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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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von Tours hat eine charakteristische Anekdote überliefert, worin dieser Wandel
zum deutlichen Ausdruck kommt. Ein Höfling rief dem König Chlodwig nach
der Schlacht bei Soissons (486), als er die unermeßliche Beute i" Augenschein
nahm, zu, alles, was er sähe, sei sein. Ein in den alten Anschauungen wurzelnder
fränkischer Krieger aber, der zornig die Schmeichelrede vernommen hatte, er¬
widerte, zum König gewandt: "Du sollst nichts bekommen, als was dir das
Los zuspricht," Dabei zerschlug er einen kostbaren Krug, auf den Chlodwig
sein Augenmerk gerichtet hatte. Im nächsten Jahre, als die Heerschau statt¬
fand, ging Chlodwig auf den Krieger, den er sich wohl gemerkt hatte, zu und
rief: "Keiner hat so ungeschickte Waffen hergebracht, wie du. Denn weder
dein Speer noch dein Schwert noch deine Streitaxt sind etwas nütze," Damit
warf er ihm die Streitaxt aus der Hand. Als der Franke sich bückte, sie auf¬
zuheben, schlug ihn der König mit den Worten nieder: "So hast du es in
Soissons mit dem Kruge gemacht."

Schon daß in den Provinzen mit romanischer Bevölkerung vielfach die
bisher dem römischen Kaiser zustehenden Befugnisse schlechthin auf den Frankcn-
könig übertragen wurden, mußte bei diesem ein hochgesteigertes Gefühl seiner
erhabnen Größe erzeugen. Und abgesehen davon ergab sich aus den neuen
politischen Verhältnissen eine Fülle von Komplikationen und Aufgaben, zu
deren Lösung sich die schwerfällige germanische Gesetzgebung unfähig erwies.
Hier schien nur der persönliche Wille des Herrschers ordnend eingreifen zu
können, sodaß sich aus dieser Situation eine ungemessene Zahl von neuen
Hoheitsrechten mit Notwendigkeit für den König ergeben mußte.

Gleichwohl wäre die Annahme verkehrt, als ob das Königtum durch diese
veränderte Machtstellung eine innere Kräftigung erfahren und eine aussichts¬
reiche Position gewonnen hätte. Vielmehr sah es sich alsbald vor ein Problem
gestellt, zu dessen dauernder Lösung auch übermenschliche Kräfte nicht aus¬
gereicht hätten. Die Schwierigkeiten, mit denen das fränkische Königtum zu
kämpfen hatte, sind im Laufe der Geschichte mit einer an Gesetzmäßigkeit
grenzenden Regelmäßigkeit immer dann eingetreten, wenn Völker von junger
Kultur, die noch auf der Stufe der Naturalwirtschaft stehn, große, alte Kultur¬
reiche zertrümmert und ihr Erbe angetreten haben. Dem Ansturm der Franken
hatte das entnervte Römertum nicht zu widerstehn vermocht: im Kampfe hatte
sich die Überlegenheit der ungebrochnen physischen Kraft des Germanentums
sieghaft bewährt. Aber völlig ungeschickt erwiesen sich die ungeschlachten Er¬
obrer, aus den unterworfnen Lünderstrecken ein neues einheitliches staatliches
Gebilde zu gestalten. Wie glänzend hatte doch, bei aller moralischen Ver¬
kommenheit und politischen Wirrnis, rein technisch genommen der Verwaltungs¬
organismus des römischen Kaiserreichs gearbeitet! Da waren alle Gebiete
sorgfältig in Verwaltungssprengel eingeteilt gewesen, die Unterbeamten standen
in dauernder Fühlung mit ihren vorgesetzten Behörden. Bei der vorwiegend
städtischen Kultur gab es eine Fülle von Organisationsmittelpunktcn in den
Provinzen, und auf Grund eines bis zum Raffinement ausgebildeten Rapport-


