Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Friedrich List dagegen, den List später nach englischem Master aufgestellt hat: möglichst viel Geleugnet werden diese Thatsachen wohl nirgends, mir daß sie selten als Friedrich List dagegen, den List später nach englischem Master aufgestellt hat: möglichst viel Geleugnet werden diese Thatsachen wohl nirgends, mir daß sie selten als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0627" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235157"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich List</fw><lb/> <p xml:id="ID_1873" prev="#ID_1872"> dagegen, den List später nach englischem Master aufgestellt hat: möglichst viel<lb/> Rohstoffe einführen, Jndnstricerzeugnisse ausführen, Kolonialwaren konsumieren,<lb/> setzt ein andres Ideal voraus, den reinen Industriestaat, der es nicht bei der<lb/> Rohstosfeiufuhr bewenden läßt, sondern auch seine Lebensmittel einführt.<lb/> Grundsätzlich schlug England den Weg zu diesem Ideal durch Aufhebung der<lb/> Kornzölle erst wenig Monate vor Lifts Tode ein, und List spendete ihm be¬<lb/> geisterten Beifall. Seitdem hat England das Ideal erreicht; aber es gefüllt<lb/> ihm selbst nicht so recht; die Gefährlichkeit seines Zustands wird im Lande seit<lb/> Jahren sehr ernstlich erwogen, und in den letzten Wochen ist das Wort Korn¬<lb/> zoll wieder oft gefallen. Es wäre überflüssig, die Gefahren eines solchen reinen<lb/> Industriestaats, vollends in unsrer Zeit der internationalen Konkurrenz, hier<lb/> noch einmal aufzuzählen, jeder kann die Litanei auswendig. Und sie wird<lb/> demnächst, wenn sich die Wirkungen der Depression, die den Aufschwung der<lb/> letzten fünf Jahre abzulösen anfängt, im vollen Umfange fühlbar machen, von<lb/> einem bedeutend verstärktem Chor angestimmt werden. Die industriefreund¬<lb/> lichsten Blätter verzeichnen sehr bedenkliche Symptome, und die Neue Freie<lb/> Presse meinte neulich, ohne den Flottenbau würde es jetzt schon schlimm stehn<lb/> im Deutschen Reiche. Flvttenvermehrnngen siud doch aber keine ewig und<lb/> gleichmäßig fortdauernde Gelegenheit für deu Konsum vou Eisen und Arbeits¬<lb/> kraft, auf die man die Zukunft der Volkswirtschaft bauen könnte. Freund ^<lb/> wird mich zu den Graningraumalern rechnen, aber so viel ich sehen kann, male<lb/> ich gar nicht, sondern mustere bloß die Thatsache», die List seinem Feldzngs-<lb/> plane zu Grunde legen müßte, wenn er heute lebte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1874" next="#ID_1875"> Geleugnet werden diese Thatsachen wohl nirgends, mir daß sie selten als<lb/> Symptome eines einzigen großen Prozesses aufgefaßt werden, und Theoretiker<lb/> wie Praktiker sich an eine einzelne Erscheinung oder an eine kleine Gruppe<lb/> von Erscheinungen halten. Am meisten wird die Disharmonie zwischen dein<lb/> Osten und dem Westen beachtet, und an guten Ratschlügen und Heilversucheu<lb/> fehlt es da nicht. Wir haben die Bodenbesitzreformer, die Siedlungsgenossen¬<lb/> schaften Franz Oppenhcimers (leider erst ans dem Papiere), die Bemühungen<lb/> der Regierung um innere Kolonisation und um Verpflanzung von Industriell<lb/> in die Agrnrprovinzen. Auch die vortrefflichen Gedanken über Landflucht und<lb/> Polenfrage im 11. und 12. Heft der Grenzboten können dazu beitragen, die<lb/> Entwicklung in die richtigen Bahnen zu leiten. Endlich haben wir deu Versuch<lb/> einer Rettung der Landwirtschaft durch Agrcirzölle, der um so bedenklicher er¬<lb/> scheint, je ausschließlicher er seit Jahren die innere Politik beherrscht. Als<lb/> reiner Theoretiker, und mich streng innerhalb der Grenzen meiner Befähigung<lb/> und Zuständigkeit haltend, kann ich wohl allgemeine Lehr- und Grundsütze<lb/> aufstellen und etwas dazu beitragen, die Leser über Sinn und Bedeutung dessen,<lb/> was vorgeht, zu orientieren, aber in die Diskussion der Sachverständigen über<lb/> die im Augenblick zu entscheidenden Fragen kann ich nicht hineinreden. Ich<lb/> kann also wohl sagen, daß ich mit unserm Mitarbeiter übereinstimme, wenn<lb/> er ausführt, daß zwar unstreitig viele ländliche Grundbesitzer in übler Lage<lb/> sind, daß aber die Not der Landwirtschaft übertrieben wird; daß die künstliche<lb/> Erhöhung der Getreidepreise zwar den gegenwärtigen Besitzern nützt, der nächsten<lb/> Generation aber eine neue, weit schlimmere Krisis bereitet, und daß die Negie¬<lb/> rung die Zukunft der Gegenwart nicht opfern darf; daß jedoch nichts dagegen<lb/> eingewandt werden kann, wenn sie den gegenwärtigen Besitzern einen mäßigen<lb/> Zollschutz gewährt, der sie in der Zeit, die sie brauchen, sich durch Betriebs-<lb/> ündernngen und Verbesserungen auf niedrige Getreidepreise einzurichten, vor<lb/> einer Katastrophe bewahrt. Das also kann ich, aber ich kann nicht ermitteln,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0627]
Friedrich List
dagegen, den List später nach englischem Master aufgestellt hat: möglichst viel
Rohstoffe einführen, Jndnstricerzeugnisse ausführen, Kolonialwaren konsumieren,
setzt ein andres Ideal voraus, den reinen Industriestaat, der es nicht bei der
Rohstosfeiufuhr bewenden läßt, sondern auch seine Lebensmittel einführt.
