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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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über. Zu ihrer Bczmingung fehlte auch ihnen die Macht. Wohl oder übel
mußten sie mit diesem Gegner ihren Kompromiß schließen, Karl Martell that
es, indem er das Gut der .Kirche plünderte und an die Großen verschleuderte.
Die ungeheuern eroberten oder unbebauten Landstrecken, über die das Königtum
kraft des Bannrechts zu Chlodwigs Zeiten verfügt hatte, waren schon vorher
großenteils weggeschenkt worden. Haushälterischer begann der einsichtige Pippin
zu wirtschaften. In seine Zeit fallen die Anfänge des Lehnwesens, nach dessen
Grundsätzen die Verleihung von Land an einen Großen nicht eine einmalige
Gegenleistung, sondern die dauernde Kriegsdicnstpflicht erheischte. So hatte
der König doch die Möglichkeit, in Fällen der Unbotmäßigkeit verliehenes Land
wieder einzuziehn. Aber es kam -- wenigstens auf deutschem Boden -- zu¬
nächst das Lehnwesen nicht über einige Ansätze hinaus.

Kein Herrscher des gesamten Mittelalters hat die Tragweite und Be¬
deutung der dem Königtum drohenden Gefahren schärfer und klarer erkannt
als Karl der Große. Wie lächerlich, in schwächlicher Sentimentalität über
diese gewaltige Heldengestalt auf Grund einiger Grausamkeiten, die er begangen
hat, ein Gesamturteil zu fällen! Der Karl, der mit furchtbarer Härte jeden
Aufstand niederschlug, der den aufrührerischen Bnyernherzog blenden und ins
Kloster stecken ließ, wußte, als er dies that, daß Lebensinteressen des deutschen
Königtums auf dem Spiele standen, daß es sich um Sein oder Nichtsein der
königlichen Machtstellung handle. Furcht und Grausen allein vermochte die
sich nur knirschend beugenden, allezeit aufstandslüsterneu Großen in Schranken
zu halten. Hier wäre Milde Schwäche gewesen. In der That haben ver¬
einzelte strenge Ahndungen Karls gegen Aufrührer das Frankenreich vor fort¬
gesetzten innern Erschütterungen während der Zeit seiner Regierung bewahrt.
Zitternd gehorchten die Großen des Reichs seinen Befehlen. Diese gehorsame
Haltung der Großen durch dauernde Institutionen dem Königtum auch für die
Zukunft zu sichern, war eine dringende Notwendigkeit. Denn unter Karls
Regierung hatten infolge der Unterwerfung neuer ausgedehnter Gebiete die
zentrifugalen Kräfte noch eine natürliche Stärkung erfahren. Infolge solcher
Erwägungen schuf Karl das Institut der wi88i clominiei, der Sendgrafen.
Das gesamte Frankenreich wurde in Juspektionsgebiete eingeteilt, deren jedes
von zwei Königsboten bereist wurde. Auf feierlichen Landtagen, die sie ab¬
hielten, verkündeten sie Karls Befehle und nahmen Beschwerden über die könig¬
lichen Beamten entgegen. Widerstand gegen ihre Anordnungen wurde aufs
strengste bestraft. Nur auf einen Monat im Vierteljahr erstreckte sich ihre
Amtsthätigkeit, die beiden übrigen erstatteten sie dem Könige Bericht über ihre
Beobachtungen und Erfahrungen. Auf diesem Wege gelang es Karl, ein wahr¬
haft königliches Regiment in Deutschland aufzurichten.

