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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der deutschen Monarchie

die bedeutende Zahl der ihnen eingegliederten Mannen, ihr fester Zusammen¬
halt untereinander, der durch die Gemeinsamkeit der Sprache, der Sitte und
der Einrichtungen gesichert wird: alle diese Umstände steigerten das Kraftgefühl
der Stammesgenossen zu frohem Thatendrang. Als der aufgeteilte Boden
den Bevölkerungsüberschuß nicht mehr zu ernähren vermochte, da flutete etwa
seit Beginn des vierten Jahrhunderts n, Chr. der Stamm über die Grenzen
des bisherigen Gebiets hinaus, vernehmlich an die Pforten des römischen
Reichs pochend, das ihm widerstandslos ein Stück Land nach dem andern über--
ließ. Aber schon handelt es sich nicht mehr um eine fortgesetzte Veränderung
der Wohnsitze, um eine Auswanderung mit Weib und Kind. Was man hält,
läßt man nicht fahren; planmäßig, von einen: fest gegebnen Mittelpunkt aus
ist man nur auf eine Erweiterung des Stmnmesgebiets bedacht. Hierin beruht
der grundlegende Unterschied der westgermanischen Ausbreitung von den Wande¬
rungen der Ostgermanen -- der Goten, Baudaten, Gepiden, Burgunder --,
die während der Völkerwanderung in die südlichem Lande Europas, ja bis
Afrika verschlagen, dort trotz aller heroischen Thaten vernichtet wurden und
unserm Volkstum verloren gegangen sind. Von den Langobarden abgesehen,
die in die Geschicke der ostgermnuischeu Stämme mit verflochten wurden, haben
alle Westgermaneu den Zusammenhalt mit dem deutschen Heimatboden in den
Stürmen der Völkerwanderung behauptet und sind so berufen gewesen, die
Träger der dentschen Geschichte zu werden.

Als im vierten und fünften Jahrhundert die Grenzkonflikte zwischen
Römern und Germanen längs des Rheins einen ernsthaftem Charakter an¬
zunehmen beginnen, da ist schon die republikanische Staatsform wieder über¬
wunden -- wenigstens bei den Stämmen, die im Kampfe gegen die Römer
eine führende Rolle spielen, bei Franken und Alemannen. Wir gelangen zur
zweiten Form der deutscheu Monarchie, zum Stammeskönigtum. Anfangs
bilden die Stämme, wennschon in Zeiten äußerer Gefahr alle Genossen eines
Stammes fest zusammenhalten, doch noch keineswegs geschlossene politische
Staatswesen im modernen Sinne. Bei der Schilderung der Alemannenschlacht
von Straßburg im Jahre 357 spricht Ammianus Mnreellinus vou sieben
Königen der Alemannen. Aber ebenso unverkennbar ist die Tendenz, daß
sich die Stammesteilreiche zu einem einheitlichen Gebilde zusammenschließen.
Chlodwig hat diese Einigung ant Frankenstamme vollzogen und zugleich den
Franken die Führerstellnng über die übrigen Westgermanen gesichert. Vier
Jahrhunderte lang decken sich die Schicksale der deutschen Monarchie mit denen
der fränkischen.

Der Machtbestand des Frankenreichs war nach seinein äußern Umfang
schon zu Chlodwigs Zeiten, in noch erhöhtem Maße ein Menschenalter nach
seinem Tode so riesenhaft, daß auch die rechtliche Stellung des Königs nicht
unverändert bleiben konnte. Er war jetzt nicht nur ein Herr über die Franken,
sondern zugleich über eine ganze Reihe andrer germanischer Stämme und über
eine nach Millionen zählende romanische Bevölkerung geworden. Gregor


Die Entwicklung der deutschen Monarchie

die bedeutende Zahl der ihnen eingegliederten Mannen, ihr fester Zusammen¬
halt untereinander, der durch die Gemeinsamkeit der Sprache, der Sitte und
der Einrichtungen gesichert wird: alle diese Umstände steigerten das Kraftgefühl
der Stammesgenossen zu frohem Thatendrang. Als der aufgeteilte Boden
den Bevölkerungsüberschuß nicht mehr zu ernähren vermochte, da flutete etwa
seit Beginn des vierten Jahrhunderts n, Chr. der Stamm über die Grenzen
des bisherigen Gebiets hinaus, vernehmlich an die Pforten des römischen
Reichs pochend, das ihm widerstandslos ein Stück Land nach dem andern über--
ließ. Aber schon handelt es sich nicht mehr um eine fortgesetzte Veränderung
der Wohnsitze, um eine Auswanderung mit Weib und Kind. Was man hält,
läßt man nicht fahren; planmäßig, von einen: fest gegebnen Mittelpunkt aus
ist man nur auf eine Erweiterung des Stmnmesgebiets bedacht. Hierin beruht
der grundlegende Unterschied der westgermanischen Ausbreitung von den Wande¬
rungen der Ostgermanen — der Goten, Baudaten, Gepiden, Burgunder —,
die während der Völkerwanderung in die südlichem Lande Europas, ja bis
Afrika verschlagen, dort trotz aller heroischen Thaten vernichtet wurden und
unserm Volkstum verloren gegangen sind. Von den Langobarden abgesehen,
die in die Geschicke der ostgermnuischeu Stämme mit verflochten wurden, haben
alle Westgermaneu den Zusammenhalt mit dem deutschen Heimatboden in den
Stürmen der Völkerwanderung behauptet und sind so berufen gewesen, die
Träger der dentschen Geschichte zu werden.

Als im vierten und fünften Jahrhundert die Grenzkonflikte zwischen
Römern und Germanen längs des Rheins einen ernsthaftem Charakter an¬
zunehmen beginnen, da ist schon die republikanische Staatsform wieder über¬
wunden — wenigstens bei den Stämmen, die im Kampfe gegen die Römer
eine führende Rolle spielen, bei Franken und Alemannen. Wir gelangen zur
zweiten Form der deutscheu Monarchie, zum Stammeskönigtum. Anfangs
bilden die Stämme, wennschon in Zeiten äußerer Gefahr alle Genossen eines
Stammes fest zusammenhalten, doch noch keineswegs geschlossene politische
Staatswesen im modernen Sinne. Bei der Schilderung der Alemannenschlacht
von Straßburg im Jahre 357 spricht Ammianus Mnreellinus vou sieben
Königen der Alemannen. Aber ebenso unverkennbar ist die Tendenz, daß
sich die Stammesteilreiche zu einem einheitlichen Gebilde zusammenschließen.
Chlodwig hat diese Einigung ant Frankenstamme vollzogen und zugleich den
Franken die Führerstellnng über die übrigen Westgermanen gesichert. Vier
Jahrhunderte lang decken sich die Schicksale der deutschen Monarchie mit denen
der fränkischen.

Der Machtbestand des Frankenreichs war nach seinein äußern Umfang
schon zu Chlodwigs Zeiten, in noch erhöhtem Maße ein Menschenalter nach
seinem Tode so riesenhaft, daß auch die rechtliche Stellung des Königs nicht
unverändert bleiben konnte. Er war jetzt nicht nur ein Herr über die Franken,
sondern zugleich über eine ganze Reihe andrer germanischer Stämme und über
eine nach Millionen zählende romanische Bevölkerung geworden. Gregor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/59>, abgerufen am 02.07.2024.