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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

sogar unter siegreicherm Vordringen seines Handels, dein eine großartige In¬
dustrie die mannigfachsten Werte liefert. Aber es ist ein steiler Weg, den
das Deutsche Reich wandelt, und es wird von ernsten Gefahren umlauert.

Die drohendste liegt darin, daß sich die Riesenreiche wirtschaftlich gegen¬
einander und gegen die übrige Welt abschließen und damit zu der "Autarkie"
gelangen, die deshalb eine ungemessene Lebensdauer verspricht, weil sie in sich
die ausreichende Fülle nicht bloß der Kräfte, sondern auch der Gegensätze trägt.
Zwischen diesen Mächten min möchten Deutschland und Frankreich sich immer
noch Wege offen halten können, breit geung, mit Vorteil darauf zu fahren,
aber Kleinstaaten wie Holland würden dadurch in eine Enge getrieben, die
ihnen den Atem auspressen müßte. Im großen müßten sich die Niederlande
ohne Widerspruch gefalle" lassen, was ihnen im kleinen einstmals die Nnvi-
gatiousakte Cromwells auferlegte. Aller Protest gegen Vergewaltigung würde
ihnen so wenig helfen, wie im Beginn des letzten Jahrhunderts der Notschrei
der Völker, die in der Zwickmühle der Napoleonischen Kontinentalsperre und
der englischen Gegenmaßregeln saßen.

Gründe und Vorstellungen der Holländer würden weder günstige Handels¬
verträge herbeiführen können, noch würde ihre Stimme bei der Regelung deS
Seerechts gehört werde". Nach beide" Seiten hiu haben sie Erfahrungen
genug gemacht, und wenn sie nu deuen "icht genug haben, mit denen sie an
ihrem eignen Leibe heimgesucht worden sind, so mögen sie in der Geschichte
nachschlagen, um sich über die eigue Weise des Verfahrens in Sachen des
Handels und der Seegewalt zu belehren. Wenn ihnen mich in dem schon
anhebenden Gedränge um die Neuverteilung der Welt der Besitz ihrer Kolonien
erhalten bleiben könnte, würde doch der Gewinn ans den Plantagen nicht im
Verhältnis zu dem darauf verwandten Fleiße stehn, und wenn sie die glän¬
zendste Industrie hätten, so würde alle daran gesetzte Anstrengung schwerlich
viel mehr als die Kohle" eindringen, die sie verursacht hätte. Man spricht in
der letzten Zeit viel vou den "offnen Thüren," die die Länder dem Handel
lassen sollten, aber wo das der Fall ist, da ist immer nur der eigne Vorteil
im Spiele. Wie es aber in Wirklichkeit gemeint ist, das kann man zur Ge¬
nüge aus den Vorschlägen ersehen, die schon seit Jahr und Tag die kanadischen
Kolonien dem englischen Mutterlande zur Währung ihrer gemeinsamen Inter¬
essen gemacht haben.

Wenn einmal die großen wirtschaftlichen Zusammenschlüsse, und zwar nur
erst von den genannten drei Mächten gemacht sind, dann werden diese unter¬
einander verhandeln und werden sich nnter Druck und Gegendruck für deu
Austausch ihrer Waren das Maß vou Vergünstigungen bewilligen, das in der
Aalanee zwischen dem eignen Interesse und der fremden Machtstellung liegt.
Wie wird es aber mit Holland aussehen? Vielleicht wird mau es dulden,
wie man j^t "och Portugal duldet, aber wenn es glaubt, seine Schiffs¬
ladungen noch mit demselben Erfolg wie jetzt ans dem Weltmarkt anbringen
M können, wird es weder mit deu Erzeugnissen seines Gewerbefleißes, noch


Grenzboten M IM1 20
Holland und Deutschland

sogar unter siegreicherm Vordringen seines Handels, dein eine großartige In¬
dustrie die mannigfachsten Werte liefert. Aber es ist ein steiler Weg, den
das Deutsche Reich wandelt, und es wird von ernsten Gefahren umlauert.

Die drohendste liegt darin, daß sich die Riesenreiche wirtschaftlich gegen¬
einander und gegen die übrige Welt abschließen und damit zu der „Autarkie"
gelangen, die deshalb eine ungemessene Lebensdauer verspricht, weil sie in sich
die ausreichende Fülle nicht bloß der Kräfte, sondern auch der Gegensätze trägt.
Zwischen diesen Mächten min möchten Deutschland und Frankreich sich immer
noch Wege offen halten können, breit geung, mit Vorteil darauf zu fahren,
aber Kleinstaaten wie Holland würden dadurch in eine Enge getrieben, die
ihnen den Atem auspressen müßte. Im großen müßten sich die Niederlande
ohne Widerspruch gefalle» lassen, was ihnen im kleinen einstmals die Nnvi-
gatiousakte Cromwells auferlegte. Aller Protest gegen Vergewaltigung würde
ihnen so wenig helfen, wie im Beginn des letzten Jahrhunderts der Notschrei
der Völker, die in der Zwickmühle der Napoleonischen Kontinentalsperre und
der englischen Gegenmaßregeln saßen.

