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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Anfänge der holländischen Landschaftsmalerei

andres hätte hervorbringen können als diese vollstaffierten, korrekt gezeichneten,
aber niemals wirklich anziehenden kleinen Bilder, also etwas äußerlich mehr
imponierendes, wenn auch die Innerlichkeit nicht seine Sache war. Diese
tiefere Anziehung findet sich allmählich bei Goyen, dem jüngsten, ein, dem
besten Landschafter unter den dreien, der überdies eine volle, bis zum Schluß
ansteigende Entwicklung gehabt hat. Er ist nicht geistreich wie van de Berne,
dafür aber auch niemals gesucht, immer natürlich wie sein Lehrer Esciias van
de Velde, dabei stimmungsvoll und poetisch, was dieser nicht ist.

Der Deister Adriaen our de Verna (1589 bis 1662) hat etwas von der
Art des Miniaturisten und Kupferstechers, und er zeichnete auch in der That
für die Buchillustration, aber seine leuchtenden bunten Farben erinnern uns
an einen Glasmaler. Offenbar haben die Bilder des Sammetbrueghels großen
Eindruck aus ihn gemacht, aber seine Figuren sind viel lebendiger, seine Farben
wahrer und auch schöner, in der Wirkung manchmal prächtig. Seine Bilder
sind auch uicht so überfüllt, mau sieht zwar viel auf ihnen, unglaublich viel
im Verhältnis zu ihrem geringen Umfange, aber alles ist klar ausgedrückt
und sicher hingestellt, und bei nadelscharfen Umrissen runden sich doch die
Gegenstände, das Stoffartige hat Naturwahrheit, und die umgebende Luft
kommt zu ihrem Recht.

Auf seinem merkwürdigsten Werke, den "Seelensischern" von 1614 im
Reichsmuseum, sind das Wasser und alles Atmosphärische, der Himmel sogar
mit seinem Regenbogen, vortrefflich, obwohl es doch dem Künstler um eine
sehr ernst gemeinte Allegorie zu thun war, wobei der natürliche Ausdruck leicht
nvtleidet. Links sehen wir die Protestanten, darunter die Prinzen Moritz und
Friedrich Heinrich, rechts die Katholiken mit Albrecht von Österreich und
Jscibella von Spanien. Vollständige Erzählung bei größter Deutlichkeit des
Einzelnen, feierliche Aufstellung, beinahe Kirchenandacht; nichts spöttisches
oder Weltliches, was doch bei einer Satire nahe gelegen Hütte. Unwillkürlich
denkt man über hundert Jahre zurück an die toskanischen Freskcmteu in der
Kapelle Sixtus IV. in Rom mit ihren würdevollen Zuschauerversammlnngen,
Pintnriechios Taufe Christi oder den Auszug Mosis, an Ghirlandajos
Berufung des Petrus und Andreas. Und derselbe Künstler malt gleich darauf
das natürlichste weltliche Sittenbild- Prinz Moritz, wie er vom Haag ans mit
si'ass Apfelschimmeln zur Kirmeß in das Dorf Rhswyck einfährt, ehrerbietig
und vergnügt begrüßt und empfangen von hoch und niedrig (1618, ebenda).
Ans einem dritten Hauptwerk haben wir die Feier des Waffenstillstands von
1609, und zwar am katholischen Hofe zu Brüssel (der "Seeleufaug" war für
die Protestantischen Ornnier), wir sehen einen Aufzug von Edelleute", in ihrer
Mitte den Erzherzog, rechts die Musikanten, links Waffe" und Feldzeiche",
ganz vorn Amor und ein sich schuäbelndes Taubenpaar, alles in leuchtende"
Farben (1616, im Louvre). Ein viertes Bild zeigt den Hafen von Middel-
burg und die Ankunft des Pfalzgrafen Friedrichs V. mit reichem Gefolge (im
Reichsmuseum, früher in der Sammlung Franken).


