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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Thomas Babington Macaulay

suchen wir aus seinen Werken herauszuschälen, was sich in ihnen von seinen
persönlichen Ansichten über sein Vaterland und die Kunst, es zu regieren,
findet, Macaulay ist vor allem mit Leib und Seele Engländer, Er sagt
einmal von Livius (Ass-^ ein Historv, ^loro Läition 7, 193): "Es hat nicht
den Anschein, als ob er dächte, daß irgend ein Land außer Rom Liebe ver
diene." Wenn wir für Rom England setzen, so können wir dasselbe von
Macaulay sagen. Mit einem Hochgefühl ohne gleichen stellt er den berühmtesten
Einrichtungen und den glänzendsten Namen des klassischen Altertums die ver¬
trauten heimischen gegenüber. Der Senat ist ihm nicht ein so ehrwürdiger
Name wie das Parlament, die NnAua (Änrrtg, steht ihm hoher als Solons
Gesetze; das Kapitol und das Forum mache" auf ihn einen geringern Ein¬
druck als die Westminsterhalle und die Westminsterabtei, der Ort, wo die großen
Männer von zwanzig Generationen gestritten haben, und der Ort, wo sie zu¬
sammen ruhn! Die Art, wie Algernon Sidney und Lord Russell starben, sei
edler zu nennen als die der Römer Thraseas und Cato. Sogar die Teile
der englischen Geschichte, über die mau aus manchen Gründen gern einen
Schleier werfen würde, könnten stolz denen gegenüber gestellt werden, ans
denen die Verehrer des Altertums so gern verweilen. Und indem er den
Kontrast zwischen der Ermordung Cäsars und der Hinrichtung Karls I. dar¬
legen will, fährt er fort: "Der Feind der englischen Freiheit wurde nicht er¬
mordet vou Leuten, die er begnadigt und mit Wohlthaten überhäuft hatte.
Ihm wurde nicht der Dolch in den Rücken gestoßen von denen, die vor ihm
freundlich thaten und ihm schmeichelten. Er wurde auf Schlachtfeldern besiegt,
er wurde vor Gericht gebracht, verurteilt und hingerichtet im Angesicht des
Himmels und der Erde. Unsre Freiheit ist weder griechisch noch römisch,
sondern durchaus englisch" lMstorv 7, 189). Es wird darum auch erklärlich
scheinen, daß er überall da, wo es sich um nationale Interessen handelt,
außerordentlich milde in der Beurteilung ist. Gegenüber solcher Milde er¬
scheint dann die Strenge, die er z. B. in der Beurteilung der Ansprüche
Friedrichs des Großen auf Schlesien übt, in hohem Grade lächerlich.

Wenn er die Vergangenheit Englands mit solcher Freude betrachtete, so
war es nicht deshalb, weil sie etwa im Gegensatz zu einer unerfreulichen
Gegenwart stand - ein solches Gefühl beherrschte unsre Romantiker im Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts. Er versenkte sich vielmehr so liebevoll in ver¬
gangne Zeiten, weil sie zur Gegenwart geführt hatten. In der Besprechung
der Historv ok leis Revolution vou Sir James Mackintvsh heißt es: "Uns,
wollen wir nur gestehn, ist nichts so interessant und erfreulich, als die Stufen¬
leiter zu betrachten, auf der das England des Domesdaybuchs, das England
der Feuer- und Forstgesetze, das England der Kreuzfahrer, Mönche, Schul¬
männer, Astrologen, Leibeignen und Banditen das England wurde, das wir
kennen und lieben, der klassische Boden der Freiheit und Weltweisheit, die
Schule aller Erkenntnis, der Markt für jeden Handel."

Der englische Mutton-ni vereinigt nach Macaulay alle Tugenden in sich.


Thomas Babington Macaulay

suchen wir aus seinen Werken herauszuschälen, was sich in ihnen von seinen
persönlichen Ansichten über sein Vaterland und die Kunst, es zu regieren,
findet, Macaulay ist vor allem mit Leib und Seele Engländer, Er sagt
einmal von Livius (Ass-^ ein Historv, ^loro Läition 7, 193): „Es hat nicht
den Anschein, als ob er dächte, daß irgend ein Land außer Rom Liebe ver
diene." Wenn wir für Rom England setzen, so können wir dasselbe von
Macaulay sagen. Mit einem Hochgefühl ohne gleichen stellt er den berühmtesten
Einrichtungen und den glänzendsten Namen des klassischen Altertums die ver¬
trauten heimischen gegenüber. Der Senat ist ihm nicht ein so ehrwürdiger
Name wie das Parlament, die NnAua (Änrrtg, steht ihm hoher als Solons
Gesetze; das Kapitol und das Forum mache» auf ihn einen geringern Ein¬
druck als die Westminsterhalle und die Westminsterabtei, der Ort, wo die großen
Männer von zwanzig Generationen gestritten haben, und der Ort, wo sie zu¬
sammen ruhn! Die Art, wie Algernon Sidney und Lord Russell starben, sei
edler zu nennen als die der Römer Thraseas und Cato. Sogar die Teile
der englischen Geschichte, über die mau aus manchen Gründen gern einen
Schleier werfen würde, könnten stolz denen gegenüber gestellt werden, ans
denen die Verehrer des Altertums so gern verweilen. Und indem er den
Kontrast zwischen der Ermordung Cäsars und der Hinrichtung Karls I. dar¬
legen will, fährt er fort: „Der Feind der englischen Freiheit wurde nicht er¬
mordet vou Leuten, die er begnadigt und mit Wohlthaten überhäuft hatte.
Ihm wurde nicht der Dolch in den Rücken gestoßen von denen, die vor ihm
freundlich thaten und ihm schmeichelten. Er wurde auf Schlachtfeldern besiegt,
er wurde vor Gericht gebracht, verurteilt und hingerichtet im Angesicht des
Himmels und der Erde. Unsre Freiheit ist weder griechisch noch römisch,
sondern durchaus englisch" lMstorv 7, 189). Es wird darum auch erklärlich
scheinen, daß er überall da, wo es sich um nationale Interessen handelt,
außerordentlich milde in der Beurteilung ist. Gegenüber solcher Milde er¬
scheint dann die Strenge, die er z. B. in der Beurteilung der Ansprüche
Friedrichs des Großen auf Schlesien übt, in hohem Grade lächerlich.

