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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die genossenschaftliche Rrediwrganisation in der Landwirtschaft

bringend, weil es dort für die Bauern die ausschließliche Form des Geld¬
verkehrs zu werden verspricht und die Gutsherren mit ihnen genossenschaftlich
verknüpft.

Die landwirtschaftliche Kreditorganisation ans genossenschaftlichem Wege
hat einem dringenden Bedürfnis abgeholfen, indem sie auch der Landwirtschaft
eine ihr bis dahin fehlende Geldansgleichstelle geschaffen hat. Neben dieser
ihrer Hanptverrichtung hat sie noch eine wichtige Nebenarbeit erfüllt: sie dient
dem Bauern als wirtschaftliche Erziehungsanstalt und hat als solche in den
fünfzig Jahren ihres Wirkens den Bauernstand wirtschaftlich weiter gebracht.
Wenn die deutschen Staatsregierungen den Bauern am Anfang des vorigen
Jahrhunderts auch für frei erklärte", so war er es doch nur rechtlich; wirt¬
schaftlich war er ein unmündiges Kind und sank in die Unfreiheit zurück;
mündig, wirtschaftlich frei machte ihn erst das Genossenschaftswesen. Und darum
haben wir auch in den Teilen, wo das Genossenschaftswesen am ältesten und
in seiner Entwicklung schon abgeschlossen ist, in Hessen, Rheinland, Westfalen,
in der Pfalz und in Waldeck die größte Intelligenz und den größten Wohlstand
unter der Bauernbevölkerung kleinern und mittlern Grundbesitzes. Die prin¬
zipiellen Gegensätze, die zwischen den beiden Hauptverbänden bisher bestanden,
verlieren allmählich an Schärfe, da der Neuwieder mehr und mehr von der
strengen Zentralisation abgesehen hat, der Offenbacher aber nach und nach die
sittlichen Grundsätze Naiffeisens als berechtigt anerkannt hat und sich teilweise
ihrer bedient. In Preußen überbrückt außerdem die Preußische Zentralgcnossen-
schaftstasse, die mit beiden Verbänden verkehrt, die Kluft, die zwischen ihnen
noch besteht.

Die Genossenschaft entstand durch eiuen Akt der Selbsthilfe; erst als diese
sich zu schwach zeigte, griff der Staat helfend ein, und mit Recht, denn die
Pflicht jedes Staates ist es, sich einen wirtschaftlich kräftigen Bauernstand zu
erhalte". Da die Kreditbedürfnisse der Landwirtschaft anders sind als die des
gesamten übrigen Verkehrslebens, so blieben der Landwirtschaft die großen
Geldinstitute verschlossen. Aus diesem Grunde entstand lediglich für Agrar-
tredit die vom Staat mit fünfzig Millionen dotierte Preußische Zentralgenossen-
schaftskassc. Dadurch, daß der Staat auf eine höhere Verzinsung seines Kapitals
wie 3 Prozent verzichtet hat, macht er jährlich ein Geschenk von 1 Prozent,
das sind 500000 Mark, da er selber für eine neue Anleihe 4 Prozent zahlen
müßte. Nun ist es zwar gerechtfertigt, daß der Staat ans dem Säckel der
Steuerzahler zeitweilig für eine Berufsklasse größere Aufwendungen macht,
wenn diese ihrer bedarf; aber diese Aufwendungen dürfen nicht dauernd werden.
Darum müßte: 1. die staatliche Unterstützung zeitlich beschränkt werden, und
zwar nach Jahren und nicht in der Art wie jetzt, wo es heißt, daß bei der
Zentralkassc die ans die Anleihe entfallende Dividende erst dann 4 Prozent
betragen solle, wenn der Reservefonds ans ein Viertel des Grundkapitals an¬
gewachsen ist Da würde der Staat nie mehr als 1 bis 3 Prozent beziehn,
weil jedesmal, wenn der Reservefonds im Begriff ist, die vorgeschriebne Höhe


Die genossenschaftliche Rrediwrganisation in der Landwirtschaft

bringend, weil es dort für die Bauern die ausschließliche Form des Geld¬
verkehrs zu werden verspricht und die Gutsherren mit ihnen genossenschaftlich
verknüpft.

