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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Anfänge der holländischen Lcmdschciftsnmlerei

kleine und größere in zwei verschiednen Manieren, in einem festern, linicn-
mäßigcn Stich, der die Hauptformen schärfer hervortreten läßt, und in einer
mehr auf das einzelne eingehenden, malerischen Radierung mit Tonwirknngen
und Anfängen des Helldunkels. Den Gegenständen nach haben wir wieder
neben den einzelnen bestimmten, durch Beischriften bezeichneten Ortsbildern die
beliebten Mvnatsfolgen und Darstellungen von Jahres- und Tageszeiten. In
der Technik finden wir nichts besondres, nichts, was überrascht und auf einen
persönlichen Künstler hinweist, in der Zeichnung der Figuren nicht einmal die
Sicherheit seines Bruders Esaias, und die Bäume sind im Geäst und im Laub¬
werk mindestens so konventionell wie bei diesem. Der Eindruck dieses Natur¬
bildes beruht durchaus auf dem Ganzen, und sein Wert besteht darin, daß es
uns ein wirkliches Stück Heimat zeigt. Eine bescheidne Gattung vou großem
inneren Reichtum, das Quellgebiet der Landschaftsmalerei, einfach umschrieben
und doch mit dem sondernden Blick, der das Reizvolle aufsucht und eine un¬
glaubliche Menge schöner und charakteristischer Motive festlegt; kein Zeitalter
hatte bis dahin so etwas gehabt. In diesem Zusammenhange gewinnen auch
erst Molhns wenige Stiche und die nach ihm gestochnen Blätter, sowie Goyens
Radierungen, die wir gleich kennen lernen werden, ihre ganze Bedeutung: alle
diese ans Haarlem zurückgehenden Landschafter zeigen sich uns hier durch den
Ernst und die Art ihrer Studien untereinander verbunden.

In Jan van Gvycn (1596 bis 1656) haben wir nun zuerst einen reinen
Landschafter, den wir nicht bloß historisch schätzen, sondern auch mit modernem
Gefühl genießen können, einen Künstler von tiefer, zarter Naturempfindung
und von einer ebenso feinen Technik, deren Stufen zu verfolgen ein Ver¬
gnügen ist. In Lehden geboren und noch bis gegen sein vierzigstes Jahr hin
hauptsächlich dort ansässig, hat er von seinen dortigen Lehrern die Neigung
für den feinen und scharfen Strich angenommen, die Art deS Zeichners oder
Radierers, die er auch später nicht aufgiebt, sondern nur mit der Zeit zu einem
freiern und beinahe breiten Vortrag verarbeitet. Seine Farbe aber, die für
ihn sehr wesentlich ist, und mit der er mehr auszudrücken versteht als Esaias
van de Velde oder Molhn, hat er allmählich im Verkehr mit diesen Haarlemern
gewonnen. Esaias wird uns als sein Lehrer genannt, und auf Molyns Baum¬
schlag und bräunliche Tönung weisen deutlich manche Bilder seiner frühern
und mittlern Zeit hin; außerdem wirkte er selbst sichtlich auf Salomon van
Ruysdael (wie dessen frühere Bilder zeige") ein, was sich doch füglich in
Haarlem zugetragen haben wird. Goben hatte also auf einer seiner Reisen, deren
erste ihn schon 1615 uach Frankreich führte, auch Haarlem berührt. Darauf
durchzog er Belgien und Nordfrankreich, immer mit dein Bleistift in der Hand.
Das Dresdner Kupferstichkabinett bewahrt ein kleines Skizzenbuch vou 144
schnell hingeworfnen Zeichnungen, oft nur mit wenig Strichen, aber wie sicher
und deutlich! Flachlandschaften, Stadtprofile, Straßenbilder mit Figuren,
Wasser mit Segelbooten -- das imponiert! Aber waS vielleicht merkwürdiger
ist, noch aus den späten Jahren seiner fertigen Meisterschaft, die keiner Vor-


