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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die genossenschaftliche Rreditorganisatwn in der Landwirtschaft

fugnifse. Die Aufnahme neuer Mitglieder geschieht meist durch den Vorstand,
der auch die Ausschließung alter Mitglieder zu bestimmen hat. Es herrscht
eine sehr straffe Disziplin, sodaß von den Vereinsmitgliedern eine ebenso un¬
bedingte Unterwerfung unter die Autorität der Vereinsleitnng wie von den
Vereinen unter die der Zentralorganisation gefordert wird. Nur auf diese
Weise kauu ein geordneter Verkehr der Vereine mit den Verbandskassen und
dieser mit der Zentrale gewährleistet werden. Die Organe der Genossenschaft
sind der Vorstand, der Aufsichtsrat, die Generalversanunluug und der Rechner
oder Rendant, der einzige bezahlte Beamte des Vereins, der meist zugleich der
Schullehrer des Dorfes ist. Die Osfenbacher Genossenschaften zahlen ihren
Beamten allerdings auch keine festen Gehalte, gewähren ihnen aber eine Ver¬
gütung in Form von Sitzungsgeldern, Die Vereiusnntglieder sind in den
Gegenden mit durchweg kleinbäuerlichen Grundbesitz (in dem Raiffeisenscheu
Wirkungsgebiete), wo alle Teilnehmer dasselbe Risiko haben, unbeschränkt
haftbar; in den östlichen Gebieten, wo der Großgrundbesitz mit Kleingrund¬
besitz gemischt vorkommt, sind sie beschränkt haftbar; hier und da giebt es auch
Genossenschaften mit unbeschränkter Nachschußpslicht. Wo die beschränkte Haft-
Pflicht vorkommt, werden die Haftsummen abgestuft, entweder nach der Ein¬
kommensteuer wie in Pommern oder nach der Ergünzungssteuer wie in der
Provinz Sachsen.

Bevor ein Darlehn gegeben wird, soll der Vorstand den Verwendungs¬
zweck prüfen. Die Kasse muß jederzeit soviel flüssige Mittel haben, daß sie
allen an sie herantretenden Forderungen vollauf genügen t'ann auch darf kein
Mitglied vor dem andern bei der Gewährung von Darlehen bevorzugt werden.
Es muß aus diesem Grunde auf jeder Generalversammlung die Höhe des
Aktiv- und Passivkredits festgesetzt werden. Betrüge beispielsweise die Zahl
der Vereiusnntglieder hundert, und setzt die Versammlung den Aktivkredit, das
ist der Kredit, deu jedes Mitglied höchstens zu beanspruchen hat, ans 2000 Mark
fest, so beträgt der Passivkredit des Vereins 200000 Mark. Die Dauer der
Darlehen ist oft recht lang; jedoch wird bei größern Summen von den meisten
Genossenschaften eine Bürgschaft verlangt. Die Darlehen werden von den
meisten Vereinen gegen Schuldschein gewährt. Wechsel sind erst bei den
wenigsten Genossenschaften üblich, weil sie der Landbevölkerung noch gar nicht
bekannt und von ihr wie etwas Unheimliches gemieden werden. Die Dar-
lehnssuminen dürfen in Ratenzahlungen beglichen werden. Über die Höhe der
Raten und die Frist für die Rückzahlung bestimmen die einzelnen Vereins-
statuten; in Sachsen darf die jährlich zurückzuzahlende Summe nicht unter
1V Prozent des Darlehnsbetrags sein.

Außer diesem ihrem Hauptgeschäftszweige pflegen die landwirtschaftlichen
Genossenschaften mich eine Reihe von Nebenzweigen des bankmäßigen Betriebs
und wirken ans diesen Gebieten sehr segensreich. Dadurch, daß diese Vereine
den Sparkassenverkehr einrichteten, förderten sie nicht nur das wirtschaftliche


Grenzlwten II 1901
Die genossenschaftliche Rreditorganisatwn in der Landwirtschaft

fugnifse. Die Aufnahme neuer Mitglieder geschieht meist durch den Vorstand,
der auch die Ausschließung alter Mitglieder zu bestimmen hat. Es herrscht
eine sehr straffe Disziplin, sodaß von den Vereinsmitgliedern eine ebenso un¬
bedingte Unterwerfung unter die Autorität der Vereinsleitnng wie von den
Vereinen unter die der Zentralorganisation gefordert wird. Nur auf diese
Weise kauu ein geordneter Verkehr der Vereine mit den Verbandskassen und
dieser mit der Zentrale gewährleistet werden. Die Organe der Genossenschaft
sind der Vorstand, der Aufsichtsrat, die Generalversanunluug und der Rechner
oder Rendant, der einzige bezahlte Beamte des Vereins, der meist zugleich der
Schullehrer des Dorfes ist. Die Osfenbacher Genossenschaften zahlen ihren
Beamten allerdings auch keine festen Gehalte, gewähren ihnen aber eine Ver¬
gütung in Form von Sitzungsgeldern, Die Vereiusnntglieder sind in den
Gegenden mit durchweg kleinbäuerlichen Grundbesitz (in dem Raiffeisenscheu
Wirkungsgebiete), wo alle Teilnehmer dasselbe Risiko haben, unbeschränkt
haftbar; in den östlichen Gebieten, wo der Großgrundbesitz mit Kleingrund¬
besitz gemischt vorkommt, sind sie beschränkt haftbar; hier und da giebt es auch
Genossenschaften mit unbeschränkter Nachschußpslicht. Wo die beschränkte Haft-
Pflicht vorkommt, werden die Haftsummen abgestuft, entweder nach der Ein¬
kommensteuer wie in Pommern oder nach der Ergünzungssteuer wie in der
Provinz Sachsen.

