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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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<Lise"bahngemeinschaft und Zollverein

keine untereinander fremden Staaten, sondern Glieder des Reichs, und es wäre
eine schwere Schädigung des Reichs, ja wie die Deutschen nun einmal sind,
anch des Reichsgedankens, wenn der mehr oder weniger versteckte Kampf
zwischen deu eiilzelstaatlicheii Eiseubahuverwaltililgen einfach als Machtfrage
behandelt, also unes de"i Rechte des Stärkern entschieden würde. Ist es
möglich gewesen, die politischen Ansprüche des Ganzen und der Einzelstaaten
in der Reichsverfassung auszugleichen, so wird sich eine solche Vereinbarung
auf einem Einzelgebiete wie das der Eisenbahnen doch viel leichter finden
lassen. Aber mit entrüsteten oder sentimentalen Klagen wird gewiß auch hierin
nichts erreicht werde", und das ist ganz sicher: der bisherige Zustand ist auf
die Dauer gerade so unhaltbar, wie 1866 der alte Deutsche Bund, Er muß
irgendwelcher engern Gemeinschaft Platz machen; nicht das Ob, sondern nur
noch das Wie und das Wann steht in Frage,

An das Bismcirckische Reichseisenbahnprojekt von 1876 kann dabei freilich
schlechterdings nicht mehr gedacht werden. Nicht die Mittelstaaten wären jetzt seine
schärfsten Gegner, sondern Preußen. Das erklärt ein augeiischeiulich inspirierter
Artikel der Berliner Politischen Nachrichten mit aller Offenheit und Bestimmtheit.
Der Übergang der preußischen Bahnen auf das Reich würde heute, wo sie dem
Staate 186 Millionen Mark Überschüsse zur Bestreitung des allgemeinen Staats¬
aufwands liefern, Preußen ein ungeheures finanzielles Opfer zumuten, oder
dein Reiche eine kolossale Vermehrung seiner Schuldenlast bringen, außerdem
aber von der Krone Preußen, die jetzt ausschließlich das Recht hat, die Tarife
festzustellen, nichts Geringeres verlangen, als den Verzicht auf dieses wuchtige
Recht zu Gunsten des Bundesrath, wo der König von Preußen unmittelbar
nur siebzehn Stimmen voll achtundfunfzig führt. Davon kann offenbar gar
keine Rede sein.

Diese Lage erinnert lebhaft an die, die der Stiftung des deutschen Zoll¬
vereins dnrch Preußen voranging. Da der Deutsche Bund ein deutsches Zoll¬
wesen nicht zu schaffen vermochte, Preußen aber die dringend nötige Regelung
seiner F-mauzen auf Grund des Grenzzollsystems nicht auf deu unabsehbar
fernen Zeitpunkt verschieben konnte, bis die neununddreißig "souveränen"
deutschen Regierungen, Österreich inbegriffen, zur einstimmigen Annahme eines
deutscheu Zollgesetzes gelangen würden, so begann es die in sein Gebiet ein¬
geschlossenen Kleinstaaten, die es bei den zerrissenen Linien der preußischen
Grenzen nicht draußen lasse" konnte, durch langwierige, geduldige Verhand¬
lungen an sein Zollgebiet anzuschließen und gewann 1828 den ersten deutschen
Mittelstaat, das Großherzogtum Hessen. Es gewahrte dabei die Bewachung
der gemeinsamen Grenze durch Laudesbeamte, die gegenseitige Kontrolle der
gemeinsamen Zollverwaltung und die Verteilung der gemeinsamen Einnahmen
nach bestimmten vereinbarten Grundsätzen. Genau denselben Weg hat Preußen
jetzt wieder -- und zwar mit vollem Bewußtsein über das letzte Ziel -- ein¬
geschlagen, als es am 23. Juni 1896 mit demselben Hessen den unkündbaren
Vertrag über die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft abschloß. Die Eisen-


