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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Hypnose und Suggestion

Hypnose gesagt worden ist; Wohl aber erinnert er sich dessen in spätern Hypnosen;
es giebt also ein Wach- und ein Traumbewußtsein, und die wiederholte künst¬
liche Trennung ist nachteilig. Wiederholtes Hypnotisieren kann zu Nerven- und
Geisteskrankheiten führen; besonders gefährlich ist das suggerieren von Wahn¬
ideen, die oft zu bleibenden werden. Am häufigsten ist Hysterie die Folge von
wiederholten Hypnosen; der Zustand während der Hypnose ist ohnehin manchen
nervösen und geistigen Störungen nahe verwandt.

Die Hysterie ist ein Übergang zwischen dem normalen Zustand und dem
Handeln nach Suggestion, insofern bei ihr Geist und Seele nicht mehr voll-
kommne Herrschaft über den Körper und seine Funktionen haben. Die Le¬
thargie gleicht einer tiefen Hypnose, unterscheidet sich von ihr aber dadurch,
daß das Wachbewnßtsein erhalten ist; der Geist hat aber die Herrschaft
über den Körper verloren. Die Katalepsie, ein plötzliches Erstarren des
Körpers, in der Regel durch einen heftigen Schrecken hervorgerufen, hat
ebenfalls Ähnlichkeit mit der Hypnose; aber sie entsteht momentan, und eine
öftere Wiederholung der Schreckeinwirkmig schwächt die Empfänglichkeit für
die Katalepsie ab, während die Hypnose langsam entsteht und öfteres Hypno¬
tisieren die Empfänglichkeit steigert; auch Tiere können kataleptisch werden,
über nicht hypnotisch.

Die größte Ähnlichkeit mit dem Handeln auf suggestiv" in der Hypnose
bietet das Nachtwandeln, der Somnambulismus, die Mordsucht; sie ist ge¬
wissermaßen eine von selbst entstandne Hypnose mit Autosuggestion. Wie der
Hypnotisierte in der Suggestion geht der Nachtwandler mit geschlossenen Augen
umher und vollführt sinnlose, oft gefährliche Handlungen, von denen er uach
dem Erwachen nichts weiß. Geist und Seele schlafen, nur die Leibesseele ist
wach und regiert den Körper; schwindelfrei geht der Nachtwandler an den ge¬
fährlichsten Orten, denn zur Erzeugung des Schwindels gehört die Vorstellung
der Gefahr, die mir die wache Seele haben kann. In derselben Weise wie der
Hypnotisierte wird anch der Nachtwandler durch ein Anrufen erweckt. Ähn¬
liche Tranmznstände, in denen Handlungen vollführt werden, von denen der
Thäter später nichts weiß, können Epileptische haben.

Bisher ist mir von Suggestion in der Hypnose die Rede gewesen; diese
wird den Schein des Wunderbare" verlieren, wenn man beobachtet, daß die
Empfänglichkeit deS Menschen für Suggestion anch im wachen Zustande außer-
ordentlich groß ist, sei es, daß sie absichtlich von andern ausgeübt wird, sei
^, daß es sich um eine unbewußte Autosuggestion handelt; je geistloser ein
Mensch ist, se> weniger er selbständig denkt und urteilt, desto leichter läßt er
sich durch die Ansichten und die Handlungsweise der großen Menge sugge¬
rieren, desto williger folgt er der Mode.

Die Kleidermode ist nicht verwerflich, wenngleich sie in frühern Zeiten
manche Ungeheuerlichkeiten hervorgebracht hat, die sich die Menge suggerieren
ließ und kritiklos mitmachte; wenn sich über die Mode auch mit dein mensch¬
lichen Körper beschäftigt, und eS augenblicklich Mode ist, daß das weibliche


Grenzboten III ISO! (w
Hypnose und Suggestion

Hypnose gesagt worden ist; Wohl aber erinnert er sich dessen in spätern Hypnosen;
es giebt also ein Wach- und ein Traumbewußtsein, und die wiederholte künst¬
liche Trennung ist nachteilig. Wiederholtes Hypnotisieren kann zu Nerven- und
Geisteskrankheiten führen; besonders gefährlich ist das suggerieren von Wahn¬
ideen, die oft zu bleibenden werden. Am häufigsten ist Hysterie die Folge von
wiederholten Hypnosen; der Zustand während der Hypnose ist ohnehin manchen
nervösen und geistigen Störungen nahe verwandt.

Die Hysterie ist ein Übergang zwischen dem normalen Zustand und dem
Handeln nach Suggestion, insofern bei ihr Geist und Seele nicht mehr voll-
kommne Herrschaft über den Körper und seine Funktionen haben. Die Le¬
thargie gleicht einer tiefen Hypnose, unterscheidet sich von ihr aber dadurch,
daß das Wachbewnßtsein erhalten ist; der Geist hat aber die Herrschaft
über den Körper verloren. Die Katalepsie, ein plötzliches Erstarren des
Körpers, in der Regel durch einen heftigen Schrecken hervorgerufen, hat
ebenfalls Ähnlichkeit mit der Hypnose; aber sie entsteht momentan, und eine
öftere Wiederholung der Schreckeinwirkmig schwächt die Empfänglichkeit für
die Katalepsie ab, während die Hypnose langsam entsteht und öfteres Hypno¬
tisieren die Empfänglichkeit steigert; auch Tiere können kataleptisch werden,
über nicht hypnotisch.

