Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich List

Diese sind die Früchte eurer merkantilistischen Träume. Wahrlich, ich höre
schon den Todesschrei jener Bourgeoisie, deren schamlos egoistische Herrschaft
heute uoch jedes politisch-keusche Auge verletzt, unter den rächenden und zer¬
malmenden Fußtritten des kommunistischen Würgengels! Könnte ich euch mit
meinen Augen sehen lassen, wie würdet ihr festhalten an deu rettenden köst¬
lichen Gütern unsers deutschen Wesens, in denen unser Schirm und unsrer
Nachbarn durch uns zu vollbringende Erlösung liegt! Darum eröffne ich auch
im patriotischen Sinne wider Sie, zur Rächnug der deutschen Schule, diese
Fehde, um gerade jetzt, wo wir in der zu isolierten und unlebendigen Stellung
unsers deutschen Gelehrtenstandes allerdings einen wesentlichen Mangel unsers
öffentlichen Lebeus zu entfernen haben, um gerade jetzt und deshalb das Gute,
das wir nach dieser Seite vor andern Nationen besitzen, nur um so mehr eifer¬
süchtig zu verteidigen."

Auf die einzelnen Abschnitte des Buches dann eingehend, beweist Brügge-
mann, daß List zwar gegen Smith Recht habe, aber weniger als ein andrer
berechtigt sei, die bekannten Vorwürfe gegen Smith zu erheben, weil er selbst
in dessen Irrtümern befangen und viel smithischer sei als die von ihm so
heftig angegriffne "Schule." Um das Wesen der Irrtümer Smiths zu er¬
fassen, fehle ihm die philosophische Anlage, und auch sein Lebensgang sei nicht
geeignet gewesen, ihm das tiefere Verständnis zu erschließen. Lifts Ansichten
seien den Wahrnehmungen entsprungen, die er in Amerika gemacht habe. Nun
sei aber dieses ein junges, dünn bevölkertes Land, die Probleme der euro¬
päischen Nationalökonomie dort noch gar nicht vorhanden (sie haben sich seitdem
eingefunden; in Beziehung auf die Politik hatte Hegel dasselbe gesagt, was
Brüggemann von der Wirtschaft des Landes sagt); seine Theorie müsse deshalb
hinter der europäischen Gegenwart zurück sein. Hierzu wäre zu bemerke", daß
doch auch die Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart
beitrüge, und daß es von Wert für Lifts theoretische Bildung war, daß er
die Entwicklung der Vergangenheit in einem durch die Verkehrsmittel und
technischen Hilfsmittel der Neuzeit ungemein verkürzten Zeitverlauf beobachten
und z. B. sehen konnte, wie Grundrente entsteht, wie die Begründung von
Gewerben auf die Landwirtschaft und die Anlage von Verkehrsanstalten auf
beide wirkt. Endlich habe List bei seinem unruhigen Umherwandern niemals
zur stillen Sammlung kommen können, und diese sei unerläßlich, wenn man
in der Wissenschaft etwas Gediegnes leisten wolle. Gewiß könne eine gesunde
Wissenschaft vom Staate nicht gedeihen, wenn sich die Gelehrten ganz in die
Studierstube einschlossen und bloß aus Büchern lernten. Aber andrerseits
fordre die Wissenschaft doch auch ein stilles Bücher- und Stubenleben, eine ge¬
schlossene Werkfortsetzung (die Wichtigkeit der Werkfortsetzung für die National¬
ökonomie war einer von Lifts Hauptgedanken) und vor allem Neigung und
Muße zum stillen Denken. Zudem fordre sie eine reine, rücksichtslose, nicht
durch praktische Nebenzwecke verwirrte und abgelenkte Richtung auf die Wahrheit.