Die Anfänge der holländischen Lcmdschciftsnmlerei

kleine und größere in zwei verschiednen Manieren, in einem festern, linicn-
mäßigcn Stich, der die Hauptformen schärfer hervortreten läßt, und in einer
mehr auf das einzelne eingehenden, malerischen Radierung mit Tonwirknngen
und Anfängen des Helldunkels. Den Gegenständen nach haben wir wieder
neben den einzelnen bestimmten, durch Beischriften bezeichneten Ortsbildern die
beliebten Mvnatsfolgen und Darstellungen von Jahres- und Tageszeiten. In
der Technik finden wir nichts besondres, nichts, was überrascht und auf einen
persönlichen Künstler hinweist, in der Zeichnung der Figuren nicht einmal die
Sicherheit seines Bruders Esaias, und die Bäume sind im Geäst und im Laub¬
werk mindestens so konventionell wie bei diesem. Der Eindruck dieses Natur¬
bildes beruht durchaus auf dem Ganzen, und sein Wert besteht darin, daß es
uns ein wirkliches Stück Heimat zeigt. Eine bescheidne Gattung vou großem
inneren Reichtum, das Quellgebiet der Landschaftsmalerei, einfach umschrieben
und doch mit dem sondernden Blick, der das Reizvolle aufsucht und eine un¬
glaubliche Menge schöner und charakteristischer Motive festlegt; kein Zeitalter
hatte bis dahin so etwas gehabt. In diesem Zusammenhange gewinnen auch
erst Molhns wenige Stiche und die nach ihm gestochnen Blätter, sowie Goyens
Radierungen, die wir gleich kennen lernen werden, ihre ganze Bedeutung: alle
diese ans Haarlem zurückgehenden Landschafter zeigen sich uns hier durch den
Ernst und die Art ihrer Studien untereinander verbunden.

In Jan van Gvycn (1596 bis 1656) haben wir nun zuerst einen reinen
Landschafter, den wir nicht bloß historisch schätzen, sondern auch mit modernem
Gefühl genießen können, einen Künstler von tiefer, zarter Naturempfindung
und von einer ebenso feinen Technik, deren Stufen zu verfolgen ein Ver¬
gnügen ist. In Lehden geboren und noch bis gegen sein vierzigstes Jahr hin
hauptsächlich dort ansässig, hat er von seinen dortigen Lehrern die Neigung
für den feinen und scharfen Strich angenommen, die Art deS Zeichners oder
Radierers, die er auch später nicht aufgiebt, sondern nur mit der Zeit zu einem
freiern und beinahe breiten Vortrag verarbeitet. Seine Farbe aber, die für
ihn sehr wesentlich ist, und mit der er mehr auszudrücken versteht als Esaias
van de Velde oder Molhn, hat er allmählich im Verkehr mit diesen Haarlemern
gewonnen. Esaias wird uns als sein Lehrer genannt, und auf Molyns Baum¬
schlag und bräunliche Tönung weisen deutlich manche Bilder seiner frühern
und mittlern Zeit hin; außerdem wirkte er selbst sichtlich auf Salomon van
Ruysdael (wie dessen frühere Bilder zeige») ein, was sich doch füglich in
Haarlem zugetragen haben wird. Goben hatte also auf einer seiner Reisen, deren
erste ihn schon 1615 uach Frankreich führte, auch Haarlem berührt. Darauf
durchzog er Belgien und Nordfrankreich, immer mit dein Bleistift in der Hand.
Das Dresdner Kupferstichkabinett bewahrt ein kleines Skizzenbuch vou 144
schnell hingeworfnen Zeichnungen, oft nur mit wenig Strichen, aber wie sicher
und deutlich! Flachlandschaften, Stadtprofile, Straßenbilder mit Figuren,
Wasser mit Segelbooten — das imponiert! Aber waS vielleicht merkwürdiger
ist, noch aus den späten Jahren seiner fertigen Meisterschaft, die keiner Vor-