Die größte Ähnlichkeit mit dem Handeln auf suggestiv» in der Hypnose
bietet das Nachtwandeln, der Somnambulismus, die Mordsucht; sie ist ge¬
wissermaßen eine von selbst entstandne Hypnose mit Autosuggestion. Wie der
Hypnotisierte in der Suggestion geht der Nachtwandler mit geschlossenen Augen
umher und vollführt sinnlose, oft gefährliche Handlungen, von denen er uach
dem Erwachen nichts weiß. Geist und Seele schlafen, nur die Leibesseele ist
wach und regiert den Körper; schwindelfrei geht der Nachtwandler an den ge¬
fährlichsten Orten, denn zur Erzeugung des Schwindels gehört die Vorstellung
der Gefahr, die mir die wache Seele haben kann. In derselben Weise wie der
Hypnotisierte wird anch der Nachtwandler durch ein Anrufen erweckt. Ähn¬
liche Tranmznstände, in denen Handlungen vollführt werden, von denen der
Thäter später nichts weiß, können Epileptische haben.

Bisher ist mir von Suggestion in der Hypnose die Rede gewesen; diese
wird den Schein des Wunderbare» verlieren, wenn man beobachtet, daß die
Empfänglichkeit deS Menschen für Suggestion anch im wachen Zustande außer-
ordentlich groß ist, sei es, daß sie absichtlich von andern ausgeübt wird, sei
^, daß es sich um eine unbewußte Autosuggestion handelt; je geistloser ein
Mensch ist, se> weniger er selbständig denkt und urteilt, desto leichter läßt er
sich durch die Ansichten und die Handlungsweise der großen Menge sugge¬
rieren, desto williger folgt er der Mode.

Die Kleidermode ist nicht verwerflich, wenngleich sie in frühern Zeiten
manche Ungeheuerlichkeiten hervorgebracht hat, die sich die Menge suggerieren
ließ und kritiklos mitmachte; wenn sich über die Mode auch mit dein mensch¬
lichen Körper beschäftigt, und eS augenblicklich Mode ist, daß das weibliche


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[0481] Hypnose und Suggestion Hypnose gesagt worden ist; Wohl aber erinnert er sich dessen in spätern Hypnosen; es giebt also ein Wach- und ein Traumbewußtsein, und die wiederholte künst¬ liche Trennung ist nachteilig. Wiederholtes Hypnotisieren kann zu Nerven- und Geisteskrankheiten führen; besonders gefährlich ist das suggerieren von Wahn¬ ideen, die oft zu bleibenden werden. Am häufigsten ist Hysterie die Folge von wiederholten Hypnosen; der Zustand während der Hypnose ist ohnehin manchen nervösen und geistigen Störungen nahe verwandt. Die Hysterie ist ein Übergang zwischen dem normalen Zustand und dem Handeln nach Suggestion, insofern bei ihr Geist und Seele nicht mehr voll- kommne Herrschaft über den Körper und seine Funktionen haben. Die Le¬ thargie gleicht einer tiefen Hypnose, unterscheidet sich von ihr aber dadurch, daß das Wachbewnßtsein erhalten ist; der Geist hat aber die Herrschaft über den Körper verloren. Die Katalepsie, ein plötzliches Erstarren des Körpers, in der Regel durch einen heftigen Schrecken hervorgerufen, hat ebenfalls Ähnlichkeit mit der Hypnose; aber sie entsteht momentan, und eine öftere Wiederholung der Schreckeinwirkmig schwächt die Empfänglichkeit für die Katalepsie ab, während die Hypnose langsam entsteht und öfteres Hypno¬ tisieren die Empfänglichkeit steigert; auch Tiere können kataleptisch werden, über nicht hypnotisch. Die größte Ähnlichkeit mit dem Handeln auf suggestiv» in der Hypnose bietet das Nachtwandeln, der Somnambulismus, die Mordsucht; sie ist ge¬ wissermaßen eine von selbst entstandne Hypnose mit Autosuggestion. Wie der Hypnotisierte in der Suggestion geht der Nachtwandler mit geschlossenen Augen umher und vollführt sinnlose, oft gefährliche Handlungen, von denen er uach dem Erwachen nichts weiß. Geist und Seele schlafen, nur die Leibesseele ist wach und regiert den Körper; schwindelfrei geht der Nachtwandler an den ge¬ fährlichsten Orten, denn zur Erzeugung des Schwindels gehört die Vorstellung der Gefahr, die mir die wache Seele haben kann. In derselben Weise wie der Hypnotisierte wird anch der Nachtwandler durch ein Anrufen erweckt. Ähn¬ liche Tranmznstände, in denen Handlungen vollführt werden, von denen der Thäter später nichts weiß, können Epileptische haben. Bisher ist mir von Suggestion in der Hypnose die Rede gewesen; diese wird den Schein des Wunderbare» verlieren, wenn man beobachtet, daß die Empfänglichkeit deS Menschen für Suggestion anch im wachen Zustande außer- ordentlich groß ist, sei es, daß sie absichtlich von andern ausgeübt wird, sei ^, daß es sich um eine unbewußte Autosuggestion handelt; je geistloser ein Mensch ist, se> weniger er selbständig denkt und urteilt, desto leichter läßt er sich durch die Ansichten und die Handlungsweise der großen Menge sugge¬ rieren, desto williger folgt er der Mode. Die Kleidermode ist nicht verwerflich, wenngleich sie in frühern Zeiten manche Ungeheuerlichkeiten hervorgebracht hat, die sich die Menge suggerieren ließ und kritiklos mitmachte; wenn sich über die Mode auch mit dein mensch¬ lichen Körper beschäftigt, und eS augenblicklich Mode ist, daß das weibliche Grenzboten III ISO! (w

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/481>, abgerufen am 22.07.2024.