Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entwicklung der deutschen Monarchie

Wesens flössen alle Fäden der Verwaltung an der einen Zentralstelle, am
Kaiserhof in Rom zusammen.

Jetzt schwand das alles dahin. Bei der Bedürfnislosigkeit und Selbst
Genügsamkeit der germanischen Stämme ging der Handel zurück, die Städte
entvölkerten sich und wurden zu große" Dörfern; das Edelmetall verlor seinen
Wert als Umsatzmittel und lagerte zinslos in den Schatzkammern; der frühere
rege Verkehr zwischen den einzelnen Reichsteilen erstarb. Als in sich geschlossene
Einheiten lagen die von den verschiednen Stammen und Völkern bewohnten
Reichsteile zusammenhanglos nebeneinander. Zweifellos ist gegenüber dem
ungemein kräftig entwickelten Stammesgefiihl das Bewußtsein der politischen
Zugehörigkeit zum Frankenreiche ganz in den Hintergrund getreten. Und doch
konnte das fränkische Königtum, von dem Glänze kriegerischer Großthaten um¬
strahlt, nicht auf die Herstellung einer starken Zentralgewalt verzichten. Bald
stellten sich dabei natürliche Hemmungen und Widerstände heraus, die in der
ganzen wirtschaftlichen und sozialen Konstruktion des Volks ihre tiefe Be¬
gründung finden. An ihre Beseitigung hat nicht nur das fränkische, sondern auch
das deutsche Königtum des Mittelalters seine besten Kräfte gesetzt. Vergebens!
Alle Versuche, die widerstrebenden Gewalten niederzuzwingen, sind schließlich
gescheitert: durch die mittelalterliche Königs- und Kaisergeschichte geht ein echt
tragischer Zug.

Nur auf die grundsätzlich wichtigen Thatsachen dieser Entwicklung kann
kurz hingewiesen werden. Zunächst schien das fränkische Königtum den zur
Bewältigung der neuen Verwaltungsaufgaben geeigneten Stamm von Beamten
finden zu können in den Personen seines Gefolges, den Antrustionen. Sie
standen zum Könige in einem innigen Treuverhältnisse, das ihnen im Kriege
Aufopferung bis in den Tod für ihren Gefolgsherrn auferlegte. Als Stell¬
vertreter des Königs, als Grafen wurden diese Antrustionen in die verschiednen
Teile des Reichs geschickt. Bald aber zeigte sich, daß für die Treugesinnuug
doch der tägliche persönliche Verkehr und die Lebensgemeinschaft mit dem Könige
die Voraussetzung gewesen war. Jetzt oft in einen fernen Winkel des Reichs
versetzt, im Besitze einer ungeheuern amtlichen Machtfülle, in ihrem Thun von
keiner Seite kontrolliert, vergaßen diese Grafen bald, daß sie nur als Stell¬
vertreter des Königs ihre Befugnisse auszuüben hatten. Die Neigung der
Grafen, die Amtsgewalt eigensüchtig zu mißbrauchen, ist im sechsten und
siebenten Jahrhundert allgemein wahrnehmbar. Bald gelang einzelnen Großen
die Befreiung von der königlichen Aufsicht so vollständig, daß sie kraft eigner
Machtvollkommenheit geboten. Sie ließen sich vom Könige wohl gar noch
urkundlich versprechen, kein königlicher Beamter solle in ihren Bereich ein¬
dringen. Um das Jahr 700 zerfiel das gesamte Frankenreich in eine Menge
solcher halbstaatlicher Zwitterbildungen, und dem merowingischen Königtum
war aller Einfluß aus den Händen gerungen.

Die Karolinger, die das Erbe der entarteten Merowinger antraten, fanden,
zur Herrschaft gelangt, einen geschlossenen Stand trotziger Großen sich gegen-


Die Entwicklung der deutschen Monarchie

Wesens flössen alle Fäden der Verwaltung an der einen Zentralstelle, am
Kaiserhof in Rom zusammen.

