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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Das preußisch? Finanzministerium und seine Aufgaben im nächsten Jahrzehnt

einen übermächtigen Einfluß gewann. Er trat nicht nur Bismarcks Erbschaft
an, unter dessen eisernem Willen angeblich die Minister der achtziger Jahre
geseufzt hatten, sondern beeinflußte und leitete in weit größeren Maße die
Handlungen der übrigen Minister auf dem Gebiete der einzelnen Ressorts in
entscheidender Weise, indem er sich für die Verwendung der Fonds, die formell
der Verfügung der einzelnen Minister und ihrer politischen Verantwortlichkeit
allein überlassen sind, in weitem Umfang das letzte Wort vorbehielt, sodaß er
thatsächlich geradezu die Stellung des Staatskanzlers einnahm, von dem sich
die andern Ressortchefs einigermaßen abhängig fühlten. Darauf mag es be¬
ruhn, daß auf dem Gebiete der Finanzverwaltung, bei den zum Etat des
Finanzministeriums gehörenden Fragen auch da, wo es sich um allgemeinere,
die gesamte Staatsverwaltung berührende Angelegenheiten handelte, von einer
wahrhaften Mitwirkung der beteiligten Minister wenig zu spüren war, daß
unter anderm der Verzicht auf die Realsteuern, deren Teilung zwischen Staat
und Kommune früher ernstlich verteidigt worden war, trotz nicht zu leugnender
Bedenken ohne Widerspruch im Staatsministerium hingenommen wurde. Darauf
müssen auch manche halbe, auf die Dauer unhaltbare Maßregeln zurückgeführt
werden, die neben vielen guten Anregungen an den Namen Miquel an¬
knüpfen.

Sein Hauptwerk, die Reform des preußischen Steuersystems, hat bis jetzt
gehalten, was es versprochen hatte; freilich, die Feuerprobe hat es noch nicht
bestanden. Darüber aber besteht kein Zweifel, die Miquclsche Steuerreform be¬
deutet einen großen Fortschritt insofern, als sie einer Reihe von Forderungen
gerecht wurde, die seit Jahren von der Wissenschaft und der Praxis im
Namen der Gerechtigkeit und der Staatsklugheit aufgestellt worden waren.
Unter Beseitigung der alten Klassensteuer befreite sie die kleinen, nur das
sogenannte Existenzminimum bietenden Einkommen von der direkten Besteuerung,
gestaltete die alte Einkommensteuer, die durch ihre oberflächliche Einschätzung
in Wirklichkeit bei der Mehrheit der Steuerpflichtigen, zumal der wohlhabenden
und reichsten, nur einen Teil des Einkommens besteuerte, im übrigen ungleich¬
müßig oder ungerecht war, und in ihrer veralteten Weise Aktiengesellschaften,
juristische Personen usw. überhaupt nicht traf, derart um, daß sie gebührender¬
weise das ganze Einkommen erfaßte, zugleich zu eiuer Entlastung der gering
und müßig Bemittelten führte und dem Staate wesentlich höhere Einkünfte
schaffte, die ihm längst von Rechts wegen zukamen; sie überwies ferner die
Realsteuern, die teils eine Doppelbesteuerung enthielten, teils der Leistungs¬
fähigkeit ihrer Subjekte nicht Rechnung trugen, nu die Kommunen mit der
Möglichkeit, diese Steuern ganz zu beseitigen und dnrch geeignetere Real¬
steuern zu ersetzen, und die Kommunalbesteuerung wurde in gesundere Bahnen
geführt. Und wenn der wichtigste Teil dieser Reform, das Einkommensteuer¬
gesetz, auch nicht auf Miquels Urheberschaft zurückzuführen ist, wenn es viel¬
mehr schon von seinem Vorgänger entworfen, schon vor seinem Dienstantritt
dem Landtage in der Thronrede bei der Eröffnung der Landtagstagnng von


Das preußisch? Finanzministerium und seine Aufgaben im nächsten Jahrzehnt

einen übermächtigen Einfluß gewann. Er trat nicht nur Bismarcks Erbschaft
an, unter dessen eisernem Willen angeblich die Minister der achtziger Jahre
geseufzt hatten, sondern beeinflußte und leitete in weit größeren Maße die
Handlungen der übrigen Minister auf dem Gebiete der einzelnen Ressorts in
entscheidender Weise, indem er sich für die Verwendung der Fonds, die formell
der Verfügung der einzelnen Minister und ihrer politischen Verantwortlichkeit
allein überlassen sind, in weitem Umfang das letzte Wort vorbehielt, sodaß er
thatsächlich geradezu die Stellung des Staatskanzlers einnahm, von dem sich
die andern Ressortchefs einigermaßen abhängig fühlten. Darauf mag es be¬
ruhn, daß auf dem Gebiete der Finanzverwaltung, bei den zum Etat des
Finanzministeriums gehörenden Fragen auch da, wo es sich um allgemeinere,
die gesamte Staatsverwaltung berührende Angelegenheiten handelte, von einer
wahrhaften Mitwirkung der beteiligten Minister wenig zu spüren war, daß
unter anderm der Verzicht auf die Realsteuern, deren Teilung zwischen Staat
und Kommune früher ernstlich verteidigt worden war, trotz nicht zu leugnender
Bedenken ohne Widerspruch im Staatsministerium hingenommen wurde. Darauf
müssen auch manche halbe, auf die Dauer unhaltbare Maßregeln zurückgeführt
werden, die neben vielen guten Anregungen an den Namen Miquel an¬
knüpfen.

