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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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wird. Dazu kommt dann, daß Agrarstreitigkeiten, die unter türkischer Herrschaft
zur Kompetenz der ordentlichen Gerichte gehörten, unter österreichischer den Ver¬
waltungsbehörden zur Entscheidung überwiese" worden sind, was gleichfalls
zum Nachteil der Bauern nusschlagen muß. Man wird kaum leugnen können,
daß man hier eine rein fiskalische, also recht kurzsichtige Behandlung der Agrar¬
frage in Bosnien und der Herzegowina dnrch die österreichische Regierung vor
sich hat. Von der Schaffung eines tüchtigen freien Bauernstandes, wie sie
Herzog Wilhelm geplant hatte, und wie sie bei der Indolenz der Südslawen anch
ohnedem schwierig genng wäre, ist man anch noch dadurch weiter abgekommen,
daß man den Bauern, der als Höriger früher in patriarchalischer Natural¬
wirtschaft mit dem Gutsherrn zusammen lebte, zum Pächter herabgedriickt hat,
dem nicht einmal der Schutz des Richters in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen
zusteht.

Daß diese Verschlimmerung ihrer Lage eine große Mißstimmung in weiten
Kreisen der serbische" orthodoxen Bevölkerung gegen den katholischen Kaiser¬
staat erzeugt hat, das kann man ans der Jmmediateiugabe böhmischer Bauern
an den Kaiser von 1897 klar ersehen, und Nikaschinowitsch giebt dieser Ver¬
stimmung sehr unzweideutigen Ausdruck. Ju den schärfsten Worten beschwert
er sich über die Bedrückung der orthodoxen Serben wie der Muhammedaner,
über eine unerhörte Proselytenmncherei der katholischen Propaganda. Er ruft
die brüderliche Teilnahme der slawischen Nachbarvölker an. Indem er Serbiens
sämtliche Mißerfolge der Hinneigung Milans zu Österreich zuschreibt, das
Fiasko der österreichischen Politik in Bulgarien darzuthun sucht und Montenegro,
dessen Fürst nitida ein Ideal aller Serben ist, gegen den Kaiserstaat aufzu-
hetzen sich bemüht, muntert er auf zur Schaffung eines slawischen Balkanbnndes,
der für sich immer einen Schutz bei dein mächtigen Rußland finden werde, dem
bluts- und konfessionsverwandten Lande, dem von der ganzen Welt Ehrfurcht
erwiesen werde.

Den: Notschrei eines, wie es scheint, aus Österreich geflüchteten Lehrers
an einer höhern Landeslehranstalt in Neljevo und seinem Hilferuf an die
slawischen Völker der Balkanhalbinsel und an den Glaubens- und National¬
protektor Rußland könnte man versucht sein weniger Gewicht beizumessen in
dem Gedanken daran, daß der Himmel hoch und der Zar fern ist, und in der
Erinnerung an die widerwärtige Klagcsucht der Bevölkerung von Bosnien und
der Herzegowina. Außerdem ist bekannt, daß alle diese Südslawen, vielleicht
mit alleiniger Ausnahme der stark mit turkotatarischem Blut untermischten
Vnlgaren, groß sind in Träumen und Worten und klein in Thaten. Einige
Bedeutung muß man der Sache aber doch wohl zusprechen, einerseits im Hin¬
blick ans die schwere innere Zerrüttung Österreichs, andrerseits deshalb, weil
in der That Österreich in Bosnien und in der Herzegowina die 1878 über-
nommne Kulturmission ^ trotz vieler und verdienstlicher Bemühungen nament¬
lich im vergangnen Jahrzehnt doch nur in bescheidnen Maße erfüllt hat,
und diesen Länder" in der Hauptsache, in der Agrarfrage, statt eines Fort-


wird. Dazu kommt dann, daß Agrarstreitigkeiten, die unter türkischer Herrschaft
zur Kompetenz der ordentlichen Gerichte gehörten, unter österreichischer den Ver¬
waltungsbehörden zur Entscheidung überwiese» worden sind, was gleichfalls
zum Nachteil der Bauern nusschlagen muß. Man wird kaum leugnen können,
daß man hier eine rein fiskalische, also recht kurzsichtige Behandlung der Agrar¬
frage in Bosnien und der Herzegowina dnrch die österreichische Regierung vor
sich hat. Von der Schaffung eines tüchtigen freien Bauernstandes, wie sie
Herzog Wilhelm geplant hatte, und wie sie bei der Indolenz der Südslawen anch
ohnedem schwierig genng wäre, ist man anch noch dadurch weiter abgekommen,
daß man den Bauern, der als Höriger früher in patriarchalischer Natural¬
wirtschaft mit dem Gutsherrn zusammen lebte, zum Pächter herabgedriickt hat,
dem nicht einmal der Schutz des Richters in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen
zusteht.

Daß diese Verschlimmerung ihrer Lage eine große Mißstimmung in weiten
Kreisen der serbische» orthodoxen Bevölkerung gegen den katholischen Kaiser¬
staat erzeugt hat, das kann man ans der Jmmediateiugabe böhmischer Bauern
an den Kaiser von 1897 klar ersehen, und Nikaschinowitsch giebt dieser Ver¬
stimmung sehr unzweideutigen Ausdruck. Ju den schärfsten Worten beschwert
er sich über die Bedrückung der orthodoxen Serben wie der Muhammedaner,
über eine unerhörte Proselytenmncherei der katholischen Propaganda. Er ruft
die brüderliche Teilnahme der slawischen Nachbarvölker an. Indem er Serbiens
sämtliche Mißerfolge der Hinneigung Milans zu Österreich zuschreibt, das
Fiasko der österreichischen Politik in Bulgarien darzuthun sucht und Montenegro,
dessen Fürst nitida ein Ideal aller Serben ist, gegen den Kaiserstaat aufzu-
hetzen sich bemüht, muntert er auf zur Schaffung eines slawischen Balkanbnndes,
der für sich immer einen Schutz bei dein mächtigen Rußland finden werde, dem
bluts- und konfessionsverwandten Lande, dem von der ganzen Welt Ehrfurcht
erwiesen werde.

Den: Notschrei eines, wie es scheint, aus Österreich geflüchteten Lehrers
an einer höhern Landeslehranstalt in Neljevo und seinem Hilferuf an die
slawischen Völker der Balkanhalbinsel und an den Glaubens- und National¬
protektor Rußland könnte man versucht sein weniger Gewicht beizumessen in
dem Gedanken daran, daß der Himmel hoch und der Zar fern ist, und in der
Erinnerung an die widerwärtige Klagcsucht der Bevölkerung von Bosnien und
der Herzegowina. Außerdem ist bekannt, daß alle diese Südslawen, vielleicht
mit alleiniger Ausnahme der stark mit turkotatarischem Blut untermischten
Vnlgaren, groß sind in Träumen und Worten und klein in Thaten. Einige
Bedeutung muß man der Sache aber doch wohl zusprechen, einerseits im Hin¬
blick ans die schwere innere Zerrüttung Österreichs, andrerseits deshalb, weil
in der That Österreich in Bosnien und in der Herzegowina die 1878 über-
nommne Kulturmission ^ trotz vieler und verdienstlicher Bemühungen nament¬
lich im vergangnen Jahrzehnt doch nur in bescheidnen Maße erfüllt hat,
und diesen Länder» in der Hauptsache, in der Agrarfrage, statt eines Fort-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/402>, abgerufen am 22.07.2024.