Jetzt schwand das alles dahin. Bei der Bedürfnislosigkeit und Selbst
Genügsamkeit der germanischen Stämme ging der Handel zurück, die Städte
entvölkerten sich und wurden zu große» Dörfern; das Edelmetall verlor seinen
Wert als Umsatzmittel und lagerte zinslos in den Schatzkammern; der frühere
rege Verkehr zwischen den einzelnen Reichsteilen erstarb. Als in sich geschlossene
Einheiten lagen die von den verschiednen Stammen und Völkern bewohnten
Reichsteile zusammenhanglos nebeneinander. Zweifellos ist gegenüber dem
ungemein kräftig entwickelten Stammesgefiihl das Bewußtsein der politischen
Zugehörigkeit zum Frankenreiche ganz in den Hintergrund getreten. Und doch
konnte das fränkische Königtum, von dem Glänze kriegerischer Großthaten um¬
strahlt, nicht auf die Herstellung einer starken Zentralgewalt verzichten. Bald
stellten sich dabei natürliche Hemmungen und Widerstände heraus, die in der
ganzen wirtschaftlichen und sozialen Konstruktion des Volks ihre tiefe Be¬
gründung finden. An ihre Beseitigung hat nicht nur das fränkische, sondern auch
das deutsche Königtum des Mittelalters seine besten Kräfte gesetzt. Vergebens!
Alle Versuche, die widerstrebenden Gewalten niederzuzwingen, sind schließlich
gescheitert: durch die mittelalterliche Königs- und Kaisergeschichte geht ein echt
tragischer Zug.

Nur auf die grundsätzlich wichtigen Thatsachen dieser Entwicklung kann
kurz hingewiesen werden. Zunächst schien das fränkische Königtum den zur
Bewältigung der neuen Verwaltungsaufgaben geeigneten Stamm von Beamten
finden zu können in den Personen seines Gefolges, den Antrustionen. Sie
standen zum Könige in einem innigen Treuverhältnisse, das ihnen im Kriege
Aufopferung bis in den Tod für ihren Gefolgsherrn auferlegte. Als Stell¬
vertreter des Königs, als Grafen wurden diese Antrustionen in die verschiednen
Teile des Reichs geschickt. Bald aber zeigte sich, daß für die Treugesinnuug
doch der tägliche persönliche Verkehr und die Lebensgemeinschaft mit dem Könige
die Voraussetzung gewesen war. Jetzt oft in einen fernen Winkel des Reichs
versetzt, im Besitze einer ungeheuern amtlichen Machtfülle, in ihrem Thun von
keiner Seite kontrolliert, vergaßen diese Grafen bald, daß sie nur als Stell¬
vertreter des Königs ihre Befugnisse auszuüben hatten. Die Neigung der
Grafen, die Amtsgewalt eigensüchtig zu mißbrauchen, ist im sechsten und
siebenten Jahrhundert allgemein wahrnehmbar. Bald gelang einzelnen Großen
die Befreiung von der königlichen Aufsicht so vollständig, daß sie kraft eigner
Machtvollkommenheit geboten. Sie ließen sich vom Könige wohl gar noch
urkundlich versprechen, kein königlicher Beamter solle in ihren Bereich ein¬
dringen. Um das Jahr 700 zerfiel das gesamte Frankenreich in eine Menge
solcher halbstaatlicher Zwitterbildungen, und dem merowingischen Königtum
war aller Einfluß aus den Händen gerungen.

