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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Glaubenslehre

Die wichtigste .Konsequenz dieser Auffassung der Erlöserthätigkeit Jesu ist,
daß das "unschuldige Leiden und Sterben" Christi die zentrale Bedeutung,
die ihm nach der kirchlichen Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung
zukommt, verliert, und zwar nicht nur dadurch, daß die forschende, lehrende
und kämpfende Thätigkeit des Heilands als gleichberechtigt daneben gestellt
wird (S, 15 f.), sondern vor allem durch die aus 1 und 2 folgende Annahme,
daß die Gottesvorstellung, wonach der Opfertod Christi zur Versöhnung Gottes
nötig war, falsch ist und die Erkenntnis und Überwindung ihrer Unvollkommen-
heit eben die Voraussetzung der Erlöserthütigkeit Christi ist.

Ziegler hat diese Konsequenzen in vollem Umfange gezogen, aber dank
seiner tiefen, zuweilen an Mhstik streifenden Religiosität vermag er trotzdem
ein Bild des Erlösers zu zeichnen, das sich von den?, das gefühlsmäßig in
den Herzen der protestantischen Christen lebt, bei weitem nicht in dem Maße
unterscheidet, wie man nach dem schroffen Gegensatz der dogmatischen An¬
schauungen erwarten sollte. "Jesus, sagt er (S. 63), ist kein Gesetzgeber,
sondern ein Erfüller des Willens Gottes gewesen, er war auch nicht der
Stifter einer neuen neben den alten Religionen, sondern er war persönlich der
Quell der Himmels kraft, welche uns aus Fremden und innerlichen Feinden
zu Kindern Gottes macht. Er stellt uns in seiner Person die Religion an
sich dar, wie sie den Menschen aus dem alten Leben ohne Gott errettet und
ihm das neue Leben aus und mit Gott schenkt. Sein Werk also, welches
uns von der Gottentfremdung erlöst und in die Gottgemeinschaft stellt, ist nicht
die Stiftung einer einzelnen Religion, sondern es ist die Erfüllung des
religiösen Trachtens aller Zeiten wie des Willens Gottes und seiner Be¬
stimmung des Menschen überhaupt."

Nachdem so Ziegler das ihm mit der ältern Kirchenlehre in Bezug auf
die Auffassung Christi gemeinsame nicht ohne Geschick hervorgehoben hat, for¬
muliert er mit rücksichtsloser Offenheit seinen prinzipiellen Gegensatz gegen die
Voraussetzungen der katholischen und der protestantischen Rechtfertigungslehre.

"Es war nicht ein Werk Jesu, fährt er nämlich fort (S. 64), welches
dieser an Gott gethan hat, um unsre Erlösung von ihm, eigentlich gegen
seineu gerechte" Willen, trotz unsrer Ungerechtigkeit dennoch zu erlangen, es
war auch nicht ein Werk Jesu, durch welches er den uns zürnenden Gott ver¬
söhnte und es Gott möglich machte, uns in seine Gemeinschaft aufzunehmen:
eine solche Auffassung des Werks unsrer Erlösung durch Jesus und der Ver¬
söhnung mit Gott würde dieses Werk ans einer Gottesosfenbarung zu einem
an Gott geschehuen Werke, d. h. zu einem mythologischen Vorgänge machen.
Damit aber wäre die Allmacht und die Einheit Gottes aufgehoben: wir mußten
Christus, als eine zweite Gottheit neben dem Vater betrachten, die Gott, den
Vater, anders bestimmte, als er eigentlich wollte, oder doch als er allein für
sich vermöchte und imstande wäre." "Nein, so formuliert er hierauf seineu
eignen Standpunkt, das Werk Jesu ist das Werk des Einen heiligen all¬
mächtigen Gottes um uns. Jesus ist nicht etwa der göttliche Mittler zwischen


Line neue Glaubenslehre

Die wichtigste .Konsequenz dieser Auffassung der Erlöserthätigkeit Jesu ist,
daß das „unschuldige Leiden und Sterben" Christi die zentrale Bedeutung,
die ihm nach der kirchlichen Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung
zukommt, verliert, und zwar nicht nur dadurch, daß die forschende, lehrende
und kämpfende Thätigkeit des Heilands als gleichberechtigt daneben gestellt
wird (S, 15 f.), sondern vor allem durch die aus 1 und 2 folgende Annahme,
daß die Gottesvorstellung, wonach der Opfertod Christi zur Versöhnung Gottes
nötig war, falsch ist und die Erkenntnis und Überwindung ihrer Unvollkommen-
heit eben die Voraussetzung der Erlöserthütigkeit Christi ist.

Ziegler hat diese Konsequenzen in vollem Umfange gezogen, aber dank
seiner tiefen, zuweilen an Mhstik streifenden Religiosität vermag er trotzdem
ein Bild des Erlösers zu zeichnen, das sich von den?, das gefühlsmäßig in
den Herzen der protestantischen Christen lebt, bei weitem nicht in dem Maße
unterscheidet, wie man nach dem schroffen Gegensatz der dogmatischen An¬
schauungen erwarten sollte. „Jesus, sagt er (S. 63), ist kein Gesetzgeber,
sondern ein Erfüller des Willens Gottes gewesen, er war auch nicht der
Stifter einer neuen neben den alten Religionen, sondern er war persönlich der
Quell der Himmels kraft, welche uns aus Fremden und innerlichen Feinden
zu Kindern Gottes macht. Er stellt uns in seiner Person die Religion an
sich dar, wie sie den Menschen aus dem alten Leben ohne Gott errettet und
ihm das neue Leben aus und mit Gott schenkt. Sein Werk also, welches
uns von der Gottentfremdung erlöst und in die Gottgemeinschaft stellt, ist nicht
die Stiftung einer einzelnen Religion, sondern es ist die Erfüllung des
religiösen Trachtens aller Zeiten wie des Willens Gottes und seiner Be¬
stimmung des Menschen überhaupt."