Diesen Forderungen entspreche Sinn und Lage des deutschen Gelehrtenstandes,


Friedrich List

Diese sind die Früchte eurer merkantilistischen Träume. Wahrlich, ich höre
schon den Todesschrei jener Bourgeoisie, deren schamlos egoistische Herrschaft
heute uoch jedes politisch-keusche Auge verletzt, unter den rächenden und zer¬
malmenden Fußtritten des kommunistischen Würgengels! Könnte ich euch mit
meinen Augen sehen lassen, wie würdet ihr festhalten an deu rettenden köst¬
lichen Gütern unsers deutschen Wesens, in denen unser Schirm und unsrer
Nachbarn durch uns zu vollbringende Erlösung liegt! Darum eröffne ich auch
im patriotischen Sinne wider Sie, zur Rächnug der deutschen Schule, diese
Fehde, um gerade jetzt, wo wir in der zu isolierten und unlebendigen Stellung
unsers deutschen Gelehrtenstandes allerdings einen wesentlichen Mangel unsers
öffentlichen Lebeus zu entfernen haben, um gerade jetzt und deshalb das Gute,
das wir nach dieser Seite vor andern Nationen besitzen, nur um so mehr eifer¬
süchtig zu verteidigen."

Auf die einzelnen Abschnitte des Buches dann eingehend, beweist Brügge-
mann, daß List zwar gegen Smith Recht habe, aber weniger als ein andrer
berechtigt sei, die bekannten Vorwürfe gegen Smith zu erheben, weil er selbst
in dessen Irrtümern befangen und viel smithischer sei als die von ihm so
heftig angegriffne „Schule." Um das Wesen der Irrtümer Smiths zu er¬
fassen, fehle ihm die philosophische Anlage, und auch sein Lebensgang sei nicht
geeignet gewesen, ihm das tiefere Verständnis zu erschließen. Lifts Ansichten
seien den Wahrnehmungen entsprungen, die er in Amerika gemacht habe. Nun
sei aber dieses ein junges, dünn bevölkertes Land, die Probleme der euro¬
päischen Nationalökonomie dort noch gar nicht vorhanden (sie haben sich seitdem
eingefunden; in Beziehung auf die Politik hatte Hegel dasselbe gesagt, was
Brüggemann von der Wirtschaft des Landes sagt); seine Theorie müsse deshalb
hinter der europäischen Gegenwart zurück sein. Hierzu wäre zu bemerke», daß
doch auch die Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart
beitrüge, und daß es von Wert für Lifts theoretische Bildung war, daß er
die Entwicklung der Vergangenheit in einem durch die Verkehrsmittel und
technischen Hilfsmittel der Neuzeit ungemein verkürzten Zeitverlauf beobachten
und z. B. sehen konnte, wie Grundrente entsteht, wie die Begründung von
Gewerben auf die Landwirtschaft und die Anlage von Verkehrsanstalten auf
beide wirkt. Endlich habe List bei seinem unruhigen Umherwandern niemals
zur stillen Sammlung kommen können, und diese sei unerläßlich, wenn man
in der Wissenschaft etwas Gediegnes leisten wolle. Gewiß könne eine gesunde
Wissenschaft vom Staate nicht gedeihen, wenn sich die Gelehrten ganz in die
Studierstube einschlossen und bloß aus Büchern lernten. Aber andrerseits
fordre die Wissenschaft doch auch ein stilles Bücher- und Stubenleben, eine ge¬
schlossene Werkfortsetzung (die Wichtigkeit der Werkfortsetzung für die National¬
ökonomie war einer von Lifts Hauptgedanken) und vor allem Neigung und
Muße zum stillen Denken. Zudem fordre sie eine reine, rücksichtslose, nicht
durch praktische Nebenzwecke verwirrte und abgelenkte Richtung auf die Wahrheit.