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[0578] Die Anfänge der holländischen Lcmdschciftsnmlerei kleine und größere in zwei verschiednen Manieren, in einem festern, linicn- mäßigcn Stich, der die Hauptformen schärfer hervortreten läßt, und in einer mehr auf das einzelne eingehenden, malerischen Radierung mit Tonwirknngen und Anfängen des Helldunkels. Den Gegenständen nach haben wir wieder neben den einzelnen bestimmten, durch Beischriften bezeichneten Ortsbildern die beliebten Mvnatsfolgen und Darstellungen von Jahres- und Tageszeiten. In der Technik finden wir nichts besondres, nichts, was überrascht und auf einen persönlichen Künstler hinweist, in der Zeichnung der Figuren nicht einmal die Sicherheit seines Bruders Esaias, und die Bäume sind im Geäst und im Laub¬ werk mindestens so konventionell wie bei diesem. Der Eindruck dieses Natur¬ bildes beruht durchaus auf dem Ganzen, und sein Wert besteht darin, daß es uns ein wirkliches Stück Heimat zeigt. Eine bescheidne Gattung vou großem inneren Reichtum, das Quellgebiet der Landschaftsmalerei, einfach umschrieben und doch mit dem sondernden Blick, der das Reizvolle aufsucht und eine un¬ glaubliche Menge schöner und charakteristischer Motive festlegt; kein Zeitalter hatte bis dahin so etwas gehabt. In diesem Zusammenhange gewinnen auch erst Molhns wenige Stiche und die nach ihm gestochnen Blätter, sowie Goyens Radierungen, die wir gleich kennen lernen werden, ihre ganze Bedeutung: alle diese ans Haarlem zurückgehenden Landschafter zeigen sich uns hier durch den Ernst und die Art ihrer Studien untereinander verbunden. In Jan van Gvycn (1596 bis 1656) haben wir nun zuerst einen reinen Landschafter, den wir nicht bloß historisch schätzen, sondern auch mit modernem Gefühl genießen können, einen Künstler von tiefer, zarter Naturempfindung und von einer ebenso feinen Technik, deren Stufen zu verfolgen ein Ver¬ gnügen ist. In Lehden geboren und noch bis gegen sein vierzigstes Jahr hin hauptsächlich dort ansässig, hat er von seinen dortigen Lehrern die Neigung für den feinen und scharfen Strich angenommen, die Art deS Zeichners oder Radierers, die er auch später nicht aufgiebt, sondern nur mit der Zeit zu einem freiern und beinahe breiten Vortrag verarbeitet. Seine Farbe aber, die für ihn sehr wesentlich ist, und mit der er mehr auszudrücken versteht als Esaias van de Velde oder Molhn, hat er allmählich im Verkehr mit diesen Haarlemern gewonnen. Esaias wird uns als sein Lehrer genannt, und auf Molyns Baum¬ schlag und bräunliche Tönung weisen deutlich manche Bilder seiner frühern und mittlern Zeit hin; außerdem wirkte er selbst sichtlich auf Salomon van Ruysdael (wie dessen frühere Bilder zeige») ein, was sich doch füglich in Haarlem zugetragen haben wird. Goben hatte also auf einer seiner Reisen, deren erste ihn schon 1615 uach Frankreich führte, auch Haarlem berührt. Darauf durchzog er Belgien und Nordfrankreich, immer mit dein Bleistift in der Hand. Das Dresdner Kupferstichkabinett bewahrt ein kleines Skizzenbuch vou 144 schnell hingeworfnen Zeichnungen, oft nur mit wenig Strichen, aber wie sicher und deutlich! Flachlandschaften, Stadtprofile, Straßenbilder mit Figuren, Wasser mit Segelbooten — das imponiert! Aber waS vielleicht merkwürdiger ist, noch aus den späten Jahren seiner fertigen Meisterschaft, die keiner Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/578>, abgerufen am 22.07.2024.