Nach seinem Tode brach das alles rasch wieder zusammen. Der natür¬
lichen Hemmungen, die einer Zentralisation der Verwaltung im Wege standen,
hatte eben nur der Riesenwille eines Karls vorübergehend Herr zu werden ver¬
mocht. Als im Jahre 911 mit Ludwig dem Kinde das Karvlingergeschlecht


über. Zu ihrer Bczmingung fehlte auch ihnen die Macht. Wohl oder übel
mußten sie mit diesem Gegner ihren Kompromiß schließen, Karl Martell that
es, indem er das Gut der .Kirche plünderte und an die Großen verschleuderte.
Die ungeheuern eroberten oder unbebauten Landstrecken, über die das Königtum
kraft des Bannrechts zu Chlodwigs Zeiten verfügt hatte, waren schon vorher
großenteils weggeschenkt worden. Haushälterischer begann der einsichtige Pippin
zu wirtschaften. In seine Zeit fallen die Anfänge des Lehnwesens, nach dessen
Grundsätzen die Verleihung von Land an einen Großen nicht eine einmalige
Gegenleistung, sondern die dauernde Kriegsdicnstpflicht erheischte. So hatte
der König doch die Möglichkeit, in Fällen der Unbotmäßigkeit verliehenes Land
wieder einzuziehn. Aber es kam -- wenigstens auf deutschem Boden — zu¬
nächst das Lehnwesen nicht über einige Ansätze hinaus.

Kein Herrscher des gesamten Mittelalters hat die Tragweite und Be¬
deutung der dem Königtum drohenden Gefahren schärfer und klarer erkannt
als Karl der Große. Wie lächerlich, in schwächlicher Sentimentalität über
diese gewaltige Heldengestalt auf Grund einiger Grausamkeiten, die er begangen
hat, ein Gesamturteil zu fällen! Der Karl, der mit furchtbarer Härte jeden
Aufstand niederschlug, der den aufrührerischen Bnyernherzog blenden und ins
Kloster stecken ließ, wußte, als er dies that, daß Lebensinteressen des deutschen
Königtums auf dem Spiele standen, daß es sich um Sein oder Nichtsein der
königlichen Machtstellung handle. Furcht und Grausen allein vermochte die
sich nur knirschend beugenden, allezeit aufstandslüsterneu Großen in Schranken
zu halten. Hier wäre Milde Schwäche gewesen. In der That haben ver¬
einzelte strenge Ahndungen Karls gegen Aufrührer das Frankenreich vor fort¬
gesetzten innern Erschütterungen während der Zeit seiner Regierung bewahrt.
Zitternd gehorchten die Großen des Reichs seinen Befehlen. Diese gehorsame
Haltung der Großen durch dauernde Institutionen dem Königtum auch für die
Zukunft zu sichern, war eine dringende Notwendigkeit. Denn unter Karls
Regierung hatten infolge der Unterwerfung neuer ausgedehnter Gebiete die
zentrifugalen Kräfte noch eine natürliche Stärkung erfahren. Infolge solcher
Erwägungen schuf Karl das Institut der wi88i clominiei, der Sendgrafen.
Das gesamte Frankenreich wurde in Juspektionsgebiete eingeteilt, deren jedes
von zwei Königsboten bereist wurde. Auf feierlichen Landtagen, die sie ab¬
hielten, verkündeten sie Karls Befehle und nahmen Beschwerden über die könig¬
lichen Beamten entgegen. Widerstand gegen ihre Anordnungen wurde aufs
strengste bestraft. Nur auf einen Monat im Vierteljahr erstreckte sich ihre
Amtsthätigkeit, die beiden übrigen erstatteten sie dem Könige Bericht über ihre
Beobachtungen und Erfahrungen. Auf diesem Wege gelang es Karl, ein wahr¬
haft königliches Regiment in Deutschland aufzurichten.

Nach seinem Tode brach das alles rasch wieder zusammen. Der natür¬
lichen Hemmungen, die einer Zentralisation der Verwaltung im Wege standen,
hatte eben nur der Riesenwille eines Karls vorübergehend Herr zu werden ver¬
mocht. Als im Jahre 911 mit Ludwig dem Kinde das Karvlingergeschlecht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/62>, abgerufen am 02.07.2024.