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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Das preußische Finanzministerium und seine Aufgaben im nächsten Jahrzehnt

1889/90 in Aussicht gestellt und nur wegen einiger Bedenken Bismarcks
einstweilen zurückgehalten war, so war es doch Miquels glücklicher Hand,
seiner Klugheit und Geschicklichkeit zu verdaute", daß es glücklich durch die
Klippen der parlamentarischen Verhandlungen gesteuert wurde. Und den
Ruhm des Politikers machen nicht neue, originale Gedanken und Gesetzes¬
formulierungen, sondern gerade die Fähigkeit, den günstigen Augenblick klug
zu benutzen, notwendige oder nützliche Neuerungen, die vielleicht längst all¬
gemein als erstrebenswert anerkannt sind, mit weiser Beschränkung auf das
Erreichbare zustande zu bringen.

Während aber die durch die Reform ausgehöhlten Steuern den nicht zu
unterschätzenden Vorzug hatten, daß ihr Ertrag im großen und ganzen keinen
Schwankungen ausgesetzt und eine feste Zahl im Staatshaushalte war, steht
der Ertrag der heutigen Einkommensteuer in unmittelbarer und inniger Ab¬
hängigkeit von der Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Es sind dadurch
eine Unsicherheit und ein Schwanken in den Staatshaushalt gebracht worden,
die sich bisher nur noch uicht fühlbar gemacht haben, well wir auf Zeiten eines
beispiellosen Aufschwungs von Handel, Gewerbfleiß und Verkehr zurücksehen,
die den meisten Kreisen der Steuerpflichtigen gewaltige Einkünfte gebracht und
zur fortgesetzten Erhöhung der Einkommensteuer geführt haben. Bei einem Blick
auf wirtschaftlich rückläufige Zeiten, die im Zeitalter der Weltwirtschaft nicht
ausbleiben können, wird sich aber der vorsichtige Finanzmann eines leisen Zweifels
uicht erwehren können, ob die Miquelsche Reform ans durchweg gesunder
Grundlage beruht. Denn ein wesentlicher Rückgang der Einkommensteuer
müßte sich um so empfindlicher geltend machen, als die andre Haupteinnahme¬
quelle des preußischen Staats, die Eisenbahnen, ebenfalls von der allgemeinen
wirtschaftlichen Lage abhängig ist, wenn wir auch nicht übersehen wollen,
daß die Eiseubahnverwaltung imstande ist, durch große Bestellungen von
Materialien aller Art die Industrie günstig zu beeinflussen und einem all¬
gemeinen Rückgang einigermaßen entgegenzuwirken.

Trotz der bisherigen ungeahnt günstigen Finanzlage Preußens hat sich
denn auch der Druck der Überzeugung, daß die glänzende Gegenwart keine
Gewähr fiir eine glückliche Zukunft bietet, daß nach den fetten Jahre" auch
magere erwartet werden können, wie ein roter Faden durch die ganze Verwaltung
der Finanzen nnter Miquels Hand gezogen. Weil die Anforderungen des
Reichs an die Bundesstaciten dein Gleichgeivicht ihrer Finanzen verhängnisvoll
werden können, erstrebte Miquel zunächst eine Reichsfinanzreform mit dein
Ziele, die Abhängigkeit des preußischen Etats von dem Reichsetat dauernd
oder für bestimmte Perioden in der Weise zu beseitigen, daß durch Reichsgesetz
die Matrikularbeiträge und ihr Verhältnis zu dem Betrage der den Einzel¬
staaten zufließenden Zölle festgelegt würden. Leider mußte sich der Reichstag
aus verfassungsmäßigen Bedenken, zur Wahrung des bundesstaatlichen Charakters
des Reichs diesem Ziele versagen, das vom Standpunkt der Einzelstaaten aus
niemals aufhören wird, erstrebenswert zu sei". Ebenso fand Miquels Vor-


Das preußische Finanzministerium und seine Aufgaben im nächsten Jahrzehnt

1889/90 in Aussicht gestellt und nur wegen einiger Bedenken Bismarcks
einstweilen zurückgehalten war, so war es doch Miquels glücklicher Hand,
seiner Klugheit und Geschicklichkeit zu verdaute», daß es glücklich durch die
Klippen der parlamentarischen Verhandlungen gesteuert wurde. Und den
Ruhm des Politikers machen nicht neue, originale Gedanken und Gesetzes¬
formulierungen, sondern gerade die Fähigkeit, den günstigen Augenblick klug
zu benutzen, notwendige oder nützliche Neuerungen, die vielleicht längst all¬
gemein als erstrebenswert anerkannt sind, mit weiser Beschränkung auf das
Erreichbare zustande zu bringen.

Während aber die durch die Reform ausgehöhlten Steuern den nicht zu
unterschätzenden Vorzug hatten, daß ihr Ertrag im großen und ganzen keinen
Schwankungen ausgesetzt und eine feste Zahl im Staatshaushalte war, steht
der Ertrag der heutigen Einkommensteuer in unmittelbarer und inniger Ab¬
hängigkeit von der Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Es sind dadurch
eine Unsicherheit und ein Schwanken in den Staatshaushalt gebracht worden,
die sich bisher nur noch uicht fühlbar gemacht haben, well wir auf Zeiten eines
beispiellosen Aufschwungs von Handel, Gewerbfleiß und Verkehr zurücksehen,
die den meisten Kreisen der Steuerpflichtigen gewaltige Einkünfte gebracht und
zur fortgesetzten Erhöhung der Einkommensteuer geführt haben. Bei einem Blick
auf wirtschaftlich rückläufige Zeiten, die im Zeitalter der Weltwirtschaft nicht
ausbleiben können, wird sich aber der vorsichtige Finanzmann eines leisen Zweifels
uicht erwehren können, ob die Miquelsche Reform ans durchweg gesunder
Grundlage beruht. Denn ein wesentlicher Rückgang der Einkommensteuer
müßte sich um so empfindlicher geltend machen, als die andre Haupteinnahme¬
quelle des preußischen Staats, die Eisenbahnen, ebenfalls von der allgemeinen
wirtschaftlichen Lage abhängig ist, wenn wir auch nicht übersehen wollen,
daß die Eiseubahnverwaltung imstande ist, durch große Bestellungen von
Materialien aller Art die Industrie günstig zu beeinflussen und einem all¬
gemeinen Rückgang einigermaßen entgegenzuwirken.