Nachdem so Ziegler das ihm mit der ältern Kirchenlehre in Bezug auf
die Auffassung Christi gemeinsame nicht ohne Geschick hervorgehoben hat, for¬
muliert er mit rücksichtsloser Offenheit seinen prinzipiellen Gegensatz gegen die
Voraussetzungen der katholischen und der protestantischen Rechtfertigungslehre.

„Es war nicht ein Werk Jesu, fährt er nämlich fort (S. 64), welches
dieser an Gott gethan hat, um unsre Erlösung von ihm, eigentlich gegen
seineu gerechte» Willen, trotz unsrer Ungerechtigkeit dennoch zu erlangen, es
war auch nicht ein Werk Jesu, durch welches er den uns zürnenden Gott ver¬
söhnte und es Gott möglich machte, uns in seine Gemeinschaft aufzunehmen:
eine solche Auffassung des Werks unsrer Erlösung durch Jesus und der Ver¬
söhnung mit Gott würde dieses Werk ans einer Gottesosfenbarung zu einem
an Gott geschehuen Werke, d. h. zu einem mythologischen Vorgänge machen.
Damit aber wäre die Allmacht und die Einheit Gottes aufgehoben: wir mußten
Christus, als eine zweite Gottheit neben dem Vater betrachten, die Gott, den
Vater, anders bestimmte, als er eigentlich wollte, oder doch als er allein für
sich vermöchte und imstande wäre." „Nein, so formuliert er hierauf seineu
eignen Standpunkt, das Werk Jesu ist das Werk des Einen heiligen all¬
mächtigen Gottes um uns. Jesus ist nicht etwa der göttliche Mittler zwischen


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[0565] Line neue Glaubenslehre Die wichtigste .Konsequenz dieser Auffassung der Erlöserthätigkeit Jesu ist, daß das „unschuldige Leiden und Sterben" Christi die zentrale Bedeutung, die ihm nach der kirchlichen Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung zukommt, verliert, und zwar nicht nur dadurch, daß die forschende, lehrende und kämpfende Thätigkeit des Heilands als gleichberechtigt daneben gestellt wird (S, 15 f.), sondern vor allem durch die aus 1 und 2 folgende Annahme, daß die Gottesvorstellung, wonach der Opfertod Christi zur Versöhnung Gottes nötig war, falsch ist und die Erkenntnis und Überwindung ihrer Unvollkommen- heit eben die Voraussetzung der Erlöserthütigkeit Christi ist. Ziegler hat diese Konsequenzen in vollem Umfange gezogen, aber dank seiner tiefen, zuweilen an Mhstik streifenden Religiosität vermag er trotzdem ein Bild des Erlösers zu zeichnen, das sich von den?, das gefühlsmäßig in den Herzen der protestantischen Christen lebt, bei weitem nicht in dem Maße unterscheidet, wie man nach dem schroffen Gegensatz der dogmatischen An¬ schauungen erwarten sollte. „Jesus, sagt er (S. 63), ist kein Gesetzgeber, sondern ein Erfüller des Willens Gottes gewesen, er war auch nicht der Stifter einer neuen neben den alten Religionen, sondern er war persönlich der Quell der Himmels kraft, welche uns aus Fremden und innerlichen Feinden zu Kindern Gottes macht. Er stellt uns in seiner Person die Religion an sich dar, wie sie den Menschen aus dem alten Leben ohne Gott errettet und ihm das neue Leben aus und mit Gott schenkt. Sein Werk also, welches uns von der Gottentfremdung erlöst und in die Gottgemeinschaft stellt, ist nicht die Stiftung einer einzelnen Religion, sondern es ist die Erfüllung des religiösen Trachtens aller Zeiten wie des Willens Gottes und seiner Be¬ stimmung des Menschen überhaupt." Nachdem so Ziegler das ihm mit der ältern Kirchenlehre in Bezug auf die Auffassung Christi gemeinsame nicht ohne Geschick hervorgehoben hat, for¬ muliert er mit rücksichtsloser Offenheit seinen prinzipiellen Gegensatz gegen die Voraussetzungen der katholischen und der protestantischen Rechtfertigungslehre. „Es war nicht ein Werk Jesu, fährt er nämlich fort (S. 64), welches dieser an Gott gethan hat, um unsre Erlösung von ihm, eigentlich gegen seineu gerechte» Willen, trotz unsrer Ungerechtigkeit dennoch zu erlangen, es war auch nicht ein Werk Jesu, durch welches er den uns zürnenden Gott ver¬ söhnte und es Gott möglich machte, uns in seine Gemeinschaft aufzunehmen: eine solche Auffassung des Werks unsrer Erlösung durch Jesus und der Ver¬ söhnung mit Gott würde dieses Werk ans einer Gottesosfenbarung zu einem an Gott geschehuen Werke, d. h. zu einem mythologischen Vorgänge machen. Damit aber wäre die Allmacht und die Einheit Gottes aufgehoben: wir mußten Christus, als eine zweite Gottheit neben dem Vater betrachten, die Gott, den Vater, anders bestimmte, als er eigentlich wollte, oder doch als er allein für sich vermöchte und imstande wäre." „Nein, so formuliert er hierauf seineu eignen Standpunkt, das Werk Jesu ist das Werk des Einen heiligen all¬ mächtigen Gottes um uns. Jesus ist nicht etwa der göttliche Mittler zwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/565>, abgerufen am 22.07.2024.