Gründe und Vorstellungen der Holländer würden weder günstige Handels¬
verträge herbeiführen können, noch würde ihre Stimme bei der Regelung deS
Seerechts gehört werde». Nach beide» Seiten hiu haben sie Erfahrungen
genug gemacht, und wenn sie nu deuen »icht genug haben, mit denen sie an
ihrem eignen Leibe heimgesucht worden sind, so mögen sie in der Geschichte
nachschlagen, um sich über die eigue Weise des Verfahrens in Sachen des
Handels und der Seegewalt zu belehren. Wenn ihnen mich in dem schon
anhebenden Gedränge um die Neuverteilung der Welt der Besitz ihrer Kolonien
erhalten bleiben könnte, würde doch der Gewinn ans den Plantagen nicht im
Verhältnis zu dem darauf verwandten Fleiße stehn, und wenn sie die glän¬
zendste Industrie hätten, so würde alle daran gesetzte Anstrengung schwerlich
viel mehr als die Kohle» eindringen, die sie verursacht hätte. Man spricht in
der letzten Zeit viel vou den „offnen Thüren," die die Länder dem Handel
lassen sollten, aber wo das der Fall ist, da ist immer nur der eigne Vorteil
im Spiele. Wie es aber in Wirklichkeit gemeint ist, das kann man zur Ge¬
nüge aus den Vorschlägen ersehen, die schon seit Jahr und Tag die kanadischen
Kolonien dem englischen Mutterlande zur Währung ihrer gemeinsamen Inter¬
essen gemacht haben.

Wenn einmal die großen wirtschaftlichen Zusammenschlüsse, und zwar nur
erst von den genannten drei Mächten gemacht sind, dann werden diese unter¬
einander verhandeln und werden sich nnter Druck und Gegendruck für deu
Austausch ihrer Waren das Maß vou Vergünstigungen bewilligen, das in der
Aalanee zwischen dem eignen Interesse und der fremden Machtstellung liegt.
Wie wird es aber mit Holland aussehen? Vielleicht wird mau es dulden,
wie man j^t „och Portugal duldet, aber wenn es glaubt, seine Schiffs¬
ladungen noch mit demselben Erfolg wie jetzt ans dem Weltmarkt anbringen
M können, wird es weder mit deu Erzeugnissen seines Gewerbefleißes, noch


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[0161] Holland und Deutschland sogar unter siegreicherm Vordringen seines Handels, dein eine großartige In¬ dustrie die mannigfachsten Werte liefert. Aber es ist ein steiler Weg, den das Deutsche Reich wandelt, und es wird von ernsten Gefahren umlauert. Die drohendste liegt darin, daß sich die Riesenreiche wirtschaftlich gegen¬ einander und gegen die übrige Welt abschließen und damit zu der „Autarkie" gelangen, die deshalb eine ungemessene Lebensdauer verspricht, weil sie in sich die ausreichende Fülle nicht bloß der Kräfte, sondern auch der Gegensätze trägt. Zwischen diesen Mächten min möchten Deutschland und Frankreich sich immer noch Wege offen halten können, breit geung, mit Vorteil darauf zu fahren, aber Kleinstaaten wie Holland würden dadurch in eine Enge getrieben, die ihnen den Atem auspressen müßte. Im großen müßten sich die Niederlande ohne Widerspruch gefalle» lassen, was ihnen im kleinen einstmals die Nnvi- gatiousakte Cromwells auferlegte. Aller Protest gegen Vergewaltigung würde ihnen so wenig helfen, wie im Beginn des letzten Jahrhunderts der Notschrei der Völker, die in der Zwickmühle der Napoleonischen Kontinentalsperre und der englischen Gegenmaßregeln saßen. Gründe und Vorstellungen der Holländer würden weder günstige Handels¬ verträge herbeiführen können, noch würde ihre Stimme bei der Regelung deS Seerechts gehört werde». Nach beide» Seiten hiu haben sie Erfahrungen genug gemacht, und wenn sie nu deuen »icht genug haben, mit denen sie an ihrem eignen Leibe heimgesucht worden sind, so mögen sie in der Geschichte nachschlagen, um sich über die eigue Weise des Verfahrens in Sachen des Handels und der Seegewalt zu belehren. Wenn ihnen mich in dem schon anhebenden Gedränge um die Neuverteilung der Welt der Besitz ihrer Kolonien erhalten bleiben könnte, würde doch der Gewinn ans den Plantagen nicht im Verhältnis zu dem darauf verwandten Fleiße stehn, und wenn sie die glän¬ zendste Industrie hätten, so würde alle daran gesetzte Anstrengung schwerlich viel mehr als die Kohle» eindringen, die sie verursacht hätte. Man spricht in der letzten Zeit viel vou den „offnen Thüren," die die Länder dem Handel lassen sollten, aber wo das der Fall ist, da ist immer nur der eigne Vorteil im Spiele. Wie es aber in Wirklichkeit gemeint ist, das kann man zur Ge¬ nüge aus den Vorschlägen ersehen, die schon seit Jahr und Tag die kanadischen Kolonien dem englischen Mutterlande zur Währung ihrer gemeinsamen Inter¬ essen gemacht haben. Wenn einmal die großen wirtschaftlichen Zusammenschlüsse, und zwar nur erst von den genannten drei Mächten gemacht sind, dann werden diese unter¬ einander verhandeln und werden sich nnter Druck und Gegendruck für deu Austausch ihrer Waren das Maß vou Vergünstigungen bewilligen, das in der Aalanee zwischen dem eignen Interesse und der fremden Machtstellung liegt. Wie wird es aber mit Holland aussehen? Vielleicht wird mau es dulden, wie man j^t „och Portugal duldet, aber wenn es glaubt, seine Schiffs¬ ladungen noch mit demselben Erfolg wie jetzt ans dem Weltmarkt anbringen M können, wird es weder mit deu Erzeugnissen seines Gewerbefleißes, noch Grenzboten M IM1 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/161>, abgerufen am 22.07.2024.