von Tours hat eine charakteristische Anekdote überliefert, worin dieser Wandel
zum deutlichen Ausdruck kommt. Ein Höfling rief dem König Chlodwig nach
der Schlacht bei Soissons (486), als er die unermeßliche Beute i« Augenschein
nahm, zu, alles, was er sähe, sei sein. Ein in den alten Anschauungen wurzelnder
fränkischer Krieger aber, der zornig die Schmeichelrede vernommen hatte, er¬
widerte, zum König gewandt: „Du sollst nichts bekommen, als was dir das
Los zuspricht," Dabei zerschlug er einen kostbaren Krug, auf den Chlodwig
sein Augenmerk gerichtet hatte. Im nächsten Jahre, als die Heerschau statt¬
fand, ging Chlodwig auf den Krieger, den er sich wohl gemerkt hatte, zu und
rief: „Keiner hat so ungeschickte Waffen hergebracht, wie du. Denn weder
dein Speer noch dein Schwert noch deine Streitaxt sind etwas nütze," Damit
warf er ihm die Streitaxt aus der Hand. Als der Franke sich bückte, sie auf¬
zuheben, schlug ihn der König mit den Worten nieder: „So hast du es in
Soissons mit dem Kruge gemacht."

Schon daß in den Provinzen mit romanischer Bevölkerung vielfach die
bisher dem römischen Kaiser zustehenden Befugnisse schlechthin auf den Frankcn-
könig übertragen wurden, mußte bei diesem ein hochgesteigertes Gefühl seiner
erhabnen Größe erzeugen. Und abgesehen davon ergab sich aus den neuen
politischen Verhältnissen eine Fülle von Komplikationen und Aufgaben, zu
deren Lösung sich die schwerfällige germanische Gesetzgebung unfähig erwies.
Hier schien nur der persönliche Wille des Herrschers ordnend eingreifen zu
können, sodaß sich aus dieser Situation eine ungemessene Zahl von neuen
Hoheitsrechten mit Notwendigkeit für den König ergeben mußte.

Gleichwohl wäre die Annahme verkehrt, als ob das Königtum durch diese
veränderte Machtstellung eine innere Kräftigung erfahren und eine aussichts¬
reiche Position gewonnen hätte. Vielmehr sah es sich alsbald vor ein Problem
gestellt, zu dessen dauernder Lösung auch übermenschliche Kräfte nicht aus¬
gereicht hätten. Die Schwierigkeiten, mit denen das fränkische Königtum zu
kämpfen hatte, sind im Laufe der Geschichte mit einer an Gesetzmäßigkeit
grenzenden Regelmäßigkeit immer dann eingetreten, wenn Völker von junger
Kultur, die noch auf der Stufe der Naturalwirtschaft stehn, große, alte Kultur¬
reiche zertrümmert und ihr Erbe angetreten haben. Dem Ansturm der Franken
hatte das entnervte Römertum nicht zu widerstehn vermocht: im Kampfe hatte
sich die Überlegenheit der ungebrochnen physischen Kraft des Germanentums
sieghaft bewährt. Aber völlig ungeschickt erwiesen sich die ungeschlachten Er¬
obrer, aus den unterworfnen Lünderstrecken ein neues einheitliches staatliches
Gebilde zu gestalten. Wie glänzend hatte doch, bei aller moralischen Ver¬
kommenheit und politischen Wirrnis, rein technisch genommen der Verwaltungs¬
organismus des römischen Kaiserreichs gearbeitet! Da waren alle Gebiete
sorgfältig in Verwaltungssprengel eingeteilt gewesen, die Unterbeamten standen
in dauernder Fühlung mit ihren vorgesetzten Behörden. Bei der vorwiegend
städtischen Kultur gab es eine Fülle von Organisationsmittelpunktcn in den
Provinzen, und auf Grund eines bis zum Raffinement ausgebildeten Rapport-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/60>, abgerufen am 02.07.2024.