<Lise»bahngemeinschaft und Zollverein

keine untereinander fremden Staaten, sondern Glieder des Reichs, und es wäre
eine schwere Schädigung des Reichs, ja wie die Deutschen nun einmal sind,
anch des Reichsgedankens, wenn der mehr oder weniger versteckte Kampf
zwischen deu eiilzelstaatlicheii Eiseubahuverwaltililgen einfach als Machtfrage
behandelt, also unes de»i Rechte des Stärkern entschieden würde. Ist es
möglich gewesen, die politischen Ansprüche des Ganzen und der Einzelstaaten
in der Reichsverfassung auszugleichen, so wird sich eine solche Vereinbarung
auf einem Einzelgebiete wie das der Eisenbahnen doch viel leichter finden
lassen. Aber mit entrüsteten oder sentimentalen Klagen wird gewiß auch hierin
nichts erreicht werde», und das ist ganz sicher: der bisherige Zustand ist auf
die Dauer gerade so unhaltbar, wie 1866 der alte Deutsche Bund, Er muß
irgendwelcher engern Gemeinschaft Platz machen; nicht das Ob, sondern nur
noch das Wie und das Wann steht in Frage,

An das Bismcirckische Reichseisenbahnprojekt von 1876 kann dabei freilich
schlechterdings nicht mehr gedacht werden. Nicht die Mittelstaaten wären jetzt seine
schärfsten Gegner, sondern Preußen. Das erklärt ein augeiischeiulich inspirierter
Artikel der Berliner Politischen Nachrichten mit aller Offenheit und Bestimmtheit.
Der Übergang der preußischen Bahnen auf das Reich würde heute, wo sie dem
Staate 186 Millionen Mark Überschüsse zur Bestreitung des allgemeinen Staats¬
aufwands liefern, Preußen ein ungeheures finanzielles Opfer zumuten, oder
dein Reiche eine kolossale Vermehrung seiner Schuldenlast bringen, außerdem
aber von der Krone Preußen, die jetzt ausschließlich das Recht hat, die Tarife
festzustellen, nichts Geringeres verlangen, als den Verzicht auf dieses wuchtige
Recht zu Gunsten des Bundesrath, wo der König von Preußen unmittelbar
nur siebzehn Stimmen voll achtundfunfzig führt. Davon kann offenbar gar
keine Rede sein.

Diese Lage erinnert lebhaft an die, die der Stiftung des deutschen Zoll¬
vereins dnrch Preußen voranging. Da der Deutsche Bund ein deutsches Zoll¬
wesen nicht zu schaffen vermochte, Preußen aber die dringend nötige Regelung
seiner F-mauzen auf Grund des Grenzzollsystems nicht auf deu unabsehbar
fernen Zeitpunkt verschieben konnte, bis die neununddreißig „souveränen"
deutschen Regierungen, Österreich inbegriffen, zur einstimmigen Annahme eines
deutscheu Zollgesetzes gelangen würden, so begann es die in sein Gebiet ein¬
geschlossenen Kleinstaaten, die es bei den zerrissenen Linien der preußischen
Grenzen nicht draußen lasse» konnte, durch langwierige, geduldige Verhand¬
lungen an sein Zollgebiet anzuschließen und gewann 1828 den ersten deutschen
Mittelstaat, das Großherzogtum Hessen. Es gewahrte dabei die Bewachung
der gemeinsamen Grenze durch Laudesbeamte, die gegenseitige Kontrolle der
gemeinsamen Zollverwaltung und die Verteilung der gemeinsamen Einnahmen
nach bestimmten vereinbarten Grundsätzen. Genau denselben Weg hat Preußen
jetzt wieder — und zwar mit vollem Bewußtsein über das letzte Ziel — ein¬
geschlagen, als es am 23. Juni 1896 mit demselben Hessen den unkündbaren
Vertrag über die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft abschloß. Die Eisen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/491>, abgerufen am 02.07.2024.