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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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flüssige, vielleicht sogar verderbliche Politik betreiben, und öffentliche Mittel
dafür zu verwenden, würde heute der radikalste Politiker nicht zu befürworten
wagen,"

Leider scheint der Verfasser nicht daran gedacht zu haben, daß die von
den Wohnungsreformern so dringend und hauptsächlich verlangte Fürsorge der
Großstadtgemeinden für billiges und viel besseres Wohnen der ihnen ungerufen
zuströmenden Arbeitermassen doch zum großen Teil ans nichts andres als auf
eine Verwendung öffentlicher Mittel zu dem vou ihm zurückgewieseneu Zweck
hinausläuft. Man sollte meinen, das Verfehlte an diesem Verlangen hätte
sich ihm, als er den eben mitgeteilten Satz schrieb, von selbst aufdrängen
müssen. Er hat sich aber -- wohl in logisch scharfer Begrenzung des ihm
gestellten Themas -- über die verlangte oder zu verlangende Boden- und
Wohnungspolitik Berlins überhaupt nicht geäußert und auch das Problem
der Dezentralisation der Industrie nicht mit einem Wort gestreift.

Sehr eingehend behandelt er dagegen die Bildung und die Bewegung der
Grundrente und der Boden- und Mietpreise, sowie den Einfluß der gro߬
städtische" Bauweise und namentlich auch der Grundstückspekulation darauf.
Auch hierbei können wir ihm in allen wesentlichen Punkten nur zustimmen
und wünschen, daß durch seine Arbeit die durch die sozialistische Propaganda
in sehr weite Kreise der Gebildeten getragnen Vorurteile wirksam bekämpft
würden.

Den bekannten einseitigen Klage" über die rapide Steigerung des gro߬
städtischen Bodens gegenüber, wodurch angeblich die Wohnungsnot hauptsächlich
verschuldet werde, führt er uuter anderm folgendes aus: Das "primäre" und
eigentlich bestimmende "Moment" sei in allen Füllen nicht der Bodenwert,
sondern es seien die Miete oder die sonstigen Erträge der errichteten Gebäude.
Also uicht weil der Bodenwert steige, stiegen die Mieter, sondern umgekehrt,
weil ein höherer Mietertrag erzielt würde, stellten sich die Bodenwerte auf
die dem Ertrag entsprechende Höhe. Im besondern und im einzelnen hänge
die thatsächliche Gestaltung der Bodenwerte, hingen die Preise des Bodens,
wie bei andern Gütern, vom Angebot und von der Nachfrage ab, also bei
städtischen Wohnungen von der Lebhaftigkeit der Bauthätigkeit auf diesem
Gebiet und der Stärke des Zuzugs. Die Preise könnten je nach Konjunktur
auch unter oder über den Werten stehn. Sie seien es, die die Spekulation
vorübergehend ungebührlich in die Höhe treiben könne, aber schließlich sei es
doch immer der sogenannte "reelle," d. h. auf objektiver Basis beruhende Wert,
der die Preise bestimme, und zu dem sie wieder zurückkehrten. Alle Erschei¬
nungen auf dem Grundstückmarkt erklärten sich verhältnismäßig einfach aus
den auch auf ander" Gebieten des Wirtschaftslebens geltenden Preisgesetzen.
Besondrer Erklärungsprinzipien bedürfe es also nicht. Die Bodenwertsteige¬
rungen infolge Einführung der sogenannten "Mietkasernen" oder infolge Ver¬
wandlung von Wohnhäusern in Geschäftshäuser sei nicht merkwürdiger oder
unnatürlicher als die Steigerung beim Übergang von der landwirtschaftliche"


flüssige, vielleicht sogar verderbliche Politik betreiben, und öffentliche Mittel
dafür zu verwenden, würde heute der radikalste Politiker nicht zu befürworten
wagen,"

Leider scheint der Verfasser nicht daran gedacht zu haben, daß die von
den Wohnungsreformern so dringend und hauptsächlich verlangte Fürsorge der
Großstadtgemeinden für billiges und viel besseres Wohnen der ihnen ungerufen
zuströmenden Arbeitermassen doch zum großen Teil ans nichts andres als auf
eine Verwendung öffentlicher Mittel zu dem vou ihm zurückgewieseneu Zweck
hinausläuft. Man sollte meinen, das Verfehlte an diesem Verlangen hätte
sich ihm, als er den eben mitgeteilten Satz schrieb, von selbst aufdrängen
müssen. Er hat sich aber — wohl in logisch scharfer Begrenzung des ihm
gestellten Themas — über die verlangte oder zu verlangende Boden- und
Wohnungspolitik Berlins überhaupt nicht geäußert und auch das Problem
der Dezentralisation der Industrie nicht mit einem Wort gestreift.

Sehr eingehend behandelt er dagegen die Bildung und die Bewegung der
Grundrente und der Boden- und Mietpreise, sowie den Einfluß der gro߬
städtische» Bauweise und namentlich auch der Grundstückspekulation darauf.
Auch hierbei können wir ihm in allen wesentlichen Punkten nur zustimmen
und wünschen, daß durch seine Arbeit die durch die sozialistische Propaganda
in sehr weite Kreise der Gebildeten getragnen Vorurteile wirksam bekämpft
würden.

