Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Marianne von Willemer, deren Schwiegersohn damals Bürgermeister in Frank¬ Am 28. August 1819, Goethes siebzigsten Geburtstag, waren Sulpiz Ach, wer eure Verehrung nicht kennte! Marianne von Willemer, deren Schwiegersohn damals Bürgermeister in Frank¬ Am 28. August 1819, Goethes siebzigsten Geburtstag, waren Sulpiz Ach, wer eure Verehrung nicht kennte! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235642"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1978" prev="#ID_1977"> Marianne von Willemer, deren Schwiegersohn damals Bürgermeister in Frank¬<lb/> furt war, den Dichter fragte, ob er zur Annahme der Ehrenbürgerwnrde seiner<lb/> Vaterstadt bereit sei, lehnte er kurz ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_1979"> Am 28. August 1819, Goethes siebzigsten Geburtstag, waren Sulpiz<lb/> Boisseree und Thorwaldsen in Frankfurt und feierten den Tag mit dortigen<lb/> Verehrern des Dichters. Boisseree gab die Anregung zu einem Gocthedenkmal<lb/> in Frankfurt in Form eines Tempels, den Thorwaldsen mit Reliefs zu<lb/> schmücken unternahm, und worin eine Büste Goethes von Dannecker aufgestellt<lb/> werden sollte. Goethe wurde von dieser beabsichtigten Ehrung unterrichtet,<lb/> erklärte sich bereit, Dannecker, und als dieser verhindert war, Rauch zu sitzen.<lb/> So modellierte denn Rauch im August 1820 zu Jena eine Büste von Goethe;<lb/> im Juni 1824 kam er nach Weimar, um nochmals eine Skizze nach der Natur<lb/> zu modellieren. Aber die Weimarer Kunstfreunde hatten künstlerisch-technische<lb/> Bedenken gegen den geplanten Tempel; in der nächsten Sitzung des Frank¬<lb/> furter Komitees scheint es den armen Weimarcmern übel ergangen zu sei»;<lb/> sogar der Bankier Simon Moritz von Bethmann, der, wie wir gleich sehen<lb/> werden, ein wirklicher Verehrer Goethes gewesen zu sein scheint, schrieb an<lb/> Boisseree, man könne von den Frankfurtern nicht erwarten, daß sie Goethen,<lb/> der sein Bürgerrecht so leicht hingegeben habe, aus eignen Mitteln ein Mo¬<lb/> nument setzten; das vntcrstädtische Interesse für Goethe sei „rein erloschen."<lb/> Als der Bericht über die Sitzung nach Weimar gelangte, sprach Oberbaudirektor<lb/> Coudray in einem Brief um Kanzler von Müller den „sehnlicher Wunsch"<lb/> aus, „daß unser hochverehrtester Goethe von dieser Verhandlung nie etwas<lb/> erfahren möge." Die Angelegenheit wäre völlig eingeschlafen, dn weder der<lb/> Denkmalsverein noch der Magistrat wirkliches Interesse dafür hatten, wenn<lb/> nicht Simon Moritz von Bethmann, der Namens des Vereins das Denkmal<lb/> schon bei Rauch bestellt hatte, am 7. November 1825 dem Künstler erklärt<lb/> hätte, die Kosten t.5000 Thaler) persönlich tragen zu wollen; aber Bethmann<lb/> starb am 28. Dezember 1826, seine Erben betrachteten sich, wie es scheint,<lb/> durch den mit Rauch geschlossenen Vertrag nicht als gebunden, der Denkmals¬<lb/> verein war zwar nicht aufgelöst, aber endgiltig eingeschlafen, und so endete<lb/> die Denkmalsangelegenhcit, mit der man den greisen Dichter, Rauch — der<lb/> vier Modelle ausgeführt hatte — und die andern Teilnehmenden so vielfach<lb/> behelligt, in Spannung gehalten, auch erfreut und schließlich gründlich enttäuscht<lb/> hatte, ebenso wie die mit dem Bürgerrecht. PostHumen Ehrungen eines großen<lb/> Mannes messen wir einen geringen Wert bei; einen um so geringern, wenn<lb/> dabei das Bestreben bemerkbar ist, sich selber „einen Spaß herauszubilden."<lb/> Als es späterhin zur Errichtung eines Standbilds gekommen war, fand Friedrich<lb/> Hebbel, daß das Goethedenkmal zu Frankfurt am Main „in das Börsentreiben<lb/> der christliche,! und hebräischen Juden hineinblickt, wie in Italien die antike<lb/> Statue in den Ziegen- und Eselstall."</p><lb/> <quote> Ach, wer eure Verehrung nicht kennte!<lb/> Euch, nicht uns setzt ihr Monumente.</quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0470]
Marianne von Willemer, deren Schwiegersohn damals Bürgermeister in Frank¬
furt war, den Dichter fragte, ob er zur Annahme der Ehrenbürgerwnrde seiner
Vaterstadt bereit sei, lehnte er kurz ab.
