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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Ausdehnung der Schöffengerichte

Schritts zum Teil wenigstens eher einen Rückschritt gebracht hat, der nicht nur
dort selbst bittere Unzufriedenheit erzeugt, sondern ans der ganzen überwiegend
ackerbautreibenden Balkanhnlbinscl Österreichs Ansehe" nnr vermindern und
L. A. Letz er schädigen kann.




Ausdehnung der Schöffengerichte

lie Strafgerichtsbarkeit erster Instanz ist in den Neichsprozeß-
gesetzcn sehr buntscheckig geregelt. Über die leichten Fälle ent¬
scheiden Schöffengerichte, bestehend ans einem rechtsgelehrten
Richter als Vorsitzenden und zwei Laien als Beisitzern, die
! schwerern Fälle werden von den Strafkammern der Landgerichte
abgeurteilt, die nnr mit Juristen besetzt sind, und in das Urteil über die
schwersten teilen sich zwölf Geschworne, also wieder Laien, und drei Juristen
so, daß jeder Teil seine Funktionen für sich ausübt. Dazu kommt anßer-
ordentlicherweise noch, daß die Aburteilung des Hoch- und Landesverrats gegen
das Reich dein Reichsgericht obliegt, und daß in den süddeutschen Staaten
"die Zuständigkeit der Schwurgerichte für die durch die Presse begangnen straf¬
baren Handlungen" von der Reichsgesetzgebung "unberührt" geblieben ist.

Diese Buntheit ist begreiflicherweise nicht das Ergebnis justizpolitischer
Erwägungen, sondern beruht auf staatspolitischem Kompromiß. Die Gründe
dafür wirken zum Teil noch nach. Polnische oder gallische Schöffen und Ge¬
schworne zu Richtern über Hoch- und Landesverrat gegen Deutschland einsetzen,
hieße den Bock zum Gärtner machen, und es wird ja bei uns außer Polen
und Französlingen vielleicht noch Leute geben, die diese "politischen" Ver¬
brechen ans dem Strafgesetzbuch entfernen möchten, aber sie werden ebensowenig
wie die Beteiligten selber leugnen können, daß diesen unter deu Juristen keine
bessern und unparteiischern Richter gegeben werden konnten als die Mitglieder
unsers höchsten Gerichtshofs. Und wenn das süddeutsche Reservatrecht in Preß-
fachen weniger stichhaltig sein mag, so würde doch seine politische Anfechtung
die erbittertsten Kampfe hervorrufen; gerade die Gegner werden das zu dem
vielen, was uns trennt, nicht hinzufügen wollen. Anders steht es mit den
Normalfällen der Strafrechtspflege. Dn haben sich die Ansichten geklärt, die
Frage, ob Juristen-, Schössen- oder Schwurgericht, wird weit weniger als
spezifisch politisch angesehen, und der Umstand, daß der Reichstag eine Straf-
Prozeßnovelle vorgelegt erhalte" hat, fordert dazu auf, auch diese Frage zu
Prüfen und eine zweckmäßigere Lösung anzuregen.

Mir ist noch kein Jurist vorgekommen, der ein überzeugter Anhänger der
Schwurgerichte gewesen wäre. Manche Anwälte haben als Verteidiger lieber


Ausdehnung der Schöffengerichte

Schritts zum Teil wenigstens eher einen Rückschritt gebracht hat, der nicht nur
dort selbst bittere Unzufriedenheit erzeugt, sondern ans der ganzen überwiegend
ackerbautreibenden Balkanhnlbinscl Österreichs Ansehe» nnr vermindern und
L. A. Letz er schädigen kann.




Ausdehnung der Schöffengerichte

lie Strafgerichtsbarkeit erster Instanz ist in den Neichsprozeß-
gesetzcn sehr buntscheckig geregelt. Über die leichten Fälle ent¬
scheiden Schöffengerichte, bestehend ans einem rechtsgelehrten
Richter als Vorsitzenden und zwei Laien als Beisitzern, die
! schwerern Fälle werden von den Strafkammern der Landgerichte
abgeurteilt, die nnr mit Juristen besetzt sind, und in das Urteil über die
schwersten teilen sich zwölf Geschworne, also wieder Laien, und drei Juristen
so, daß jeder Teil seine Funktionen für sich ausübt. Dazu kommt anßer-
ordentlicherweise noch, daß die Aburteilung des Hoch- und Landesverrats gegen
das Reich dein Reichsgericht obliegt, und daß in den süddeutschen Staaten
„die Zuständigkeit der Schwurgerichte für die durch die Presse begangnen straf¬
baren Handlungen" von der Reichsgesetzgebung „unberührt" geblieben ist.

