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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Goethe und Frankfm'tuam

Wie konnte dieser Manu in dieser Stadt geboren werden? so wird
jedoch mir der fragen, der eine naive Vorstellung von dem Zusammenhang
des Genies mit seinem Geburtsort hat. Die wohlriechendsten Blumen ge¬
deihen auf einem Boden, der durchaus nicht wohlriechend ist. Nur in Goethes
Bilderreichtum vermögen wir einen Einfluß der vnterstädtische" Bevölkerung
zu erkennen, wenngleich natürlich die Bilder Goethes andrer Art sind wie die
der Frankfurter, die mit Vorliebe Worscht, Handkäs, Worschtzippcl und der¬
gleichen zum Vergleich heranziehn.

Es wäre ferner ungerecht, sich folgender Betrachtung zu verschließen.
Goethe entwuchs der Frankfurter Nationnlphysiognomie, soweit er je etwas
davon gehabt hatte, immer mehr; wir glauben diese Physiognomie, auch
äußerlich, zu kennen, denn wir erkennen überall den Frankfurter, auch bevor
wir seinen melodischen Dialekt vernehmen, am Gesicht, an Zügen, die fast
allen Frankfurtern, Juden und Christen, gemeinsam sind, um einer gewissen
Verschwommenheit der Konturen; auf deu Porträts von Goethe finden Nur
die Frankfurter Nationalphysiognomie deutlich ausgesprochen nur einmal; in
dem. Jugendbildnis nämlich aus dem Jahre 1764, also ans der Zeit, bevor
Goethe zum erstenmal die Geburtsstadt für länger verließ, um nach Leipzig
zu gehn. Vielleicht ist noch etwas Lokalcharakter in dem berühmten Bilde
aus dem Jahre 1779 zu finden; doch mag hier der Eindruck auf die Haar¬
tracht zurückzuführen sein, die einem Kopf für unser Empfinden leicht etwas
Weibisches verleiht. Wir sagten, Goethe sei dem Frankfurter Element immer
mehr entwachsen; da ist es billig, zu sagen, daß er voraussichtlich im Alter
jedem andern Lokalcharakter gleichfalls entwachsen wäre. Er erhob sich im
Alter zu einer Objektivität, die den meisten Menschen immer unverständlich
bleiben wird; er wurde ein Weiser, der Religionen und Nationalitäten, Kunst
und Litteratur mit Selbstentäußerung an sich vorüberziehn ließ, überall das
Unvergängliche suchend. Er war in dieser Zeit Nieder Weimaraner noch
Frankfurter. Aber das muß man hageln an: meisten widerstrebte damals
seiner Geistesrichtung die Geistesnchtung von zweien unter den deutschen
Städten, nämlich von Berlin und von Frankfurt. An Berlin war ihm der
Platte Rationalismus und die hastige Unverschämtheit, um Frankfurt die sich
c>is Würde gebende Sattheit, der Reichtum mit Vornehmheit verwechselnde
Geschäftsgeist verhaßt.

Dieser scheint schon immer dort geherrscht zu haben. In Köln trugen
die Festlichkeiten früherer Zeit einen geistlichen, in Nürnberg einen künstle¬
rischen, in Frankfurt einen kulinarischen Charakter, und ihr Programm glich
hier vielfach einer Speisekarte. Die Kaiserkrömmgen zu Frankfurt haben in
der Kunstgeschichte nicht Epoche gemacht, wie es an andern Orten der Fall
gewesen wäre; sie gipfelten in Ochsenbratereien, Ausströmen von Wein und
Verschenken von Geld. Zur Krönung Kaiser Leopolds 11. im Jahre 1790, ein
Jnhr vor seinem Tode also, kam Mozart nach Frankfurt, in der trügerischen
Hoffmmg, dort viel Geld zu verdienen, und gab ein infolge widriger Um-


Goethe und Frankfm'tuam

Wie konnte dieser Manu in dieser Stadt geboren werden? so wird
jedoch mir der fragen, der eine naive Vorstellung von dem Zusammenhang
des Genies mit seinem Geburtsort hat. Die wohlriechendsten Blumen ge¬
deihen auf einem Boden, der durchaus nicht wohlriechend ist. Nur in Goethes
Bilderreichtum vermögen wir einen Einfluß der vnterstädtische» Bevölkerung
zu erkennen, wenngleich natürlich die Bilder Goethes andrer Art sind wie die
der Frankfurter, die mit Vorliebe Worscht, Handkäs, Worschtzippcl und der¬
gleichen zum Vergleich heranziehn.

Es wäre ferner ungerecht, sich folgender Betrachtung zu verschließen.
Goethe entwuchs der Frankfurter Nationnlphysiognomie, soweit er je etwas
davon gehabt hatte, immer mehr; wir glauben diese Physiognomie, auch
äußerlich, zu kennen, denn wir erkennen überall den Frankfurter, auch bevor
wir seinen melodischen Dialekt vernehmen, am Gesicht, an Zügen, die fast
allen Frankfurtern, Juden und Christen, gemeinsam sind, um einer gewissen
Verschwommenheit der Konturen; auf deu Porträts von Goethe finden Nur
die Frankfurter Nationalphysiognomie deutlich ausgesprochen nur einmal; in
dem. Jugendbildnis nämlich aus dem Jahre 1764, also ans der Zeit, bevor
Goethe zum erstenmal die Geburtsstadt für länger verließ, um nach Leipzig
zu gehn. Vielleicht ist noch etwas Lokalcharakter in dem berühmten Bilde
aus dem Jahre 1779 zu finden; doch mag hier der Eindruck auf die Haar¬
tracht zurückzuführen sein, die einem Kopf für unser Empfinden leicht etwas
Weibisches verleiht. Wir sagten, Goethe sei dem Frankfurter Element immer
mehr entwachsen; da ist es billig, zu sagen, daß er voraussichtlich im Alter
jedem andern Lokalcharakter gleichfalls entwachsen wäre. Er erhob sich im
Alter zu einer Objektivität, die den meisten Menschen immer unverständlich
bleiben wird; er wurde ein Weiser, der Religionen und Nationalitäten, Kunst
und Litteratur mit Selbstentäußerung an sich vorüberziehn ließ, überall das
Unvergängliche suchend. Er war in dieser Zeit Nieder Weimaraner noch
Frankfurter. Aber das muß man hageln an: meisten widerstrebte damals
seiner Geistesrichtung die Geistesnchtung von zweien unter den deutschen
Städten, nämlich von Berlin und von Frankfurt. An Berlin war ihm der
Platte Rationalismus und die hastige Unverschämtheit, um Frankfurt die sich
c>is Würde gebende Sattheit, der Reichtum mit Vornehmheit verwechselnde
Geschäftsgeist verhaßt.

