Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Thomas Babington Macaulav

gänzlich unter Büchern verbringen. Hier finden wir bei ihm schon die Leiden¬
schaft für das Lesen, die ihn sein ganzes Leben beherrschte. Denn welche
Periode im Leben Macaulays wir auch betrachten mögen, seien es die Stu¬
dentenjahre im 1'rinn^ Lollsssö von Cambridge oder die Zeit, wo er ins
Parlament eintrat, oder gar die Jahre 1834 bis 1838, wo er in Indien lebte,
sei es mich die Zeit, wo er das Amt eines Ministers bekleidete, oder die, wo
er sich zurückzog vom öffentlichen Leben, immer entnehmen wir aus seinen
Tagebüchern und Briefen, daß für ihn das Wesentliche seines Lebens die Lektüre
war und die Gedanken, zu denen sie ihn anregte. Als Vierzigjähriger schreibt
er an eine kleine Lieblingsnichte, wie sehr er sich freue, daß sie Bücher gern
habe, und wenn sie erst so alt sei wie er, dann werde sie auch finden, daß
Bücher besser seien als alle Torten und Kuchen und Spielsachen. "Wenn
mich jemand, so führt er fort, zum größten König, der jemals gelebt hat,
machen wollte, mit Schlössern und Gärten und feinen Tafelfreuden und Wein
und Kutschen und schönen Gewändern und Hunderten von Dienern, aber nur
dann, wenn ich nicht Bücher läse, so möchte ich kein König sein. Ich würde
lieber als armer Mann in einer Dachstube leben mit einer Menge Bücher als
ein König sein, der nicht gern läse."

Die Natur hatte ihm aber mich eine unschätzbare Gabe verliehn, die dieser
Belesenheit erst ihren vollen Wert gab, und das war ein geradezu staunens¬
wertes Gedächtnis. Man erzählt von ihm, er habe gesagt, wenn alle Exem¬
plare von ?n,riuli8o I^ost und ?ÜArim'8 ?roAre88 vom Erdboden verschwänden,
so würde er es unternehmen, diese Dichtungen aus dem Gedächtnis wieder¬
herzustellen. Sogar als er schon ein Mann von 57 Jahren war, hat diese
Kraft bei ihm nicht wesentlich gelitten; im Oktober 1857 schreibt er: "Ich
ging in der Halle auf und ab und lernte den schönen vierten Akt aus dem
Kaufmann von Venedig auswendig. Es stehn 400 Verse darin, von denen
ich 150 konnte. Ich bemeisterte das Ganze mit Einschluß der Prosabriefe in
zwei Stunden."

Wir haben hiermit eine der Eigenschaften berührt, die Maccmlays Stärke
ausmachen! sein weit umfassendes und immer bereites Wissen. Es befähigte
ihn, nicht nur über die Fragen zu sprechen, die seinem Wirkungs- und Studien¬
kreise zunächst lagen, etwa die Probleme der englischen Politik in Indien; er
konnte anch mit derselben Sicherheit über Petrarca und Dante, über Thuky-
dides und Livius, über Moliere und Pascal seine Ansichten äußern. Dieser
reiche Schatz des Wissens bleibt bei ihm nicht als totes Gut vergraben; es
ist rollenden Golde vergleichbar. Mit welcher Leichtigkeit er es ausgeben
kann, zeigt sich auf jeder Seite seiner Lssi^s und seiner Hiswr^, im besondern
da, wo er eine bestimmte Erscheinung in Parallele bringt mit andern, die ihr
ähnlich sind. Will man dies an Beispielen erweisen, so muß man sich gewalt¬
sam Beschränkung auferlegen, so schwer wird es, alle die treffenden Analogien
beiseite zu schieben und nur einige herauszuheben.