Am 28. August 1819, Goethes siebzigsten Geburtstag, waren Sulpiz
Boisseree und Thorwaldsen in Frankfurt und feierten den Tag mit dortigen
Verehrern des Dichters. Boisseree gab die Anregung zu einem Gocthedenkmal
in Frankfurt in Form eines Tempels, den Thorwaldsen mit Reliefs zu
schmücken unternahm, und worin eine Büste Goethes von Dannecker aufgestellt
werden sollte. Goethe wurde von dieser beabsichtigten Ehrung unterrichtet,
erklärte sich bereit, Dannecker, und als dieser verhindert war, Rauch zu sitzen.
So modellierte denn Rauch im August 1820 zu Jena eine Büste von Goethe;
im Juni 1824 kam er nach Weimar, um nochmals eine Skizze nach der Natur
zu modellieren. Aber die Weimarer Kunstfreunde hatten künstlerisch-technische
Bedenken gegen den geplanten Tempel; in der nächsten Sitzung des Frank¬
furter Komitees scheint es den armen Weimarcmern übel ergangen zu sei»;
sogar der Bankier Simon Moritz von Bethmann, der, wie wir gleich sehen
werden, ein wirklicher Verehrer Goethes gewesen zu sein scheint, schrieb an
Boisseree, man könne von den Frankfurtern nicht erwarten, daß sie Goethen,
der sein Bürgerrecht so leicht hingegeben habe, aus eignen Mitteln ein Mo¬
nument setzten; das vntcrstädtische Interesse für Goethe sei „rein erloschen."
Als der Bericht über die Sitzung nach Weimar gelangte, sprach Oberbaudirektor
Coudray in einem Brief um Kanzler von Müller den „sehnlicher Wunsch"
aus, „daß unser hochverehrtester Goethe von dieser Verhandlung nie etwas
erfahren möge." Die Angelegenheit wäre völlig eingeschlafen, dn weder der
Denkmalsverein noch der Magistrat wirkliches Interesse dafür hatten, wenn
nicht Simon Moritz von Bethmann, der Namens des Vereins das Denkmal
schon bei Rauch bestellt hatte, am 7. November 1825 dem Künstler erklärt
hätte, die Kosten t.5000 Thaler) persönlich tragen zu wollen; aber Bethmann
starb am 28. Dezember 1826, seine Erben betrachteten sich, wie es scheint,
durch den mit Rauch geschlossenen Vertrag nicht als gebunden, der Denkmals¬
verein war zwar nicht aufgelöst, aber endgiltig eingeschlafen, und so endete
die Denkmalsangelegenhcit, mit der man den greisen Dichter, Rauch — der
vier Modelle ausgeführt hatte — und die andern Teilnehmenden so vielfach
behelligt, in Spannung gehalten, auch erfreut und schließlich gründlich enttäuscht
hatte, ebenso wie die mit dem Bürgerrecht. PostHumen Ehrungen eines großen
Mannes messen wir einen geringen Wert bei; einen um so geringern, wenn
dabei das Bestreben bemerkbar ist, sich selber „einen Spaß herauszubilden."
Als es späterhin zur Errichtung eines Standbilds gekommen war, fand Friedrich
Hebbel, daß das Goethedenkmal zu Frankfurt am Main „in das Börsentreiben
der christliche,! und hebräischen Juden hineinblickt, wie in Italien die antike
Statue in den Ziegen- und Eselstall."
Ach, wer eure Verehrung nicht kennte!
Euch, nicht uns setzt ihr Monumente.
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