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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Lift
2

cis die Theorie auch heute gegen List zu sagen hätte und durch
den Mund von Noscher, Rau, Hildebrand, Knies wirklich aus¬
gesprochen hat, das finden nur ziemlich vollständig beisammen
bei einem, dessen Ruine schwerlich in einem staatswissenschaftlicher
IKolleg genannt wird; und wenn ich den Lesern einige Proben
seiner Kritik vorlege, werden sie vielleicht finden, daß anch dieser Kleine, dieser
bis auf den Namen Vergessene als Theoretiker dem großen List überlegen ist.
Karl Heinrich Brüggemann hat wenig Monate nach dem Erscheinen von Lifts
Buche ein 320 Seiten starkes Buch gegen ihn herausgegeben unter dem Titel:
"Lifts nationales System der politischen Ökonomie, kritisch beleuchtet und mit
aler Begründung des gegenwärtigen Standes dieser Wissenschaft begleitet."
Das Buch ist von Anfang bis zu Ende !lo irato geschrieben in Form eines
offnen Briefes: List wird auf jeder Seite angeredet. Der Zorn darüber, daß
Lift die meisten deutschen Nationalökonomen unter der Bezeichnung "die Schule"
als dem Lebe" und der Wirklichkeit fern stehende und deshalb gefährlichen
Irrtümern verfallne Pedanten abgethan hatte, drückte ihm die Feder in die
Hand. Sein Zorn und feine Kritik beruhen eben ans der irrigen Auffassung,
daß List ein Theoretiker sei wie die Professoren und deren Lehren durch seine
ersetzen wolle; eine Auffassung, die freilich List, in einer Selbsttäuschung be¬
fangen, schon durch den Titel seines Buches veranlaßt hatte, denn dieses ist
in Wirklichkeit kein System der Volkswirtschaft, sondern nur eine mit histo¬
rischen Betrachtungen begründete Anweisung für den Staatsmann, in welche
Bahnen er bei der damaligen Lage die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands
leiten müsse.

Brüggemnnn wendet sich znucichst gegen die verächtliche Behandlung der
deutschen "Stubengelehrten." List sei ja nicht der einzige, der auf sie Schelte.
Wohlan, redet er diese Praktiker an, "sagt uns doch, ihr Baumwollen- und
Rübenzuckerfabrikanten, gefällt euch die englische Land- und Kirchcnaristvkratie
vielleicht besser als unser deutscher Beamtenstand? Oder steht euch der Sinn
"ach eiuer französischen Verwaltung, in der die Verwalter nur Bediente sind,
und zwar jetzt vor allem Bediente der Bourgeoisie? Euch gelüstet, so scheint
es, nach einer Herrschaft des Geldreichtums und eines absoluten Jndustrialismus.
Aber bedenkt die Zeichen der Zeit! Bedenkt Chartismus und Kommunismus!




Friedrich Lift
2

cis die Theorie auch heute gegen List zu sagen hätte und durch
den Mund von Noscher, Rau, Hildebrand, Knies wirklich aus¬
gesprochen hat, das finden nur ziemlich vollständig beisammen
bei einem, dessen Ruine schwerlich in einem staatswissenschaftlicher
IKolleg genannt wird; und wenn ich den Lesern einige Proben
seiner Kritik vorlege, werden sie vielleicht finden, daß anch dieser Kleine, dieser
bis auf den Namen Vergessene als Theoretiker dem großen List überlegen ist.
Karl Heinrich Brüggemann hat wenig Monate nach dem Erscheinen von Lifts
Buche ein 320 Seiten starkes Buch gegen ihn herausgegeben unter dem Titel:
„Lifts nationales System der politischen Ökonomie, kritisch beleuchtet und mit
aler Begründung des gegenwärtigen Standes dieser Wissenschaft begleitet."
Das Buch ist von Anfang bis zu Ende !lo irato geschrieben in Form eines
offnen Briefes: List wird auf jeder Seite angeredet. Der Zorn darüber, daß
Lift die meisten deutschen Nationalökonomen unter der Bezeichnung „die Schule"
als dem Lebe» und der Wirklichkeit fern stehende und deshalb gefährlichen
Irrtümern verfallne Pedanten abgethan hatte, drückte ihm die Feder in die
Hand. Sein Zorn und feine Kritik beruhen eben ans der irrigen Auffassung,
daß List ein Theoretiker sei wie die Professoren und deren Lehren durch seine
ersetzen wolle; eine Auffassung, die freilich List, in einer Selbsttäuschung be¬
fangen, schon durch den Titel seines Buches veranlaßt hatte, denn dieses ist
in Wirklichkeit kein System der Volkswirtschaft, sondern nur eine mit histo¬
rischen Betrachtungen begründete Anweisung für den Staatsmann, in welche
Bahnen er bei der damaligen Lage die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands
leiten müsse.