Dieser scheint schon immer dort geherrscht zu haben. In Köln trugen
die Festlichkeiten früherer Zeit einen geistlichen, in Nürnberg einen künstle¬
rischen, in Frankfurt einen kulinarischen Charakter, und ihr Programm glich
hier vielfach einer Speisekarte. Die Kaiserkrömmgen zu Frankfurt haben in
der Kunstgeschichte nicht Epoche gemacht, wie es an andern Orten der Fall
gewesen wäre; sie gipfelten in Ochsenbratereien, Ausströmen von Wein und
Verschenken von Geld. Zur Krönung Kaiser Leopolds 11. im Jahre 1790, ein
Jnhr vor seinem Tode also, kam Mozart nach Frankfurt, in der trügerischen
Hoffmmg, dort viel Geld zu verdienen, und gab ein infolge widriger Um-


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[0471] Goethe und Frankfm'tuam Wie konnte dieser Manu in dieser Stadt geboren werden? so wird jedoch mir der fragen, der eine naive Vorstellung von dem Zusammenhang des Genies mit seinem Geburtsort hat. Die wohlriechendsten Blumen ge¬ deihen auf einem Boden, der durchaus nicht wohlriechend ist. Nur in Goethes Bilderreichtum vermögen wir einen Einfluß der vnterstädtische» Bevölkerung zu erkennen, wenngleich natürlich die Bilder Goethes andrer Art sind wie die der Frankfurter, die mit Vorliebe Worscht, Handkäs, Worschtzippcl und der¬ gleichen zum Vergleich heranziehn. Es wäre ferner ungerecht, sich folgender Betrachtung zu verschließen. Goethe entwuchs der Frankfurter Nationnlphysiognomie, soweit er je etwas davon gehabt hatte, immer mehr; wir glauben diese Physiognomie, auch äußerlich, zu kennen, denn wir erkennen überall den Frankfurter, auch bevor wir seinen melodischen Dialekt vernehmen, am Gesicht, an Zügen, die fast allen Frankfurtern, Juden und Christen, gemeinsam sind, um einer gewissen Verschwommenheit der Konturen; auf deu Porträts von Goethe finden Nur die Frankfurter Nationalphysiognomie deutlich ausgesprochen nur einmal; in dem. Jugendbildnis nämlich aus dem Jahre 1764, also ans der Zeit, bevor Goethe zum erstenmal die Geburtsstadt für länger verließ, um nach Leipzig zu gehn. Vielleicht ist noch etwas Lokalcharakter in dem berühmten Bilde aus dem Jahre 1779 zu finden; doch mag hier der Eindruck auf die Haar¬ tracht zurückzuführen sein, die einem Kopf für unser Empfinden leicht etwas Weibisches verleiht. Wir sagten, Goethe sei dem Frankfurter Element immer mehr entwachsen; da ist es billig, zu sagen, daß er voraussichtlich im Alter jedem andern Lokalcharakter gleichfalls entwachsen wäre. Er erhob sich im Alter zu einer Objektivität, die den meisten Menschen immer unverständlich bleiben wird; er wurde ein Weiser, der Religionen und Nationalitäten, Kunst und Litteratur mit Selbstentäußerung an sich vorüberziehn ließ, überall das Unvergängliche suchend. Er war in dieser Zeit Nieder Weimaraner noch Frankfurter. Aber das muß man hageln an: meisten widerstrebte damals seiner Geistesrichtung die Geistesnchtung von zweien unter den deutschen Städten, nämlich von Berlin und von Frankfurt. An Berlin war ihm der Platte Rationalismus und die hastige Unverschämtheit, um Frankfurt die sich c>is Würde gebende Sattheit, der Reichtum mit Vornehmheit verwechselnde Geschäftsgeist verhaßt. Dieser scheint schon immer dort geherrscht zu haben. In Köln trugen die Festlichkeiten früherer Zeit einen geistlichen, in Nürnberg einen künstle¬ rischen, in Frankfurt einen kulinarischen Charakter, und ihr Programm glich hier vielfach einer Speisekarte. Die Kaiserkrömmgen zu Frankfurt haben in der Kunstgeschichte nicht Epoche gemacht, wie es an andern Orten der Fall gewesen wäre; sie gipfelten in Ochsenbratereien, Ausströmen von Wein und Verschenken von Geld. Zur Krönung Kaiser Leopolds 11. im Jahre 1790, ein Jnhr vor seinem Tode also, kam Mozart nach Frankfurt, in der trügerischen Hoffmmg, dort viel Geld zu verdienen, und gab ein infolge widriger Um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/471>, abgerufen am 22.07.2024.