Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens So haben auch die modernen Italiener das Lustspiel sehr fein ausgebildet Die scharfe Beobachtungsgabe der Italiener hat auch eine Neigung in Der geistigen Lebendigkeit und Beweglichkeit entspricht eine beinahe nervöse Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens So haben auch die modernen Italiener das Lustspiel sehr fein ausgebildet Die scharfe Beobachtungsgabe der Italiener hat auch eine Neigung in Der geistigen Lebendigkeit und Beweglichkeit entspricht eine beinahe nervöse <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234945"/> <fw type="header" place="top"> Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens</fw><lb/> <p xml:id="ID_1213"> So haben auch die modernen Italiener das Lustspiel sehr fein ausgebildet<lb/> ^ man denke nur an Goldoni —, und sie haben eine Vorliebe für komische<lb/> Vortrüge bei jeder Gelegenheit. An einem wundervollen Nachmittage zu An¬<lb/> fang November 1899 machte ich — nicht zum erstenmal — die herrliche Fahrt<lb/> von Capri über Sorrento nach Neapel. Himmel, Meer und Land strahlten<lb/> in lichtem Glänze, in dunkelm Blau stand Cnpri, gelbgrün schimmerten die<lb/> steilen Felswände von Sorrent mit den hellen Häusern und den Orcmgcnwüldern<lb/> darüber, in violetten Sammet hüllte sich der elegante Kegel des furchtbaren<lb/> Vesuv über dem weißleuchtenden Stüdtekranz an seinem Fuße, und ich konnte<lb/> mich an all der Farben- und Formenpracht nicht satt sehen. Die Italiener<lb/> aber an Bord horchten mit größtem Interesse auf die komischen Gesangsvor-<lb/> trüge eines Quartetts, das allerdings nicht nur saug, sondern die Szenen bei-<lb/> nahe darstellte, und riefen ihr lautes draoi!</p><lb/> <p xml:id="ID_1214"> Die scharfe Beobachtungsgabe der Italiener hat auch eine Neigung in<lb/> ihnen entwickelt, die dem Fremden zuweilen unangenehm auffüllt und ihn wohl<lb/> mich zu falschen Urteilen über den Volkscharakter verleitet, die Neigung, andre,<lb/> namentlich Fremde, beim Handel zu übervorteilen. Dabei ist weniger Gewinn¬<lb/> sucht im Spiel, als das Gefühl der Überlegenheit über den schwerfälligem,<lb/> unbeholfnem Käufer, dessen Schwäche der Italiener sofort durchschaut und<lb/> selbstverständlich benützen will. Aber auch bei uns war noch vor vierzig oder<lb/> fünfzig Jahren im Kleinverkehr das „Handeln" üblich; der Verkäufer „schlug<lb/> vor," der Käufer fragte nach dem „genausten Preise," und im Großhandel,<lb/> im Börsenverkehr wird noch heute „gehandelt" und wird immer gehandelt<lb/> werden, denn so vollzieht sich eben die Preisbildung im großen. Versteht<lb/> man den Italiener zu nehmen, bietet man ihm etwa kaltblütig die Hälfte des<lb/> Geforderten, so steigt man sofort in seiner Achtung und kaun die Preisbildung<lb/> sehr zu seinen eignen Gunsten beeinflussen. Unter den Zeitgenossen des Horaz<lb/> gelten vor allem die Kleinkrämer und Schenkwirte, die oauxonss, für betrüge¬<lb/> rische Gesellen, wie Zöllner und Sünder im Neuen Testament zusammenfallen; er<lb/> verfehlt nicht, anzuerkennen, daß der Umschlagplatz Forum Appii vollgestopft<lb/> sei von solchen, und giebt dem vimxo als typischer Figur ohne weiteres als<lb/> selbstverständlich den Beisatz xsrüäuL.^)</p><lb/> <p xml:id="ID_1215" next="#ID_1216"> Der geistigen Lebendigkeit und Beweglichkeit entspricht eine beinahe nervöse<lb/> Erregbarkeit und Empfänglichkeit, die ebensowohl auf einer feinern<lb/> Organisation als auf der ältern Kultur beruhn mag. Daher kommt zunächst<lb/> das hitzige Aufbrausen. Bei Horaz ist der Hitzkopf, der osrsdrosus, eine<lb/> thpische Charakterfigur.^') Leicht giebt es homerische Schimpfreden: nnter leb¬<lb/> haftem Gezänk zwischen den Schiffern und den Sklaven der Reisenden voll¬<lb/> zieht sich die Einschiffung in den Ziehkahn bei Forum Appii; ^) ^„o Mist<lb/> dn hin, Halunke?" ruft auf der Via sacra den lustigen Schwätzer sein Gegner<lb/> an, und unter großem Geschrei schleppt er ihn mit sich fort.^) „Was willst<lb/> du, Narr?" muß sich Horaz schelten lassen, wenn er sich durchs Gedränge<lb/> arbeiten will.'") Das ist noch heute so. Mit einer Flut von Schimpfreden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0415]
Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens
So haben auch die modernen Italiener das Lustspiel sehr fein ausgebildet
^ man denke nur an Goldoni —, und sie haben eine Vorliebe für komische
Vortrüge bei jeder Gelegenheit. An einem wundervollen Nachmittage zu An¬
fang November 1899 machte ich — nicht zum erstenmal — die herrliche Fahrt
von Capri über Sorrento nach Neapel. Himmel, Meer und Land strahlten
in lichtem Glänze, in dunkelm Blau stand Cnpri, gelbgrün schimmerten die
steilen Felswände von Sorrent mit den hellen Häusern und den Orcmgcnwüldern
darüber, in violetten Sammet hüllte sich der elegante Kegel des furchtbaren
Vesuv über dem weißleuchtenden Stüdtekranz an seinem Fuße, und ich konnte
mich an all der Farben- und Formenpracht nicht satt sehen. Die Italiener
aber an Bord horchten mit größtem Interesse auf die komischen Gesangsvor-
trüge eines Quartetts, das allerdings nicht nur saug, sondern die Szenen bei-
nahe darstellte, und riefen ihr lautes draoi!
Die scharfe Beobachtungsgabe der Italiener hat auch eine Neigung in
ihnen entwickelt, die dem Fremden zuweilen unangenehm auffüllt und ihn wohl
mich zu falschen Urteilen über den Volkscharakter verleitet, die Neigung, andre,
namentlich Fremde, beim Handel zu übervorteilen. Dabei ist weniger Gewinn¬
sucht im Spiel, als das Gefühl der Überlegenheit über den schwerfälligem,
unbeholfnem Käufer, dessen Schwäche der Italiener sofort durchschaut und
selbstverständlich benützen will. Aber auch bei uns war noch vor vierzig oder
fünfzig Jahren im Kleinverkehr das „Handeln" üblich; der Verkäufer „schlug
vor," der Käufer fragte nach dem „genausten Preise," und im Großhandel,
im Börsenverkehr wird noch heute „gehandelt" und wird immer gehandelt
werden, denn so vollzieht sich eben die Preisbildung im großen. Versteht
man den Italiener zu nehmen, bietet man ihm etwa kaltblütig die Hälfte des
Geforderten, so steigt man sofort in seiner Achtung und kaun die Preisbildung
sehr zu seinen eignen Gunsten beeinflussen. Unter den Zeitgenossen des Horaz
gelten vor allem die Kleinkrämer und Schenkwirte, die oauxonss, für betrüge¬
rische Gesellen, wie Zöllner und Sünder im Neuen Testament zusammenfallen; er
verfehlt nicht, anzuerkennen, daß der Umschlagplatz Forum Appii vollgestopft
sei von solchen, und giebt dem vimxo als typischer Figur ohne weiteres als
selbstverständlich den Beisatz xsrüäuL.^)
Der geistigen Lebendigkeit und Beweglichkeit entspricht eine beinahe nervöse
Erregbarkeit und Empfänglichkeit, die ebensowohl auf einer feinern
Organisation als auf der ältern Kultur beruhn mag. Daher kommt zunächst
das hitzige Aufbrausen. Bei Horaz ist der Hitzkopf, der osrsdrosus, eine
thpische Charakterfigur.^') Leicht giebt es homerische Schimpfreden: nnter leb¬
haftem Gezänk zwischen den Schiffern und den Sklaven der Reisenden voll¬
zieht sich die Einschiffung in den Ziehkahn bei Forum Appii; ^) ^„o Mist
dn hin, Halunke?" ruft auf der Via sacra den lustigen Schwätzer sein Gegner
an, und unter großem Geschrei schleppt er ihn mit sich fort.^) „Was willst
du, Narr?" muß sich Horaz schelten lassen, wenn er sich durchs Gedränge
arbeiten will.'") Das ist noch heute so. Mit einer Flut von Schimpfreden
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