Die landwirtschaftliche Kreditorganisation ans genossenschaftlichem Wege
hat einem dringenden Bedürfnis abgeholfen, indem sie auch der Landwirtschaft
eine ihr bis dahin fehlende Geldansgleichstelle geschaffen hat. Neben dieser
ihrer Hanptverrichtung hat sie noch eine wichtige Nebenarbeit erfüllt: sie dient
dem Bauern als wirtschaftliche Erziehungsanstalt und hat als solche in den
fünfzig Jahren ihres Wirkens den Bauernstand wirtschaftlich weiter gebracht.
Wenn die deutschen Staatsregierungen den Bauern am Anfang des vorigen
Jahrhunderts auch für frei erklärte«, so war er es doch nur rechtlich; wirt¬
schaftlich war er ein unmündiges Kind und sank in die Unfreiheit zurück;
mündig, wirtschaftlich frei machte ihn erst das Genossenschaftswesen. Und darum
haben wir auch in den Teilen, wo das Genossenschaftswesen am ältesten und
in seiner Entwicklung schon abgeschlossen ist, in Hessen, Rheinland, Westfalen,
in der Pfalz und in Waldeck die größte Intelligenz und den größten Wohlstand
unter der Bauernbevölkerung kleinern und mittlern Grundbesitzes. Die prin¬
zipiellen Gegensätze, die zwischen den beiden Hauptverbänden bisher bestanden,
verlieren allmählich an Schärfe, da der Neuwieder mehr und mehr von der
strengen Zentralisation abgesehen hat, der Offenbacher aber nach und nach die
sittlichen Grundsätze Naiffeisens als berechtigt anerkannt hat und sich teilweise
ihrer bedient. In Preußen überbrückt außerdem die Preußische Zentralgcnossen-
schaftstasse, die mit beiden Verbänden verkehrt, die Kluft, die zwischen ihnen
noch besteht.

Die Genossenschaft entstand durch eiuen Akt der Selbsthilfe; erst als diese
sich zu schwach zeigte, griff der Staat helfend ein, und mit Recht, denn die
Pflicht jedes Staates ist es, sich einen wirtschaftlich kräftigen Bauernstand zu
erhalte». Da die Kreditbedürfnisse der Landwirtschaft anders sind als die des
gesamten übrigen Verkehrslebens, so blieben der Landwirtschaft die großen
Geldinstitute verschlossen. Aus diesem Grunde entstand lediglich für Agrar-
tredit die vom Staat mit fünfzig Millionen dotierte Preußische Zentralgenossen-
schaftskassc. Dadurch, daß der Staat auf eine höhere Verzinsung seines Kapitals
wie 3 Prozent verzichtet hat, macht er jährlich ein Geschenk von 1 Prozent,
das sind 500000 Mark, da er selber für eine neue Anleihe 4 Prozent zahlen
müßte. Nun ist es zwar gerechtfertigt, daß der Staat ans dem Säckel der
Steuerzahler zeitweilig für eine Berufsklasse größere Aufwendungen macht,
wenn diese ihrer bedarf; aber diese Aufwendungen dürfen nicht dauernd werden.
Darum müßte: 1. die staatliche Unterstützung zeitlich beschränkt werden, und
zwar nach Jahren und nicht in der Art wie jetzt, wo es heißt, daß bei der
Zentralkassc die ans die Anleihe entfallende Dividende erst dann 4 Prozent
betragen solle, wenn der Reservefonds ans ein Viertel des Grundkapitals an¬
gewachsen ist Da würde der Staat nie mehr als 1 bis 3 Prozent beziehn,
weil jedesmal, wenn der Reservefonds im Begriff ist, die vorgeschriebne Höhe