Die Karolinger, die das Erbe der entarteten Merowinger antraten, fanden,
zur Herrschaft gelangt, einen geschlossenen Stand trotziger Großen sich gegen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234591"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Entwicklung der deutschen Monarchie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_152" prev="#ID_151"> Wesens flössen alle Fäden der Verwaltung an der einen Zentralstelle, am<lb/>
Kaiserhof in Rom zusammen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_153"> Jetzt schwand das alles dahin. Bei der Bedürfnislosigkeit und Selbst<lb/>
Genügsamkeit der germanischen Stämme ging der Handel zurück, die Städte<lb/>
entvölkerten sich und wurden zu große» Dörfern; das Edelmetall verlor seinen<lb/>
Wert als Umsatzmittel und lagerte zinslos in den Schatzkammern; der frühere<lb/>
rege Verkehr zwischen den einzelnen Reichsteilen erstarb. Als in sich geschlossene<lb/>
Einheiten lagen die von den verschiednen Stammen und Völkern bewohnten<lb/>
Reichsteile zusammenhanglos nebeneinander. Zweifellos ist gegenüber dem<lb/>
ungemein kräftig entwickelten Stammesgefiihl das Bewußtsein der politischen<lb/>
Zugehörigkeit zum Frankenreiche ganz in den Hintergrund getreten. Und doch<lb/>
konnte das fränkische Königtum, von dem Glänze kriegerischer Großthaten um¬<lb/>
strahlt, nicht auf die Herstellung einer starken Zentralgewalt verzichten. Bald<lb/>
stellten sich dabei natürliche Hemmungen und Widerstände heraus, die in der<lb/>
ganzen wirtschaftlichen und sozialen Konstruktion des Volks ihre tiefe Be¬<lb/>
gründung finden. An ihre Beseitigung hat nicht nur das fränkische, sondern auch<lb/>
das deutsche Königtum des Mittelalters seine besten Kräfte gesetzt. Vergebens!<lb/>
Alle Versuche, die widerstrebenden Gewalten niederzuzwingen, sind schließlich<lb/>
gescheitert: durch die mittelalterliche Königs- und Kaisergeschichte geht ein echt<lb/>
tragischer Zug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_154"> Nur auf die grundsätzlich wichtigen Thatsachen dieser Entwicklung kann<lb/>
kurz hingewiesen werden. Zunächst schien das fränkische Königtum den zur<lb/>
Bewältigung der neuen Verwaltungsaufgaben geeigneten Stamm von Beamten<lb/>
finden zu können in den Personen seines Gefolges, den Antrustionen. Sie<lb/>
standen zum Könige in einem innigen Treuverhältnisse, das ihnen im Kriege<lb/>
Aufopferung bis in den Tod für ihren Gefolgsherrn auferlegte. Als Stell¬<lb/>
vertreter des Königs, als Grafen wurden diese Antrustionen in die verschiednen<lb/>
Teile des Reichs geschickt. Bald aber zeigte sich, daß für die Treugesinnuug<lb/>
doch der tägliche persönliche Verkehr und die Lebensgemeinschaft mit dem Könige<lb/>
die Voraussetzung gewesen war. Jetzt oft in einen fernen Winkel des Reichs<lb/>
versetzt, im Besitze einer ungeheuern amtlichen Machtfülle, in ihrem Thun von<lb/>
keiner Seite kontrolliert, vergaßen diese Grafen bald, daß sie nur als Stell¬<lb/>
vertreter des Königs ihre Befugnisse auszuüben hatten. Die Neigung der<lb/>
Grafen, die Amtsgewalt eigensüchtig zu mißbrauchen, ist im sechsten und<lb/>
siebenten Jahrhundert allgemein wahrnehmbar. Bald gelang einzelnen Großen<lb/>
die Befreiung von der königlichen Aufsicht so vollständig, daß sie kraft eigner<lb/>
Machtvollkommenheit geboten. Sie ließen sich vom Könige wohl gar noch<lb/>
urkundlich versprechen, kein königlicher Beamter solle in ihren Bereich ein¬<lb/>
dringen. Um das Jahr 700 zerfiel das gesamte Frankenreich in eine Menge<lb/>
solcher halbstaatlicher Zwitterbildungen, und dem merowingischen Königtum<lb/>