Brüggemnnn wendet sich znucichst gegen die verächtliche Behandlung der
deutschen „Stubengelehrten." List sei ja nicht der einzige, der auf sie Schelte.
Wohlan, redet er diese Praktiker an, „sagt uns doch, ihr Baumwollen- und
Rübenzuckerfabrikanten, gefällt euch die englische Land- und Kirchcnaristvkratie
vielleicht besser als unser deutscher Beamtenstand? Oder steht euch der Sinn
»ach eiuer französischen Verwaltung, in der die Verwalter nur Bediente sind,
und zwar jetzt vor allem Bediente der Bourgeoisie? Euch gelüstet, so scheint
es, nach einer Herrschaft des Geldreichtums und eines absoluten Jndustrialismus.
Aber bedenkt die Zeichen der Zeit! Bedenkt Chartismus und Kommunismus!


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[0565] [Abbildung] Friedrich Lift 2 cis die Theorie auch heute gegen List zu sagen hätte und durch den Mund von Noscher, Rau, Hildebrand, Knies wirklich aus¬ gesprochen hat, das finden nur ziemlich vollständig beisammen bei einem, dessen Ruine schwerlich in einem staatswissenschaftlicher IKolleg genannt wird; und wenn ich den Lesern einige Proben seiner Kritik vorlege, werden sie vielleicht finden, daß anch dieser Kleine, dieser bis auf den Namen Vergessene als Theoretiker dem großen List überlegen ist. Karl Heinrich Brüggemann hat wenig Monate nach dem Erscheinen von Lifts Buche ein 320 Seiten starkes Buch gegen ihn herausgegeben unter dem Titel: „Lifts nationales System der politischen Ökonomie, kritisch beleuchtet und mit aler Begründung des gegenwärtigen Standes dieser Wissenschaft begleitet." Das Buch ist von Anfang bis zu Ende !lo irato geschrieben in Form eines offnen Briefes: List wird auf jeder Seite angeredet. Der Zorn darüber, daß Lift die meisten deutschen Nationalökonomen unter der Bezeichnung „die Schule" als dem Lebe» und der Wirklichkeit fern stehende und deshalb gefährlichen Irrtümern verfallne Pedanten abgethan hatte, drückte ihm die Feder in die Hand. Sein Zorn und feine Kritik beruhen eben ans der irrigen Auffassung, daß List ein Theoretiker sei wie die Professoren und deren Lehren durch seine ersetzen wolle; eine Auffassung, die freilich List, in einer Selbsttäuschung be¬ fangen, schon durch den Titel seines Buches veranlaßt hatte, denn dieses ist in Wirklichkeit kein System der Volkswirtschaft, sondern nur eine mit histo¬ rischen Betrachtungen begründete Anweisung für den Staatsmann, in welche Bahnen er bei der damaligen Lage die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands leiten müsse. Brüggemnnn wendet sich znucichst gegen die verächtliche Behandlung der deutschen „Stubengelehrten." List sei ja nicht der einzige, der auf sie Schelte. Wohlan, redet er diese Praktiker an, „sagt uns doch, ihr Baumwollen- und Rübenzuckerfabrikanten, gefällt euch die englische Land- und Kirchcnaristvkratie vielleicht besser als unser deutscher Beamtenstand? Oder steht euch der Sinn »ach eiuer französischen Verwaltung, in der die Verwalter nur Bediente sind, und zwar jetzt vor allem Bediente der Bourgeoisie? Euch gelüstet, so scheint es, nach einer Herrschaft des Geldreichtums und eines absoluten Jndustrialismus. Aber bedenkt die Zeichen der Zeit! Bedenkt Chartismus und Kommunismus!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/565>, abgerufen am 22.07.2024.