für den Reichstag mißlich. Der Reichstag könne in diesem Falle einen
Handelsvertrag nur im ganze» annehmen oder ablehnen; die Ablehnung aber
verwickle die Regierung in Komplikationen. Dem Reichstag würde er einen
ihm bisher fehlenden Einfluß auf die Festsetzung der einzelnen Zollsätze ein¬
räumen, und die Regierung würde er erlösen von dein Damoklesschwert einer
Vertragsablehnnng. So würde durch den Doppeltarif die Stellung der Ne¬
gierung der Volksvertretung gegenüber erleichtert und zugleich „der Mangel
um Vertrauen" beseitigt. Der Mangel an Vertrauen sei der Hauptgrund, der
die Interessenten zur Forderung eines Minimaltarifs veranlaßt habe. Land¬
wirtschaft und Industrie wollten sich vor „unliebsamen Überraschungen" sichern.
Während aber die Landwirtschaft die erwünschte Sicherung in dem Minimal¬
tarife suche, glaube die Industrie — d. h. ihre dein Doppeltarif abgeneigte
Mehrheit — sie in einer engen und dauernden Fühlung mit der Regierung
vor und während der Verhandlungen zu finden.

Die Vertreter der Melinischen Taktik in Frankreich waren offner. Sie
erklärten, durch den Doppeltarif die Parlamentsmehrheit zum unumschränkten
Herrn der Zollpolitik machen zu wollen. Das wollen die Vorstände der Land-
wirtschaftskammern und die Agrarier bei uns anch. Das Mißtrauen gegen
die Politik der Negierung, gegen die Politik des Kaisers, das die agrarische
Agitation in den Herzen der landwirtschaftlichen Bevölkerung wachgerufen hat
und wachzuhalten sucht, verleitet sogar die konservativen Parteien zu einem
Appell an die Parlamentsherrschaft, den wir seit Jahr und Tag in den
Grenzboten als unverträglich mit der monarchischen und konservativen Ge¬
sinnung des deutschen Landvolks bekämpft haben. Der Kaiser und die ver¬
bündeten Regierungen sollen sich von vornherein ihres wichtigen Rechts, das
Wohl des Ganzen gegen die augenblickliche Parlamentsmehrheit zu wahren,
entäußern. Sie sollen sich vor der Schlacht geschlagen erklären, um nicht in
der Schlacht — bei der Abstimmung über die Handelsverträge — geschlagen
werden zu können. Wir brauchen über den Sinn, den das hat, kein Wort
mehr zu verlieren. Nur vom Standpunkt des agrarischen Parteiinteresses kann
das überhaupt Sinn haben, vom Standpunkt der Gesamtheit und vor allein
der Negierung niemals.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/120>, abgerufen am 28.07.2024.