Diesen Forderungen entspreche Sinn und Lage des deutschen Gelehrtenstandes,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0566" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235096"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedrich List</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1688" prev="#ID_1687"> Diese sind die Früchte eurer merkantilistischen Träume. Wahrlich, ich höre<lb/>
schon den Todesschrei jener Bourgeoisie, deren schamlos egoistische Herrschaft<lb/>
heute uoch jedes politisch-keusche Auge verletzt, unter den rächenden und zer¬<lb/>
malmenden Fußtritten des kommunistischen Würgengels! Könnte ich euch mit<lb/>
meinen Augen sehen lassen, wie würdet ihr festhalten an deu rettenden köst¬<lb/>
lichen Gütern unsers deutschen Wesens, in denen unser Schirm und unsrer<lb/>
Nachbarn durch uns zu vollbringende Erlösung liegt! Darum eröffne ich auch<lb/>
im patriotischen Sinne wider Sie, zur Rächnug der deutschen Schule, diese<lb/>
Fehde, um gerade jetzt, wo wir in der zu isolierten und unlebendigen Stellung<lb/>
unsers deutschen Gelehrtenstandes allerdings einen wesentlichen Mangel unsers<lb/>
öffentlichen Lebeus zu entfernen haben, um gerade jetzt und deshalb das Gute,<lb/>
das wir nach dieser Seite vor andern Nationen besitzen, nur um so mehr eifer¬<lb/>
süchtig zu verteidigen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1689" next="#ID_1690"> Auf die einzelnen Abschnitte des Buches dann eingehend, beweist Brügge-<lb/>
mann, daß List zwar gegen Smith Recht habe, aber weniger als ein andrer<lb/>
berechtigt sei, die bekannten Vorwürfe gegen Smith zu erheben, weil er selbst<lb/>
in dessen Irrtümern befangen und viel smithischer sei als die von ihm so<lb/>
heftig angegriffne &#x201E;Schule." Um das Wesen der Irrtümer Smiths zu er¬<lb/>
fassen, fehle ihm die philosophische Anlage, und auch sein Lebensgang sei nicht<lb/>
geeignet gewesen, ihm das tiefere Verständnis zu erschließen. Lifts Ansichten<lb/>
seien den Wahrnehmungen entsprungen, die er in Amerika gemacht habe. Nun<lb/>
sei aber dieses ein junges, dünn bevölkertes Land, die Probleme der euro¬<lb/>
päischen Nationalökonomie dort noch gar nicht vorhanden (sie haben sich seitdem<lb/>
eingefunden; in Beziehung auf die Politik hatte Hegel dasselbe gesagt, was<lb/>
Brüggemann von der Wirtschaft des Landes sagt); seine Theorie müsse deshalb<lb/>
hinter der europäischen Gegenwart zurück sein. Hierzu wäre zu bemerke», daß<lb/>
doch auch die Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart<lb/>
beitrüge, und daß es von Wert für Lifts theoretische Bildung war, daß er<lb/>
die Entwicklung der Vergangenheit in einem durch die Verkehrsmittel und<lb/>
technischen Hilfsmittel der Neuzeit ungemein verkürzten Zeitverlauf beobachten<lb/>
und z. B. sehen konnte, wie Grundrente entsteht, wie die Begründung von<lb/>
Gewerben auf die Landwirtschaft und die Anlage von Verkehrsanstalten auf<lb/>
beide wirkt. Endlich habe List bei seinem unruhigen Umherwandern niemals<lb/>
zur stillen Sammlung kommen können, und diese sei unerläßlich, wenn man<lb/>
in der Wissenschaft etwas Gediegnes leisten wolle. Gewiß könne eine gesunde<lb/>
Wissenschaft vom Staate nicht gedeihen, wenn sich die Gelehrten ganz in die<lb/>
Studierstube einschlossen und bloß aus Büchern lernten. Aber andrerseits<lb/>
fordre die Wissenschaft doch auch ein stilles Bücher- und Stubenleben, eine ge¬<lb/>
schlossene Werkfortsetzung (die Wichtigkeit der Werkfortsetzung für die National¬<lb/>
ökonomie war einer von Lifts Hauptgedanken) und vor allem Neigung und<lb/>