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[0509] Die genossenschaftliche Rrediwrganisation in der Landwirtschaft bringend, weil es dort für die Bauern die ausschließliche Form des Geld¬ verkehrs zu werden verspricht und die Gutsherren mit ihnen genossenschaftlich verknüpft. Die landwirtschaftliche Kreditorganisation ans genossenschaftlichem Wege hat einem dringenden Bedürfnis abgeholfen, indem sie auch der Landwirtschaft eine ihr bis dahin fehlende Geldansgleichstelle geschaffen hat. Neben dieser ihrer Hanptverrichtung hat sie noch eine wichtige Nebenarbeit erfüllt: sie dient dem Bauern als wirtschaftliche Erziehungsanstalt und hat als solche in den fünfzig Jahren ihres Wirkens den Bauernstand wirtschaftlich weiter gebracht. Wenn die deutschen Staatsregierungen den Bauern am Anfang des vorigen Jahrhunderts auch für frei erklärte«, so war er es doch nur rechtlich; wirt¬ schaftlich war er ein unmündiges Kind und sank in die Unfreiheit zurück; mündig, wirtschaftlich frei machte ihn erst das Genossenschaftswesen. Und darum haben wir auch in den Teilen, wo das Genossenschaftswesen am ältesten und in seiner Entwicklung schon abgeschlossen ist, in Hessen, Rheinland, Westfalen, in der Pfalz und in Waldeck die größte Intelligenz und den größten Wohlstand unter der Bauernbevölkerung kleinern und mittlern Grundbesitzes. Die prin¬ zipiellen Gegensätze, die zwischen den beiden Hauptverbänden bisher bestanden, verlieren allmählich an Schärfe, da der Neuwieder mehr und mehr von der strengen Zentralisation abgesehen hat, der Offenbacher aber nach und nach die sittlichen Grundsätze Naiffeisens als berechtigt anerkannt hat und sich teilweise ihrer bedient. In Preußen überbrückt außerdem die Preußische Zentralgcnossen- schaftstasse, die mit beiden Verbänden verkehrt, die Kluft, die zwischen ihnen noch besteht. Die Genossenschaft entstand durch eiuen Akt der Selbsthilfe; erst als diese sich zu schwach zeigte, griff der Staat helfend ein, und mit Recht, denn die Pflicht jedes Staates ist es, sich einen wirtschaftlich kräftigen Bauernstand zu erhalte». Da die Kreditbedürfnisse der Landwirtschaft anders sind als die des gesamten übrigen Verkehrslebens, so blieben der Landwirtschaft die großen Geldinstitute verschlossen. Aus diesem Grunde entstand lediglich für Agrar- tredit die vom Staat mit fünfzig Millionen dotierte Preußische Zentralgenossen- schaftskassc. Dadurch, daß der Staat auf eine höhere Verzinsung seines Kapitals wie 3 Prozent verzichtet hat, macht er jährlich ein Geschenk von 1 Prozent, das sind 500000 Mark, da er selber für eine neue Anleihe 4 Prozent zahlen müßte. Nun ist es zwar gerechtfertigt, daß der Staat ans dem Säckel der Steuerzahler zeitweilig für eine Berufsklasse größere Aufwendungen macht, wenn diese ihrer bedarf; aber diese Aufwendungen dürfen nicht dauernd werden. Darum müßte: 1. die staatliche Unterstützung zeitlich beschränkt werden, und zwar nach Jahren und nicht in der Art wie jetzt, wo es heißt, daß bei der Zentralkassc die ans die Anleihe entfallende Dividende erst dann 4 Prozent betragen solle, wenn der Reservefonds ans ein Viertel des Grundkapitals an¬ gewachsen ist Da würde der Staat nie mehr als 1 bis 3 Prozent beziehn, weil jedesmal, wenn der Reservefonds im Begriff ist, die vorgeschriebne Höhe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/509>, abgerufen am 24.08.2024.