I" dem Essay über Haltaus (An8tiwtiona,11Il8wry (1828) will Macaulay


Thomas Babington Macaulav

gänzlich unter Büchern verbringen. Hier finden wir bei ihm schon die Leiden¬
schaft für das Lesen, die ihn sein ganzes Leben beherrschte. Denn welche
Periode im Leben Macaulays wir auch betrachten mögen, seien es die Stu¬
dentenjahre im 1'rinn^ Lollsssö von Cambridge oder die Zeit, wo er ins
Parlament eintrat, oder gar die Jahre 1834 bis 1838, wo er in Indien lebte,
sei es mich die Zeit, wo er das Amt eines Ministers bekleidete, oder die, wo
er sich zurückzog vom öffentlichen Leben, immer entnehmen wir aus seinen
Tagebüchern und Briefen, daß für ihn das Wesentliche seines Lebens die Lektüre
war und die Gedanken, zu denen sie ihn anregte. Als Vierzigjähriger schreibt
er an eine kleine Lieblingsnichte, wie sehr er sich freue, daß sie Bücher gern
habe, und wenn sie erst so alt sei wie er, dann werde sie auch finden, daß
Bücher besser seien als alle Torten und Kuchen und Spielsachen. „Wenn
mich jemand, so führt er fort, zum größten König, der jemals gelebt hat,
machen wollte, mit Schlössern und Gärten und feinen Tafelfreuden und Wein
und Kutschen und schönen Gewändern und Hunderten von Dienern, aber nur
dann, wenn ich nicht Bücher läse, so möchte ich kein König sein. Ich würde
lieber als armer Mann in einer Dachstube leben mit einer Menge Bücher als
ein König sein, der nicht gern läse."

Die Natur hatte ihm aber mich eine unschätzbare Gabe verliehn, die dieser
Belesenheit erst ihren vollen Wert gab, und das war ein geradezu staunens¬
wertes Gedächtnis. Man erzählt von ihm, er habe gesagt, wenn alle Exem¬
plare von ?n,riuli8o I^ost und ?ÜArim'8 ?roAre88 vom Erdboden verschwänden,
so würde er es unternehmen, diese Dichtungen aus dem Gedächtnis wieder¬
herzustellen. Sogar als er schon ein Mann von 57 Jahren war, hat diese
Kraft bei ihm nicht wesentlich gelitten; im Oktober 1857 schreibt er: „Ich
ging in der Halle auf und ab und lernte den schönen vierten Akt aus dem
Kaufmann von Venedig auswendig. Es stehn 400 Verse darin, von denen
ich 150 konnte. Ich bemeisterte das Ganze mit Einschluß der Prosabriefe in
zwei Stunden."

Wir haben hiermit eine der Eigenschaften berührt, die Maccmlays Stärke
ausmachen! sein weit umfassendes und immer bereites Wissen. Es befähigte
ihn, nicht nur über die Fragen zu sprechen, die seinem Wirkungs- und Studien¬
kreise zunächst lagen, etwa die Probleme der englischen Politik in Indien; er
konnte anch mit derselben Sicherheit über Petrarca und Dante, über Thuky-
dides und Livius, über Moliere und Pascal seine Ansichten äußern. Dieser
reiche Schatz des Wissens bleibt bei ihm nicht als totes Gut vergraben; es
ist rollenden Golde vergleichbar. Mit welcher Leichtigkeit er es ausgeben
kann, zeigt sich auf jeder Seite seiner Lssi^s und seiner Hiswr^, im besondern
da, wo er eine bestimmte Erscheinung in Parallele bringt mit andern, die ihr
ähnlich sind. Will man dies an Beispielen erweisen, so muß man sich gewalt¬
sam Beschränkung auferlegen, so schwer wird es, alle die treffenden Analogien
beiseite zu schieben und nur einige herauszuheben.

