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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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klar machen, daß die Bestechungen, die Staatsmänner unter Karl II. vom
Auslande annahmen, nicht als etwas so Schlimmes, so moralisch Verwerfliches
anzusehen sind, wie es uns heute erscheint. Es war eine Zeit, wo die Partei¬
leidenschaften gewaltig entfacht waren, und gegenüber dem politischen Gegner
im Innern mußte oft der Landesfeind als Freund erscheinen. In Griechen¬
land hing jeder nu seiner Partei, nicht an dem Boden, dem er entsprossen
war; die Aristokraten von Samos und Corcyra rufen die Lacedämonier ins
Land, während die Demokraten in Athen zusehen. In dem Italien des drei¬
zehnten und deS vierzehnten Jahrhunderts ist man Ghibelline oder Welfe,
bevor man Pisaner oder Florentiner ist. Die Protestanten Schottlands und
Frankreichs wenden sich an die Königin Elisabeth; die katholische Liga brachte
Spanier nach Frankreich. Die Republikaner aller Länder freute" sich der
Siege der Franzosen über ihre eignen Landesgenossen, und die Fürsten und
Adlichen Frankreichs brachten fremde Eroberer nach Paris.

Welchen hohen Standpunkt ihm sein Wissen bei der Besprechung des
einzelnen Falles einzunehmen erlaubt, das zeigte sich auch in glänzender Weise
in seiner berühmten ersten Rede über die Parlamentsreform vom 2. März 1831.
Macaulay war in der vordersten Reihe derer, die die Refvrmschlacht aus¬
kämpften, und die es durchsetzten, daß man das Wahlrecht weiten Kreisen des
Volkes, die es bisher nicht hatten, verlieh, lind daß man es den sogenannten
todt-vn ooronßlrs entzog. Eindrucksvoll ist es, wenn er in der erwähnten
Rede hinweist ans die Umwälzungen, die ihre Ursache in Erscheinungen finden,
ähnlich denen, die damals in England herrschten: "Ein Teil des Gemein¬
wesens, der früher nicht in Betracht gekommen war, entwickelt sich und
erstarkt. Er verlangt eine Stelle in dem Staatsbäu, die angemessen ist, nicht
der frühern Unbedeutendheit, sondern der gegenwärtigen Stärke. Wenn das
gewährt wird, so ist alles in Ordnung. Wem? das aber verweigert wird,
dann kommt der Kampf zum Ausbruch zwischen der jungen Thatkraft der einen
Klasse und den alten Vorrechten einer andern. So war der Kampf zwischen
den Plebejern und Patriziern von Rom. So war der Kampf der italischen
Bundesgenossen um die Zulassung zu deu vollen Rechten römischer Bürger.
So war der Kampf unsrer nordamerikanischen Kolonien gegen das Mutter¬
land. So war der Kampf, den die Katholiken Irlands gegen die Glaubens¬
aristokraten führten. So ist der Kampf, den die freien Schwarzen Jamaikas
jetzt gegen die Aristokratie der Hautfarbe führen. So, schließlich, ist der Kampf,
den die Mittelklassen Englands ausfechten gegen eine Aristokratie der bloßen
Wohnstelle, gegen eine Aristokratie, deren leitender Grundgedanke darauf beruht,
daß sie hundert betruntne stimmberechtigte ^otvgllovsrs, das ist wörtlich
einer, der einen Topf kocht; dann (vor 1832) ein Wähler, der sich dnrch
Aufenthalt in einem Wahlflecken das Stimmrecht erwarb dadurch, daß er auf
eignen Herde für sich selbst tochtej an einem Orte oder den Besitzer eines
verfallnen Schuppens an einem andern mit Machtvollkommenheiten ausstattet,
die den Städten vorenthalten werden, die bis zu den entferntesten Teilen der


Thomas Babwgto» lNamulay

klar machen, daß die Bestechungen, die Staatsmänner unter Karl II. vom
Auslande annahmen, nicht als etwas so Schlimmes, so moralisch Verwerfliches
anzusehen sind, wie es uns heute erscheint. Es war eine Zeit, wo die Partei¬
leidenschaften gewaltig entfacht waren, und gegenüber dem politischen Gegner
im Innern mußte oft der Landesfeind als Freund erscheinen. In Griechen¬
land hing jeder nu seiner Partei, nicht an dem Boden, dem er entsprossen
war; die Aristokraten von Samos und Corcyra rufen die Lacedämonier ins
Land, während die Demokraten in Athen zusehen. In dem Italien des drei¬
zehnten und deS vierzehnten Jahrhunderts ist man Ghibelline oder Welfe,
bevor man Pisaner oder Florentiner ist. Die Protestanten Schottlands und
Frankreichs wenden sich an die Königin Elisabeth; die katholische Liga brachte
Spanier nach Frankreich. Die Republikaner aller Länder freute» sich der
Siege der Franzosen über ihre eignen Landesgenossen, und die Fürsten und
Adlichen Frankreichs brachten fremde Eroberer nach Paris.

Welchen hohen Standpunkt ihm sein Wissen bei der Besprechung des
einzelnen Falles einzunehmen erlaubt, das zeigte sich auch in glänzender Weise
in seiner berühmten ersten Rede über die Parlamentsreform vom 2. März 1831.
Macaulay war in der vordersten Reihe derer, die die Refvrmschlacht aus¬
kämpften, und die es durchsetzten, daß man das Wahlrecht weiten Kreisen des
Volkes, die es bisher nicht hatten, verlieh, lind daß man es den sogenannten
todt-vn ooronßlrs entzog. Eindrucksvoll ist es, wenn er in der erwähnten
Rede hinweist ans die Umwälzungen, die ihre Ursache in Erscheinungen finden,
ähnlich denen, die damals in England herrschten: „Ein Teil des Gemein¬
wesens, der früher nicht in Betracht gekommen war, entwickelt sich und
erstarkt. Er verlangt eine Stelle in dem Staatsbäu, die angemessen ist, nicht
der frühern Unbedeutendheit, sondern der gegenwärtigen Stärke. Wenn das
gewährt wird, so ist alles in Ordnung. Wem? das aber verweigert wird,
dann kommt der Kampf zum Ausbruch zwischen der jungen Thatkraft der einen
Klasse und den alten Vorrechten einer andern. So war der Kampf zwischen
den Plebejern und Patriziern von Rom. So war der Kampf der italischen
Bundesgenossen um die Zulassung zu deu vollen Rechten römischer Bürger.
So war der Kampf unsrer nordamerikanischen Kolonien gegen das Mutter¬
land. So war der Kampf, den die Katholiken Irlands gegen die Glaubens¬
aristokraten führten. So ist der Kampf, den die freien Schwarzen Jamaikas
jetzt gegen die Aristokratie der Hautfarbe führen. So, schließlich, ist der Kampf,
den die Mittelklassen Englands ausfechten gegen eine Aristokratie der bloßen
Wohnstelle, gegen eine Aristokratie, deren leitender Grundgedanke darauf beruht,
daß sie hundert betruntne stimmberechtigte ^otvgllovsrs, das ist wörtlich
einer, der einen Topf kocht; dann (vor 1832) ein Wähler, der sich dnrch
Aufenthalt in einem Wahlflecken das Stimmrecht erwarb dadurch, daß er auf
eignen Herde für sich selbst tochtej an einem Orte oder den Besitzer eines
verfallnen Schuppens an einem andern mit Machtvollkommenheiten ausstattet,
die den Städten vorenthalten werden, die bis zu den entferntesten Teilen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/87>, abgerufen am 02.07.2024.