Die Anfänge der holländischen Landschaftsmalerei

andres hätte hervorbringen können als diese vollstaffierten, korrekt gezeichneten,
aber niemals wirklich anziehenden kleinen Bilder, also etwas äußerlich mehr
imponierendes, wenn auch die Innerlichkeit nicht seine Sache war. Diese
tiefere Anziehung findet sich allmählich bei Goyen, dem jüngsten, ein, dem
besten Landschafter unter den dreien, der überdies eine volle, bis zum Schluß
ansteigende Entwicklung gehabt hat. Er ist nicht geistreich wie van de Berne,
dafür aber auch niemals gesucht, immer natürlich wie sein Lehrer Esciias van
de Velde, dabei stimmungsvoll und poetisch, was dieser nicht ist.

Der Deister Adriaen our de Verna (1589 bis 1662) hat etwas von der
Art des Miniaturisten und Kupferstechers, und er zeichnete auch in der That
für die Buchillustration, aber seine leuchtenden bunten Farben erinnern uns
an einen Glasmaler. Offenbar haben die Bilder des Sammetbrueghels großen
Eindruck aus ihn gemacht, aber seine Figuren sind viel lebendiger, seine Farben
wahrer und auch schöner, in der Wirkung manchmal prächtig. Seine Bilder
sind auch uicht so überfüllt, mau sieht zwar viel auf ihnen, unglaublich viel
im Verhältnis zu ihrem geringen Umfange, aber alles ist klar ausgedrückt
und sicher hingestellt, und bei nadelscharfen Umrissen runden sich doch die
Gegenstände, das Stoffartige hat Naturwahrheit, und die umgebende Luft
kommt zu ihrem Recht.

Auf seinem merkwürdigsten Werke, den „Seelensischern" von 1614 im
Reichsmuseum, sind das Wasser und alles Atmosphärische, der Himmel sogar
mit seinem Regenbogen, vortrefflich, obwohl es doch dem Künstler um eine
sehr ernst gemeinte Allegorie zu thun war, wobei der natürliche Ausdruck leicht
nvtleidet. Links sehen wir die Protestanten, darunter die Prinzen Moritz und
Friedrich Heinrich, rechts die Katholiken mit Albrecht von Österreich und
Jscibella von Spanien. Vollständige Erzählung bei größter Deutlichkeit des
Einzelnen, feierliche Aufstellung, beinahe Kirchenandacht; nichts spöttisches
oder Weltliches, was doch bei einer Satire nahe gelegen Hütte. Unwillkürlich
denkt man über hundert Jahre zurück an die toskanischen Freskcmteu in der
Kapelle Sixtus IV. in Rom mit ihren würdevollen Zuschauerversammlnngen,
Pintnriechios Taufe Christi oder den Auszug Mosis, an Ghirlandajos
Berufung des Petrus und Andreas. Und derselbe Künstler malt gleich darauf
das natürlichste weltliche Sittenbild- Prinz Moritz, wie er vom Haag ans mit
si'ass Apfelschimmeln zur Kirmeß in das Dorf Rhswyck einfährt, ehrerbietig
und vergnügt begrüßt und empfangen von hoch und niedrig (1618, ebenda).
Ans einem dritten Hauptwerk haben wir die Feier des Waffenstillstands von
1609, und zwar am katholischen Hofe zu Brüssel (der „Seeleufaug" war für
die Protestantischen Ornnier), wir sehen einen Aufzug von Edelleute», in ihrer
Mitte den Erzherzog, rechts die Musikanten, links Waffe» und Feldzeiche»,
ganz vorn Amor und ein sich schuäbelndes Taubenpaar, alles in leuchtende»
Farben (1616, im Louvre). Ein viertes Bild zeigt den Hafen von Middel-
burg und die Ankunft des Pfalzgrafen Friedrichs V. mit reichem Gefolge (im
Reichsmuseum, früher in der Sammlung Franken).


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/575>, abgerufen am 22.07.2024.