Trotz der bisherigen ungeahnt günstigen Finanzlage Preußens hat sich
denn auch der Druck der Überzeugung, daß die glänzende Gegenwart keine
Gewähr fiir eine glückliche Zukunft bietet, daß nach den fetten Jahre» auch
magere erwartet werden können, wie ein roter Faden durch die ganze Verwaltung
der Finanzen nnter Miquels Hand gezogen. Weil die Anforderungen des
Reichs an die Bundesstaciten dein Gleichgeivicht ihrer Finanzen verhängnisvoll
werden können, erstrebte Miquel zunächst eine Reichsfinanzreform mit dein
Ziele, die Abhängigkeit des preußischen Etats von dem Reichsetat dauernd
oder für bestimmte Perioden in der Weise zu beseitigen, daß durch Reichsgesetz
die Matrikularbeiträge und ihr Verhältnis zu dem Betrage der den Einzel¬
staaten zufließenden Zölle festgelegt würden. Leider mußte sich der Reichstag
aus verfassungsmäßigen Bedenken, zur Wahrung des bundesstaatlichen Charakters
des Reichs diesem Ziele versagen, das vom Standpunkt der Einzelstaaten aus
niemals aufhören wird, erstrebenswert zu sei». Ebenso fand Miquels Vor-


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[0263] Das preußische Finanzministerium und seine Aufgaben im nächsten Jahrzehnt 1889/90 in Aussicht gestellt und nur wegen einiger Bedenken Bismarcks einstweilen zurückgehalten war, so war es doch Miquels glücklicher Hand, seiner Klugheit und Geschicklichkeit zu verdaute», daß es glücklich durch die Klippen der parlamentarischen Verhandlungen gesteuert wurde. Und den Ruhm des Politikers machen nicht neue, originale Gedanken und Gesetzes¬ formulierungen, sondern gerade die Fähigkeit, den günstigen Augenblick klug zu benutzen, notwendige oder nützliche Neuerungen, die vielleicht längst all¬ gemein als erstrebenswert anerkannt sind, mit weiser Beschränkung auf das Erreichbare zustande zu bringen. Während aber die durch die Reform ausgehöhlten Steuern den nicht zu unterschätzenden Vorzug hatten, daß ihr Ertrag im großen und ganzen keinen Schwankungen ausgesetzt und eine feste Zahl im Staatshaushalte war, steht der Ertrag der heutigen Einkommensteuer in unmittelbarer und inniger Ab¬ hängigkeit von der Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Es sind dadurch eine Unsicherheit und ein Schwanken in den Staatshaushalt gebracht worden, die sich bisher nur noch uicht fühlbar gemacht haben, well wir auf Zeiten eines beispiellosen Aufschwungs von Handel, Gewerbfleiß und Verkehr zurücksehen, die den meisten Kreisen der Steuerpflichtigen gewaltige Einkünfte gebracht und zur fortgesetzten Erhöhung der Einkommensteuer geführt haben. Bei einem Blick auf wirtschaftlich rückläufige Zeiten, die im Zeitalter der Weltwirtschaft nicht ausbleiben können, wird sich aber der vorsichtige Finanzmann eines leisen Zweifels uicht erwehren können, ob die Miquelsche Reform ans durchweg gesunder Grundlage beruht. Denn ein wesentlicher Rückgang der Einkommensteuer müßte sich um so empfindlicher geltend machen, als die andre Haupteinnahme¬ quelle des preußischen Staats, die Eisenbahnen, ebenfalls von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage abhängig ist, wenn wir auch nicht übersehen wollen, daß die Eiseubahnverwaltung imstande ist, durch große Bestellungen von Materialien aller Art die Industrie günstig zu beeinflussen und einem all¬ gemeinen Rückgang einigermaßen entgegenzuwirken. Trotz der bisherigen ungeahnt günstigen Finanzlage Preußens hat sich denn auch der Druck der Überzeugung, daß die glänzende Gegenwart keine Gewähr fiir eine glückliche Zukunft bietet, daß nach den fetten Jahre» auch magere erwartet werden können, wie ein roter Faden durch die ganze Verwaltung der Finanzen nnter Miquels Hand gezogen. Weil die Anforderungen des Reichs an die Bundesstaciten dein Gleichgeivicht ihrer Finanzen verhängnisvoll werden können, erstrebte Miquel zunächst eine Reichsfinanzreform mit dein Ziele, die Abhängigkeit des preußischen Etats von dem Reichsetat dauernd oder für bestimmte Perioden in der Weise zu beseitigen, daß durch Reichsgesetz die Matrikularbeiträge und ihr Verhältnis zu dem Betrage der den Einzel¬ staaten zufließenden Zölle festgelegt würden. Leider mußte sich der Reichstag aus verfassungsmäßigen Bedenken, zur Wahrung des bundesstaatlichen Charakters des Reichs diesem Ziele versagen, das vom Standpunkt der Einzelstaaten aus niemals aufhören wird, erstrebenswert zu sei». Ebenso fand Miquels Vor-

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/263>, abgerufen am 23.07.2024.