Grundsätzlich schlug England den Weg zu diesem Ideal durch Aufhebung der
Kornzölle erst wenig Monate vor Lifts Tode ein, und List spendete ihm be¬
geisterten Beifall. Seitdem hat England das Ideal erreicht; aber es gefüllt
ihm selbst nicht so recht; die Gefährlichkeit seines Zustands wird im Lande seit
Jahren sehr ernstlich erwogen, und in den letzten Wochen ist das Wort Korn¬
zoll wieder oft gefallen. Es wäre überflüssig, die Gefahren eines solchen reinen
Industriestaats, vollends in unsrer Zeit der internationalen Konkurrenz, hier
noch einmal aufzuzählen, jeder kann die Litanei auswendig. Und sie wird
demnächst, wenn sich die Wirkungen der Depression, die den Aufschwung der
letzten fünf Jahre abzulösen anfängt, im vollen Umfange fühlbar machen, von
einem bedeutend verstärktem Chor angestimmt werden. Die industriefreund¬
lichsten Blätter verzeichnen sehr bedenkliche Symptome, und die Neue Freie
Presse meinte neulich, ohne den Flottenbau würde es jetzt schon schlimm stehn
im Deutschen Reiche. Flvttenvermehrnngen siud doch aber keine ewig und
gleichmäßig fortdauernde Gelegenheit für deu Konsum vou Eisen und Arbeits¬
kraft, auf die man die Zukunft der Volkswirtschaft bauen könnte. Freund ^
wird mich zu den Graningraumalern rechnen, aber so viel ich sehen kann, male
ich gar nicht, sondern mustere bloß die Thatsache», die List seinem Feldzngs-
plane zu Grunde legen müßte, wenn er heute lebte.
Geleugnet werden diese Thatsachen wohl nirgends, mir daß sie selten als
Symptome eines einzigen großen Prozesses aufgefaßt werden, und Theoretiker
wie Praktiker sich an eine einzelne Erscheinung oder an eine kleine Gruppe
von Erscheinungen halten. Am meisten wird die Disharmonie zwischen dein
Osten und dem Westen beachtet, und an guten Ratschlügen und Heilversucheu
fehlt es da nicht. Wir haben die Bodenbesitzreformer, die Siedlungsgenossen¬
schaften Franz Oppenhcimers (leider erst ans dem Papiere), die Bemühungen
der Regierung um innere Kolonisation und um Verpflanzung von Industriell
in die Agrnrprovinzen. Auch die vortrefflichen Gedanken über Landflucht und
Polenfrage im 11. und 12. Heft der Grenzboten können dazu beitragen, die
Entwicklung in die richtigen Bahnen zu leiten. Endlich haben wir deu Versuch
einer Rettung der Landwirtschaft durch Agrcirzölle, der um so bedenklicher er¬
scheint, je ausschließlicher er seit Jahren die innere Politik beherrscht. Als
reiner Theoretiker, und mich streng innerhalb der Grenzen meiner Befähigung
und Zuständigkeit haltend, kann ich wohl allgemeine Lehr- und Grundsütze
aufstellen und etwas dazu beitragen, die Leser über Sinn und Bedeutung dessen,
was vorgeht, zu orientieren, aber in die Diskussion der Sachverständigen über
die im Augenblick zu entscheidenden Fragen kann ich nicht hineinreden. Ich
kann also wohl sagen, daß ich mit unserm Mitarbeiter übereinstimme, wenn
er ausführt, daß zwar unstreitig viele ländliche Grundbesitzer in übler Lage
sind, daß aber die Not der Landwirtschaft übertrieben wird; daß die künstliche
Erhöhung der Getreidepreise zwar den gegenwärtigen Besitzern nützt, der nächsten
Generation aber eine neue, weit schlimmere Krisis bereitet, und daß die Negie¬
rung die Zukunft der Gegenwart nicht opfern darf; daß jedoch nichts dagegen
eingewandt werden kann, wenn sie den gegenwärtigen Besitzern einen mäßigen
Zollschutz gewährt, der sie in der Zeit, die sie brauchen, sich durch Betriebs-
ündernngen und Verbesserungen auf niedrige Getreidepreise einzurichten, vor
einer Katastrophe bewahrt. Das also kann ich, aber ich kann nicht ermitteln,
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