I» dem Essay über Haltaus (An8tiwtiona,11Il8wry (1828) will Macaulay


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0086" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234616"/>
            <fw type="header" place="top"> Thomas Babington Macaulav</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_220" prev="#ID_219"> gänzlich unter Büchern verbringen. Hier finden wir bei ihm schon die Leiden¬<lb/>
schaft für das Lesen, die ihn sein ganzes Leben beherrschte. Denn welche<lb/>
Periode im Leben Macaulays wir auch betrachten mögen, seien es die Stu¬<lb/>
dentenjahre im 1'rinn^ Lollsssö von Cambridge oder die Zeit, wo er ins<lb/>
Parlament eintrat, oder gar die Jahre 1834 bis 1838, wo er in Indien lebte,<lb/>
sei es mich die Zeit, wo er das Amt eines Ministers bekleidete, oder die, wo<lb/>
er sich zurückzog vom öffentlichen Leben, immer entnehmen wir aus seinen<lb/>
Tagebüchern und Briefen, daß für ihn das Wesentliche seines Lebens die Lektüre<lb/>
war und die Gedanken, zu denen sie ihn anregte. Als Vierzigjähriger schreibt<lb/>
er an eine kleine Lieblingsnichte, wie sehr er sich freue, daß sie Bücher gern<lb/>
habe, und wenn sie erst so alt sei wie er, dann werde sie auch finden, daß<lb/>
Bücher besser seien als alle Torten und Kuchen und Spielsachen. &#x201E;Wenn<lb/>
mich jemand, so führt er fort, zum größten König, der jemals gelebt hat,<lb/>
machen wollte, mit Schlössern und Gärten und feinen Tafelfreuden und Wein<lb/>
und Kutschen und schönen Gewändern und Hunderten von Dienern, aber nur<lb/>
dann, wenn ich nicht Bücher läse, so möchte ich kein König sein. Ich würde<lb/>
lieber als armer Mann in einer Dachstube leben mit einer Menge Bücher als<lb/>
ein König sein, der nicht gern läse."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_221"> Die Natur hatte ihm aber mich eine unschätzbare Gabe verliehn, die dieser<lb/>
Belesenheit erst ihren vollen Wert gab, und das war ein geradezu staunens¬<lb/>
wertes Gedächtnis. Man erzählt von ihm, er habe gesagt, wenn alle Exem¬<lb/>
plare von ?n,riuli8o I^ost und ?ÜArim'8 ?roAre88 vom Erdboden verschwänden,<lb/>
so würde er es unternehmen, diese Dichtungen aus dem Gedächtnis wieder¬<lb/>
herzustellen. Sogar als er schon ein Mann von 57 Jahren war, hat diese<lb/>
Kraft bei ihm nicht wesentlich gelitten; im Oktober 1857 schreibt er: &#x201E;Ich<lb/>
ging in der Halle auf und ab und lernte den schönen vierten Akt aus dem<lb/>
Kaufmann von Venedig auswendig. Es stehn 400 Verse darin, von denen<lb/>
ich 150 konnte. Ich bemeisterte das Ganze mit Einschluß der Prosabriefe in<lb/>
zwei Stunden."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_222"> Wir haben hiermit eine der Eigenschaften berührt, die Maccmlays Stärke<lb/>
ausmachen! sein weit umfassendes und immer bereites Wissen. Es befähigte<lb/>
ihn, nicht nur über die Fragen zu sprechen, die seinem Wirkungs- und Studien¬<lb/>
kreise zunächst lagen, etwa die Probleme der englischen Politik in Indien; er<lb/>
konnte anch mit derselben Sicherheit über Petrarca und Dante, über Thuky-<lb/>
dides und Livius, über Moliere und Pascal seine Ansichten äußern. Dieser<lb/>
reiche Schatz des Wissens bleibt bei ihm nicht als totes Gut vergraben; es<lb/>
ist rollenden Golde vergleichbar. Mit welcher Leichtigkeit er es ausgeben<lb/>
kann, zeigt sich auf jeder Seite seiner Lssi^s und seiner Hiswr^, im besondern<lb/>
da, wo er eine bestimmte Erscheinung in Parallele bringt mit andern, die ihr<lb/>
ähnlich sind. Will man dies an Beispielen erweisen, so muß man sich gewalt¬<lb/>