Wenn er die Vergangenheit Englands mit solcher Freude betrachtete, so
war es nicht deshalb, weil sie etwa im Gegensatz zu einer unerfreulichen
Gegenwart stand - ein solches Gefühl beherrschte unsre Romantiker im Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts. Er versenkte sich vielmehr so liebevoll in ver¬
gangne Zeiten, weil sie zur Gegenwart geführt hatten. In der Besprechung
der Historv ok leis Revolution vou Sir James Mackintvsh heißt es: „Uns,
wollen wir nur gestehn, ist nichts so interessant und erfreulich, als die Stufen¬
leiter zu betrachten, auf der das England des Domesdaybuchs, das England
der Feuer- und Forstgesetze, das England der Kreuzfahrer, Mönche, Schul¬
männer, Astrologen, Leibeignen und Banditen das England wurde, das wir
kennen und lieben, der klassische Boden der Freiheit und Weltweisheit, die
Schule aller Erkenntnis, der Markt für jeden Handel."

Der englische Mutton-ni vereinigt nach Macaulay alle Tugenden in sich.


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[0092] Thomas Babington Macaulay suchen wir aus seinen Werken herauszuschälen, was sich in ihnen von seinen persönlichen Ansichten über sein Vaterland und die Kunst, es zu regieren, findet, Macaulay ist vor allem mit Leib und Seele Engländer, Er sagt einmal von Livius (Ass-^ ein Historv, ^loro Läition 7, 193): „Es hat nicht den Anschein, als ob er dächte, daß irgend ein Land außer Rom Liebe ver diene." Wenn wir für Rom England setzen, so können wir dasselbe von Macaulay sagen. Mit einem Hochgefühl ohne gleichen stellt er den berühmtesten Einrichtungen und den glänzendsten Namen des klassischen Altertums die ver¬ trauten heimischen gegenüber. Der Senat ist ihm nicht ein so ehrwürdiger Name wie das Parlament, die NnAua (Änrrtg, steht ihm hoher als Solons Gesetze; das Kapitol und das Forum mache» auf ihn einen geringern Ein¬ druck als die Westminsterhalle und die Westminsterabtei, der Ort, wo die großen Männer von zwanzig Generationen gestritten haben, und der Ort, wo sie zu¬ sammen ruhn! Die Art, wie Algernon Sidney und Lord Russell starben, sei edler zu nennen als die der Römer Thraseas und Cato. Sogar die Teile der englischen Geschichte, über die mau aus manchen Gründen gern einen Schleier werfen würde, könnten stolz denen gegenüber gestellt werden, ans denen die Verehrer des Altertums so gern verweilen. Und indem er den Kontrast zwischen der Ermordung Cäsars und der Hinrichtung Karls I. dar¬ legen will, fährt er fort: „Der Feind der englischen Freiheit wurde nicht er¬ mordet vou Leuten, die er begnadigt und mit Wohlthaten überhäuft hatte. Ihm wurde nicht der Dolch in den Rücken gestoßen von denen, die vor ihm freundlich thaten und ihm schmeichelten. Er wurde auf Schlachtfeldern besiegt, er wurde vor Gericht gebracht, verurteilt und hingerichtet im Angesicht des Himmels und der Erde. Unsre Freiheit ist weder griechisch noch römisch, sondern durchaus englisch" lMstorv 7, 189). Es wird darum auch erklärlich scheinen, daß er überall da, wo es sich um nationale Interessen handelt, außerordentlich milde in der Beurteilung ist. Gegenüber solcher Milde er¬ scheint dann die Strenge, die er z. B. in der Beurteilung der Ansprüche Friedrichs des Großen auf Schlesien übt, in hohem Grade lächerlich. Wenn er die Vergangenheit Englands mit solcher Freude betrachtete, so war es nicht deshalb, weil sie etwa im Gegensatz zu einer unerfreulichen Gegenwart stand - ein solches Gefühl beherrschte unsre Romantiker im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Er versenkte sich vielmehr so liebevoll in ver¬ gangne Zeiten, weil sie zur Gegenwart geführt hatten. In der Besprechung der Historv ok leis Revolution vou Sir James Mackintvsh heißt es: „Uns, wollen wir nur gestehn, ist nichts so interessant und erfreulich, als die Stufen¬ leiter zu betrachten, auf der das England des Domesdaybuchs, das England der Feuer- und Forstgesetze, das England der Kreuzfahrer, Mönche, Schul¬ männer, Astrologen, Leibeignen und Banditen das England wurde, das wir kennen und lieben, der klassische Boden der Freiheit und Weltweisheit, die Schule aller Erkenntnis, der Markt für jeden Handel." Der englische Mutton-ni vereinigt nach Macaulay alle Tugenden in sich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/92>, abgerufen am 02.07.2024.