Muße zum stillen Denken. Zudem fordre sie eine reine, rücksichtslose, nicht<lb/>
durch praktische Nebenzwecke verwirrte und abgelenkte Richtung auf die Wahrheit.<lb/>
Diesen Forderungen entspreche Sinn und Lage des deutschen Gelehrtenstandes,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0566] Friedrich List Diese sind die Früchte eurer merkantilistischen Träume. Wahrlich, ich höre schon den Todesschrei jener Bourgeoisie, deren schamlos egoistische Herrschaft heute uoch jedes politisch-keusche Auge verletzt, unter den rächenden und zer¬ malmenden Fußtritten des kommunistischen Würgengels! Könnte ich euch mit meinen Augen sehen lassen, wie würdet ihr festhalten an deu rettenden köst¬ lichen Gütern unsers deutschen Wesens, in denen unser Schirm und unsrer Nachbarn durch uns zu vollbringende Erlösung liegt! Darum eröffne ich auch im patriotischen Sinne wider Sie, zur Rächnug der deutschen Schule, diese Fehde, um gerade jetzt, wo wir in der zu isolierten und unlebendigen Stellung unsers deutschen Gelehrtenstandes allerdings einen wesentlichen Mangel unsers öffentlichen Lebeus zu entfernen haben, um gerade jetzt und deshalb das Gute, das wir nach dieser Seite vor andern Nationen besitzen, nur um so mehr eifer¬ süchtig zu verteidigen." Auf die einzelnen Abschnitte des Buches dann eingehend, beweist Brügge- mann, daß List zwar gegen Smith Recht habe, aber weniger als ein andrer berechtigt sei, die bekannten Vorwürfe gegen Smith zu erheben, weil er selbst in dessen Irrtümern befangen und viel smithischer sei als die von ihm so heftig angegriffne „Schule." Um das Wesen der Irrtümer Smiths zu er¬ fassen, fehle ihm die philosophische Anlage, und auch sein Lebensgang sei nicht geeignet gewesen, ihm das tiefere Verständnis zu erschließen. Lifts Ansichten seien den Wahrnehmungen entsprungen, die er in Amerika gemacht habe. Nun sei aber dieses ein junges, dünn bevölkertes Land, die Probleme der euro¬ päischen Nationalökonomie dort noch gar nicht vorhanden (sie haben sich seitdem eingefunden; in Beziehung auf die Politik hatte Hegel dasselbe gesagt, was Brüggemann von der Wirtschaft des Landes sagt); seine Theorie müsse deshalb hinter der europäischen Gegenwart zurück sein. Hierzu wäre zu bemerke», daß doch auch die Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart beitrüge, und daß es von Wert für Lifts theoretische Bildung war, daß er die Entwicklung der Vergangenheit in einem durch die Verkehrsmittel und technischen Hilfsmittel der Neuzeit ungemein verkürzten Zeitverlauf beobachten und z. B. sehen konnte, wie Grundrente entsteht, wie die Begründung von Gewerben auf die Landwirtschaft und die Anlage von Verkehrsanstalten auf beide wirkt. Endlich habe List bei seinem unruhigen Umherwandern niemals zur stillen Sammlung kommen können, und diese sei unerläßlich, wenn man in der Wissenschaft etwas Gediegnes leisten wolle. Gewiß könne eine gesunde Wissenschaft vom Staate nicht gedeihen, wenn sich die Gelehrten ganz in die Studierstube einschlossen und bloß aus Büchern lernten. Aber andrerseits fordre die Wissenschaft doch auch ein stilles Bücher- und Stubenleben, eine ge¬ schlossene Werkfortsetzung (die Wichtigkeit der Werkfortsetzung für die National¬ ökonomie war einer von Lifts Hauptgedanken) und vor allem Neigung und Muße zum stillen Denken. Zudem fordre sie eine reine, rücksichtslose, nicht durch praktische Nebenzwecke verwirrte und abgelenkte Richtung auf die Wahrheit. Diesen Forderungen entspreche Sinn und Lage des deutschen Gelehrtenstandes,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/566
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/566>, abgerufen am 22.07.2024.