sam Beschränkung auferlegen, so schwer wird es, alle die treffenden Analogien<lb/>
beiseite zu schieben und nur einige herauszuheben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_223" next="#ID_224"> I» dem Essay über Haltaus (An8tiwtiona,11Il8wry (1828) will Macaulay</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0086] Thomas Babington Macaulav gänzlich unter Büchern verbringen. Hier finden wir bei ihm schon die Leiden¬ schaft für das Lesen, die ihn sein ganzes Leben beherrschte. Denn welche Periode im Leben Macaulays wir auch betrachten mögen, seien es die Stu¬ dentenjahre im 1'rinn^ Lollsssö von Cambridge oder die Zeit, wo er ins Parlament eintrat, oder gar die Jahre 1834 bis 1838, wo er in Indien lebte, sei es mich die Zeit, wo er das Amt eines Ministers bekleidete, oder die, wo er sich zurückzog vom öffentlichen Leben, immer entnehmen wir aus seinen Tagebüchern und Briefen, daß für ihn das Wesentliche seines Lebens die Lektüre war und die Gedanken, zu denen sie ihn anregte. Als Vierzigjähriger schreibt er an eine kleine Lieblingsnichte, wie sehr er sich freue, daß sie Bücher gern habe, und wenn sie erst so alt sei wie er, dann werde sie auch finden, daß Bücher besser seien als alle Torten und Kuchen und Spielsachen. „Wenn mich jemand, so führt er fort, zum größten König, der jemals gelebt hat, machen wollte, mit Schlössern und Gärten und feinen Tafelfreuden und Wein und Kutschen und schönen Gewändern und Hunderten von Dienern, aber nur dann, wenn ich nicht Bücher läse, so möchte ich kein König sein. Ich würde lieber als armer Mann in einer Dachstube leben mit einer Menge Bücher als ein König sein, der nicht gern läse." Die Natur hatte ihm aber mich eine unschätzbare Gabe verliehn, die dieser Belesenheit erst ihren vollen Wert gab, und das war ein geradezu staunens¬ wertes Gedächtnis. Man erzählt von ihm, er habe gesagt, wenn alle Exem¬ plare von ?n,riuli8o I^ost und ?ÜArim'8 ?roAre88 vom Erdboden verschwänden, so würde er es unternehmen, diese Dichtungen aus dem Gedächtnis wieder¬ herzustellen. Sogar als er schon ein Mann von 57 Jahren war, hat diese Kraft bei ihm nicht wesentlich gelitten; im Oktober 1857 schreibt er: „Ich ging in der Halle auf und ab und lernte den schönen vierten Akt aus dem Kaufmann von Venedig auswendig. Es stehn 400 Verse darin, von denen ich 150 konnte. Ich bemeisterte das Ganze mit Einschluß der Prosabriefe in zwei Stunden." Wir haben hiermit eine der Eigenschaften berührt, die Maccmlays Stärke ausmachen! sein weit umfassendes und immer bereites Wissen. Es befähigte ihn, nicht nur über die Fragen zu sprechen, die seinem Wirkungs- und Studien¬ kreise zunächst lagen, etwa die Probleme der englischen Politik in Indien; er konnte anch mit derselben Sicherheit über Petrarca und Dante, über Thuky- dides und Livius, über Moliere und Pascal seine Ansichten äußern. Dieser reiche Schatz des Wissens bleibt bei ihm nicht als totes Gut vergraben; es ist rollenden Golde vergleichbar. Mit welcher Leichtigkeit er es ausgeben kann, zeigt sich auf jeder Seite seiner Lssi^s und seiner Hiswr^, im besondern da, wo er eine bestimmte Erscheinung in Parallele bringt mit andern, die ihr ähnlich sind. Will man dies an Beispielen erweisen, so muß man sich gewalt¬ sam Beschränkung auferlegen, so schwer wird es, alle die treffenden Analogien beiseite zu schieben und nur einige herauszuheben. I» dem Essay über Haltaus (An8tiwtiona,11Il8wry (1828) will Macaulay

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/86
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/86>, abgerufen am 01.07.2024.