Den bekannten einseitigen Klage» über die rapide Steigerung des gro߬
städtischen Bodens gegenüber, wodurch angeblich die Wohnungsnot hauptsächlich
verschuldet werde, führt er uuter anderm folgendes aus: Das „primäre" und
eigentlich bestimmende „Moment" sei in allen Füllen nicht der Bodenwert,
sondern es seien die Miete oder die sonstigen Erträge der errichteten Gebäude.
Also uicht weil der Bodenwert steige, stiegen die Mieter, sondern umgekehrt,
weil ein höherer Mietertrag erzielt würde, stellten sich die Bodenwerte auf
die dem Ertrag entsprechende Höhe. Im besondern und im einzelnen hänge
die thatsächliche Gestaltung der Bodenwerte, hingen die Preise des Bodens,
wie bei andern Gütern, vom Angebot und von der Nachfrage ab, also bei
städtischen Wohnungen von der Lebhaftigkeit der Bauthätigkeit auf diesem
Gebiet und der Stärke des Zuzugs. Die Preise könnten je nach Konjunktur
auch unter oder über den Werten stehn. Sie seien es, die die Spekulation
vorübergehend ungebührlich in die Höhe treiben könne, aber schließlich sei es
doch immer der sogenannte „reelle," d. h. auf objektiver Basis beruhende Wert,
der die Preise bestimme, und zu dem sie wieder zurückkehrten. Alle Erschei¬
nungen auf dem Grundstückmarkt erklärten sich verhältnismäßig einfach aus
den auch auf ander» Gebieten des Wirtschaftslebens geltenden Preisgesetzen.
Besondrer Erklärungsprinzipien bedürfe es also nicht. Die Bodenwertsteige¬
rungen infolge Einführung der sogenannten „Mietkasernen" oder infolge Ver¬
wandlung von Wohnhäusern in Geschäftshäuser sei nicht merkwürdiger oder
unnatürlicher als die Steigerung beim Übergang von der landwirtschaftliche»


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[0454] flüssige, vielleicht sogar verderbliche Politik betreiben, und öffentliche Mittel dafür zu verwenden, würde heute der radikalste Politiker nicht zu befürworten wagen," Leider scheint der Verfasser nicht daran gedacht zu haben, daß die von den Wohnungsreformern so dringend und hauptsächlich verlangte Fürsorge der Großstadtgemeinden für billiges und viel besseres Wohnen der ihnen ungerufen zuströmenden Arbeitermassen doch zum großen Teil ans nichts andres als auf eine Verwendung öffentlicher Mittel zu dem vou ihm zurückgewieseneu Zweck hinausläuft. Man sollte meinen, das Verfehlte an diesem Verlangen hätte sich ihm, als er den eben mitgeteilten Satz schrieb, von selbst aufdrängen müssen. Er hat sich aber — wohl in logisch scharfer Begrenzung des ihm gestellten Themas — über die verlangte oder zu verlangende Boden- und Wohnungspolitik Berlins überhaupt nicht geäußert und auch das Problem der Dezentralisation der Industrie nicht mit einem Wort gestreift. Sehr eingehend behandelt er dagegen die Bildung und die Bewegung der Grundrente und der Boden- und Mietpreise, sowie den Einfluß der gro߬ städtische» Bauweise und namentlich auch der Grundstückspekulation darauf. Auch hierbei können wir ihm in allen wesentlichen Punkten nur zustimmen und wünschen, daß durch seine Arbeit die durch die sozialistische Propaganda in sehr weite Kreise der Gebildeten getragnen Vorurteile wirksam bekämpft würden. Den bekannten einseitigen Klage» über die rapide Steigerung des gro߬ städtischen Bodens gegenüber, wodurch angeblich die Wohnungsnot hauptsächlich verschuldet werde, führt er uuter anderm folgendes aus: Das „primäre" und eigentlich bestimmende „Moment" sei in allen Füllen nicht der Bodenwert, sondern es seien die Miete oder die sonstigen Erträge der errichteten Gebäude. Also uicht weil der Bodenwert steige, stiegen die Mieter, sondern umgekehrt, weil ein höherer Mietertrag erzielt würde, stellten sich die Bodenwerte auf die dem Ertrag entsprechende Höhe. Im besondern und im einzelnen hänge die thatsächliche Gestaltung der Bodenwerte, hingen die Preise des Bodens, wie bei andern Gütern, vom Angebot und von der Nachfrage ab, also bei städtischen Wohnungen von der Lebhaftigkeit der Bauthätigkeit auf diesem Gebiet und der Stärke des Zuzugs. Die Preise könnten je nach Konjunktur auch unter oder über den Werten stehn. Sie seien es, die die Spekulation vorübergehend ungebührlich in die Höhe treiben könne, aber schließlich sei es doch immer der sogenannte „reelle," d. h. auf objektiver Basis beruhende Wert, der die Preise bestimme, und zu dem sie wieder zurückkehrten. Alle Erschei¬ nungen auf dem Grundstückmarkt erklärten sich verhältnismäßig einfach aus den auch auf ander» Gebieten des Wirtschaftslebens geltenden Preisgesetzen. Besondrer Erklärungsprinzipien bedürfe es also nicht. Die Bodenwertsteige¬ rungen infolge Einführung der sogenannten „Mietkasernen" oder infolge Ver¬ wandlung von Wohnhäusern in Geschäftshäuser sei nicht merkwürdiger oder unnatürlicher als die Steigerung beim Übergang von der landwirtschaftliche»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/454>, abgerufen am 22.07.2024.