war aller Einfluß aus den Händen gerungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_155" next="#ID_156"> Die Karolinger, die das Erbe der entarteten Merowinger antraten, fanden,<lb/>
zur Herrschaft gelangt, einen geschlossenen Stand trotziger Großen sich gegen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Die Entwicklung der deutschen Monarchie Wesens flössen alle Fäden der Verwaltung an der einen Zentralstelle, am Kaiserhof in Rom zusammen. Jetzt schwand das alles dahin. Bei der Bedürfnislosigkeit und Selbst Genügsamkeit der germanischen Stämme ging der Handel zurück, die Städte entvölkerten sich und wurden zu große» Dörfern; das Edelmetall verlor seinen Wert als Umsatzmittel und lagerte zinslos in den Schatzkammern; der frühere rege Verkehr zwischen den einzelnen Reichsteilen erstarb. Als in sich geschlossene Einheiten lagen die von den verschiednen Stammen und Völkern bewohnten Reichsteile zusammenhanglos nebeneinander. Zweifellos ist gegenüber dem ungemein kräftig entwickelten Stammesgefiihl das Bewußtsein der politischen Zugehörigkeit zum Frankenreiche ganz in den Hintergrund getreten. Und doch konnte das fränkische Königtum, von dem Glänze kriegerischer Großthaten um¬ strahlt, nicht auf die Herstellung einer starken Zentralgewalt verzichten. Bald stellten sich dabei natürliche Hemmungen und Widerstände heraus, die in der ganzen wirtschaftlichen und sozialen Konstruktion des Volks ihre tiefe Be¬ gründung finden. An ihre Beseitigung hat nicht nur das fränkische, sondern auch das deutsche Königtum des Mittelalters seine besten Kräfte gesetzt. Vergebens! Alle Versuche, die widerstrebenden Gewalten niederzuzwingen, sind schließlich gescheitert: durch die mittelalterliche Königs- und Kaisergeschichte geht ein echt tragischer Zug. Nur auf die grundsätzlich wichtigen Thatsachen dieser Entwicklung kann kurz hingewiesen werden. Zunächst schien das fränkische Königtum den zur Bewältigung der neuen Verwaltungsaufgaben geeigneten Stamm von Beamten finden zu können in den Personen seines Gefolges, den Antrustionen. Sie standen zum Könige in einem innigen Treuverhältnisse, das ihnen im Kriege Aufopferung bis in den Tod für ihren Gefolgsherrn auferlegte. Als Stell¬ vertreter des Königs, als Grafen wurden diese Antrustionen in die verschiednen Teile des Reichs geschickt. Bald aber zeigte sich, daß für die Treugesinnuug doch der tägliche persönliche Verkehr und die Lebensgemeinschaft mit dem Könige die Voraussetzung gewesen war. Jetzt oft in einen fernen Winkel des Reichs versetzt, im Besitze einer ungeheuern amtlichen Machtfülle, in ihrem Thun von keiner Seite kontrolliert, vergaßen diese Grafen bald, daß sie nur als Stell¬ vertreter des Königs ihre Befugnisse auszuüben hatten. Die Neigung der Grafen, die Amtsgewalt eigensüchtig zu mißbrauchen, ist im sechsten und siebenten Jahrhundert allgemein wahrnehmbar. Bald gelang einzelnen Großen die Befreiung von der königlichen Aufsicht so vollständig, daß sie kraft eigner Machtvollkommenheit geboten. Sie ließen sich vom Könige wohl gar noch urkundlich versprechen, kein königlicher Beamter solle in ihren Bereich ein¬ dringen. Um das Jahr 700 zerfiel das gesamte Frankenreich in eine Menge solcher halbstaatlicher Zwitterbildungen, und dem merowingischen Königtum war aller Einfluß aus den Händen gerungen. Die Karolinger, die das Erbe der entarteten Merowinger antraten, fanden, zur Herrschaft gelangt, einen geschlossenen Stand trotziger Großen sich gegen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/61>, abgerufen am 02.07.2024.