Sein Hauptwerk, die Reform des preußischen Steuersystems, hat bis jetzt
gehalten, was es versprochen hatte; freilich, die Feuerprobe hat es noch nicht
bestanden. Darüber aber besteht kein Zweifel, die Miquclsche Steuerreform be¬
deutet einen großen Fortschritt insofern, als sie einer Reihe von Forderungen
gerecht wurde, die seit Jahren von der Wissenschaft und der Praxis im
Namen der Gerechtigkeit und der Staatsklugheit aufgestellt worden waren.
Unter Beseitigung der alten Klassensteuer befreite sie die kleinen, nur das
sogenannte Existenzminimum bietenden Einkommen von der direkten Besteuerung,
gestaltete die alte Einkommensteuer, die durch ihre oberflächliche Einschätzung
in Wirklichkeit bei der Mehrheit der Steuerpflichtigen, zumal der wohlhabenden
und reichsten, nur einen Teil des Einkommens besteuerte, im übrigen ungleich¬
müßig oder ungerecht war, und in ihrer veralteten Weise Aktiengesellschaften,
juristische Personen usw. überhaupt nicht traf, derart um, daß sie gebührender¬
weise das ganze Einkommen erfaßte, zugleich zu eiuer Entlastung der gering
und müßig Bemittelten führte und dem Staate wesentlich höhere Einkünfte
schaffte, die ihm längst von Rechts wegen zukamen; sie überwies ferner die
Realsteuern, die teils eine Doppelbesteuerung enthielten, teils der Leistungs¬
fähigkeit ihrer Subjekte nicht Rechnung trugen, nu die Kommunen mit der
Möglichkeit, diese Steuern ganz zu beseitigen und dnrch geeignetere Real¬
steuern zu ersetzen, und die Kommunalbesteuerung wurde in gesundere Bahnen
geführt. Und wenn der wichtigste Teil dieser Reform, das Einkommensteuer¬
gesetz, auch nicht auf Miquels Urheberschaft zurückzuführen ist, wenn es viel¬
mehr schon von seinem Vorgänger entworfen, schon vor seinem Dienstantritt
dem Landtage in der Thronrede bei der Eröffnung der Landtagstagnng von


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[0262] Das preußisch? Finanzministerium und seine Aufgaben im nächsten Jahrzehnt einen übermächtigen Einfluß gewann. Er trat nicht nur Bismarcks Erbschaft an, unter dessen eisernem Willen angeblich die Minister der achtziger Jahre geseufzt hatten, sondern beeinflußte und leitete in weit größeren Maße die Handlungen der übrigen Minister auf dem Gebiete der einzelnen Ressorts in entscheidender Weise, indem er sich für die Verwendung der Fonds, die formell der Verfügung der einzelnen Minister und ihrer politischen Verantwortlichkeit allein überlassen sind, in weitem Umfang das letzte Wort vorbehielt, sodaß er thatsächlich geradezu die Stellung des Staatskanzlers einnahm, von dem sich die andern Ressortchefs einigermaßen abhängig fühlten. Darauf mag es be¬ ruhn, daß auf dem Gebiete der Finanzverwaltung, bei den zum Etat des Finanzministeriums gehörenden Fragen auch da, wo es sich um allgemeinere, die gesamte Staatsverwaltung berührende Angelegenheiten handelte, von einer wahrhaften Mitwirkung der beteiligten Minister wenig zu spüren war, daß unter anderm der Verzicht auf die Realsteuern, deren Teilung zwischen Staat und Kommune früher ernstlich verteidigt worden war, trotz nicht zu leugnender Bedenken ohne Widerspruch im Staatsministerium hingenommen wurde. Darauf müssen auch manche halbe, auf die Dauer unhaltbare Maßregeln zurückgeführt werden, die neben vielen guten Anregungen an den Namen Miquel an¬ knüpfen. Sein Hauptwerk, die Reform des preußischen Steuersystems, hat bis jetzt gehalten, was es versprochen hatte; freilich, die Feuerprobe hat es noch nicht bestanden. Darüber aber besteht kein Zweifel, die Miquclsche Steuerreform be¬ deutet einen großen Fortschritt insofern, als sie einer Reihe von Forderungen gerecht wurde, die seit Jahren von der Wissenschaft und der Praxis im Namen der Gerechtigkeit und der Staatsklugheit aufgestellt worden waren. Unter Beseitigung der alten Klassensteuer befreite sie die kleinen, nur das sogenannte Existenzminimum bietenden Einkommen von der direkten Besteuerung, gestaltete die alte Einkommensteuer, die durch ihre oberflächliche Einschätzung in Wirklichkeit bei der Mehrheit der Steuerpflichtigen, zumal der wohlhabenden und reichsten, nur einen Teil des Einkommens besteuerte, im übrigen ungleich¬ müßig oder ungerecht war, und in ihrer veralteten Weise Aktiengesellschaften, juristische Personen usw. überhaupt nicht traf, derart um, daß sie gebührender¬ weise das ganze Einkommen erfaßte, zugleich zu eiuer Entlastung der gering und müßig Bemittelten führte und dem Staate wesentlich höhere Einkünfte schaffte, die ihm längst von Rechts wegen zukamen; sie überwies ferner die Realsteuern, die teils eine Doppelbesteuerung enthielten, teils der Leistungs¬ fähigkeit ihrer Subjekte nicht Rechnung trugen, nu die Kommunen mit der Möglichkeit, diese Steuern ganz zu beseitigen und dnrch geeignetere Real¬ steuern zu ersetzen, und die Kommunalbesteuerung wurde in gesundere Bahnen geführt. Und wenn der wichtigste Teil dieser Reform, das Einkommensteuer¬ gesetz, auch nicht auf Miquels Urheberschaft zurückzuführen ist, wenn es viel¬ mehr schon von seinem Vorgänger entworfen, schon vor seinem Dienstantritt dem Landtage in der Thronrede bei der Eröffnung der Landtagstagnng von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/262>, abgerufen am 22.07.2024.