Bevor ein Darlehn gegeben wird, soll der Vorstand den Verwendungs¬
zweck prüfen. Die Kasse muß jederzeit soviel flüssige Mittel haben, daß sie
allen an sie herantretenden Forderungen vollauf genügen t'ann auch darf kein
Mitglied vor dem andern bei der Gewährung von Darlehen bevorzugt werden.
Es muß aus diesem Grunde auf jeder Generalversammlung die Höhe des
Aktiv- und Passivkredits festgesetzt werden. Betrüge beispielsweise die Zahl
der Vereiusnntglieder hundert, und setzt die Versammlung den Aktivkredit, das
ist der Kredit, deu jedes Mitglied höchstens zu beanspruchen hat, ans 2000 Mark
fest, so beträgt der Passivkredit des Vereins 200000 Mark. Die Dauer der
Darlehen ist oft recht lang; jedoch wird bei größern Summen von den meisten
Genossenschaften eine Bürgschaft verlangt. Die Darlehen werden von den
meisten Vereinen gegen Schuldschein gewährt. Wechsel sind erst bei den
wenigsten Genossenschaften üblich, weil sie der Landbevölkerung noch gar nicht
bekannt und von ihr wie etwas Unheimliches gemieden werden. Die Dar-
lehnssuminen dürfen in Ratenzahlungen beglichen werden. Über die Höhe der
Raten und die Frist für die Rückzahlung bestimmen die einzelnen Vereins-
statuten; in Sachsen darf die jährlich zurückzuzahlende Summe nicht unter
1V Prozent des Darlehnsbetrags sein.

Außer diesem ihrem Hauptgeschäftszweige pflegen die landwirtschaftlichen
Genossenschaften mich eine Reihe von Nebenzweigen des bankmäßigen Betriebs
und wirken ans diesen Gebieten sehr segensreich. Dadurch, daß diese Vereine
den Sparkassenverkehr einrichteten, förderten sie nicht nur das wirtschaftliche


Grenzlwten II 1901
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[0449] Die genossenschaftliche Rreditorganisatwn in der Landwirtschaft fugnifse. Die Aufnahme neuer Mitglieder geschieht meist durch den Vorstand, der auch die Ausschließung alter Mitglieder zu bestimmen hat. Es herrscht eine sehr straffe Disziplin, sodaß von den Vereinsmitgliedern eine ebenso un¬ bedingte Unterwerfung unter die Autorität der Vereinsleitnng wie von den Vereinen unter die der Zentralorganisation gefordert wird. Nur auf diese Weise kauu ein geordneter Verkehr der Vereine mit den Verbandskassen und dieser mit der Zentrale gewährleistet werden. Die Organe der Genossenschaft sind der Vorstand, der Aufsichtsrat, die Generalversanunluug und der Rechner oder Rendant, der einzige bezahlte Beamte des Vereins, der meist zugleich der Schullehrer des Dorfes ist. Die Osfenbacher Genossenschaften zahlen ihren Beamten allerdings auch keine festen Gehalte, gewähren ihnen aber eine Ver¬ gütung in Form von Sitzungsgeldern, Die Vereiusnntglieder sind in den Gegenden mit durchweg kleinbäuerlichen Grundbesitz (in dem Raiffeisenscheu Wirkungsgebiete), wo alle Teilnehmer dasselbe Risiko haben, unbeschränkt haftbar; in den östlichen Gebieten, wo der Großgrundbesitz mit Kleingrund¬ besitz gemischt vorkommt, sind sie beschränkt haftbar; hier und da giebt es auch Genossenschaften mit unbeschränkter Nachschußpslicht. Wo die beschränkte Haft- Pflicht vorkommt, werden die Haftsummen abgestuft, entweder nach der Ein¬ kommensteuer wie in Pommern oder nach der Ergünzungssteuer wie in der Provinz Sachsen. Bevor ein Darlehn gegeben wird, soll der Vorstand den Verwendungs¬ zweck prüfen. Die Kasse muß jederzeit soviel flüssige Mittel haben, daß sie allen an sie herantretenden Forderungen vollauf genügen t'ann auch darf kein Mitglied vor dem andern bei der Gewährung von Darlehen bevorzugt werden. Es muß aus diesem Grunde auf jeder Generalversammlung die Höhe des Aktiv- und Passivkredits festgesetzt werden. Betrüge beispielsweise die Zahl der Vereiusnntglieder hundert, und setzt die Versammlung den Aktivkredit, das ist der Kredit, deu jedes Mitglied höchstens zu beanspruchen hat, ans 2000 Mark fest, so beträgt der Passivkredit des Vereins 200000 Mark. Die Dauer der Darlehen ist oft recht lang; jedoch wird bei größern Summen von den meisten Genossenschaften eine Bürgschaft verlangt. Die Darlehen werden von den meisten Vereinen gegen Schuldschein gewährt. Wechsel sind erst bei den wenigsten Genossenschaften üblich, weil sie der Landbevölkerung noch gar nicht bekannt und von ihr wie etwas Unheimliches gemieden werden. Die Dar- lehnssuminen dürfen in Ratenzahlungen beglichen werden. Über die Höhe der Raten und die Frist für die Rückzahlung bestimmen die einzelnen Vereins- statuten; in Sachsen darf die jährlich zurückzuzahlende Summe nicht unter 1V Prozent des Darlehnsbetrags sein. Außer diesem ihrem Hauptgeschäftszweige pflegen die landwirtschaftlichen Genossenschaften mich eine Reihe von Nebenzweigen des bankmäßigen Betriebs und wirken ans diesen Gebieten sehr segensreich. Dadurch, daß diese Vereine den Sparkassenverkehr einrichteten, förderten sie nicht nur das wirtschaftliche Grenzlwten II 1901

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/449>, abgerufen am 22.07.2024.