Diese Buntheit ist begreiflicherweise nicht das Ergebnis justizpolitischer
Erwägungen, sondern beruht auf staatspolitischem Kompromiß. Die Gründe
dafür wirken zum Teil noch nach. Polnische oder gallische Schöffen und Ge¬
schworne zu Richtern über Hoch- und Landesverrat gegen Deutschland einsetzen,
hieße den Bock zum Gärtner machen, und es wird ja bei uns außer Polen
und Französlingen vielleicht noch Leute geben, die diese „politischen" Ver¬
brechen ans dem Strafgesetzbuch entfernen möchten, aber sie werden ebensowenig
wie die Beteiligten selber leugnen können, daß diesen unter deu Juristen keine
bessern und unparteiischern Richter gegeben werden konnten als die Mitglieder
unsers höchsten Gerichtshofs. Und wenn das süddeutsche Reservatrecht in Preß-
fachen weniger stichhaltig sein mag, so würde doch seine politische Anfechtung
die erbittertsten Kampfe hervorrufen; gerade die Gegner werden das zu dem
vielen, was uns trennt, nicht hinzufügen wollen. Anders steht es mit den
Normalfällen der Strafrechtspflege. Dn haben sich die Ansichten geklärt, die
Frage, ob Juristen-, Schössen- oder Schwurgericht, wird weit weniger als
spezifisch politisch angesehen, und der Umstand, daß der Reichstag eine Straf-
Prozeßnovelle vorgelegt erhalte» hat, fordert dazu auf, auch diese Frage zu
Prüfen und eine zweckmäßigere Lösung anzuregen.

Mir ist noch kein Jurist vorgekommen, der ein überzeugter Anhänger der
Schwurgerichte gewesen wäre. Manche Anwälte haben als Verteidiger lieber


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[0403] Ausdehnung der Schöffengerichte Schritts zum Teil wenigstens eher einen Rückschritt gebracht hat, der nicht nur dort selbst bittere Unzufriedenheit erzeugt, sondern ans der ganzen überwiegend ackerbautreibenden Balkanhnlbinscl Österreichs Ansehe» nnr vermindern und L. A. Letz er schädigen kann. Ausdehnung der Schöffengerichte lie Strafgerichtsbarkeit erster Instanz ist in den Neichsprozeß- gesetzcn sehr buntscheckig geregelt. Über die leichten Fälle ent¬ scheiden Schöffengerichte, bestehend ans einem rechtsgelehrten Richter als Vorsitzenden und zwei Laien als Beisitzern, die ! schwerern Fälle werden von den Strafkammern der Landgerichte abgeurteilt, die nnr mit Juristen besetzt sind, und in das Urteil über die schwersten teilen sich zwölf Geschworne, also wieder Laien, und drei Juristen so, daß jeder Teil seine Funktionen für sich ausübt. Dazu kommt anßer- ordentlicherweise noch, daß die Aburteilung des Hoch- und Landesverrats gegen das Reich dein Reichsgericht obliegt, und daß in den süddeutschen Staaten „die Zuständigkeit der Schwurgerichte für die durch die Presse begangnen straf¬ baren Handlungen" von der Reichsgesetzgebung „unberührt" geblieben ist. Diese Buntheit ist begreiflicherweise nicht das Ergebnis justizpolitischer Erwägungen, sondern beruht auf staatspolitischem Kompromiß. Die Gründe dafür wirken zum Teil noch nach. Polnische oder gallische Schöffen und Ge¬ schworne zu Richtern über Hoch- und Landesverrat gegen Deutschland einsetzen, hieße den Bock zum Gärtner machen, und es wird ja bei uns außer Polen und Französlingen vielleicht noch Leute geben, die diese „politischen" Ver¬ brechen ans dem Strafgesetzbuch entfernen möchten, aber sie werden ebensowenig wie die Beteiligten selber leugnen können, daß diesen unter deu Juristen keine bessern und unparteiischern Richter gegeben werden konnten als die Mitglieder unsers höchsten Gerichtshofs. Und wenn das süddeutsche Reservatrecht in Preß- fachen weniger stichhaltig sein mag, so würde doch seine politische Anfechtung die erbittertsten Kampfe hervorrufen; gerade die Gegner werden das zu dem vielen, was uns trennt, nicht hinzufügen wollen. Anders steht es mit den Normalfällen der Strafrechtspflege. Dn haben sich die Ansichten geklärt, die Frage, ob Juristen-, Schössen- oder Schwurgericht, wird weit weniger als spezifisch politisch angesehen, und der Umstand, daß der Reichstag eine Straf- Prozeßnovelle vorgelegt erhalte» hat, fordert dazu auf, auch diese Frage zu Prüfen und eine zweckmäßigere Lösung anzuregen. Mir ist noch kein Jurist vorgekommen, der ein überzeugter Anhänger der Schwurgerichte gewesen wäre. Manche Anwälte haben als Verteidiger lieber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/403>, abgerufen am 22.07.2024.