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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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U)ohnungs- und Bodenpolitik

an sich und allein, der den Zusammenbruch heraufbeschwor. Treitschke hat
Recht, auch in Bezug auf die wirtschaftspolitische Lage, wenn er sagt: "Das
historische Urteil vermag nicht abzusehen, wie die Demütigungen von 1806 der
alten Monarchie hätten erspart werden sollen. Nur die durchschlagende Be¬
weiskraft des Kriegs konnte dein verblendeten Geschlecht den innern Verfall
jener friederizianischen Formen zeigen, die durch den Zauber des Ruhms alle
Thatkraft verloren hatte." Wie konnte es anders sein? Hundert Jahre am
Gängelbande, wie Voigt sie uns geschildert hat, und wie sie auch auf allen
andern Gebieten des wirtschaftlichen Lebens verlaufen waren, müssen solche
Folgen haben. Wahrhaftig nicht nur im Recht war das neue Geschlecht, sondern
hohes Lob hat es verdient auch von dem jungen Geschlecht von 1900, wenn
es, wie Treitschke sagt, nach 1806 im Gegensatz zum friederizianischcn System
alles entfernen wollte, was den Einzelnen bisher hinderte, den Wohlstand zu
erwerben, den er nach dem Maße seiner Kräfte zu erwerben fähig war. Es
wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Zustände in Berlin an der vorletzten
Jahrhundertwende, wenn die Männer, die nach dem Kriege berufen waren,
den Gewerbestand in die Höhe zu bringen, darüber klagten, daß in der Haupt¬
stadt BauuNvvllenfabrikanten mit hundert bis zweihundert Stühlen nur mit
Mühe ihre Namen schreiben, Bücher nicht führen könnten und bei jeder Stockung
im Geschäft nichts andres zu sagen wüßten, als daß die Regierung ihr ab¬
helfen müsse, und daß überhaupt nur wenig Bedeutendes zu sehen sei, was uicht
aus der unmittelbarsten Einwirkung der Staatsbehörde" hervorgezogen wäre,
und auch dabei sich nicht fast ganz auf die von ihr ausgesuchten und aufgestellten
Muster beschränkte.

Und das sollten sich unsre jungen archivalischen Nationalökonomen, wie
schon, angedeutet worden ist, doch auch immer vor Augen halten, daß die Wirt¬
schaftspolitik der preußisch-deutschen Hohenzollern mit ihrem so arg verketzerten
sogenannten Individualismus im neunzehnten Jahrhundert thatsächlich auf Er¬
folge zurücksehen kann, die denen des achtzehnten Jahrhunderts gewiß um nichts
nachstehn, auch im Berliner Wirtschaftsleben. Die Entwicklung der städtischen
Bevölkerung, Industrie und Steuerkraft ist so gewaltig gediehen, die Macht¬
mittel des Staats und des Reichs sind dadurch so erfreulich gewachsen, wie
es im merkantilistischen Zeitalter kaum jemand geträumt hat. Die Großmacht
ist zur Weltmacht, die Großstadt zur Weltstadt geworden. Und wo viel Licht
ist, da ist auch viel Schatten. Das ist auch im achtzehnten Jahrhundert reichlich
so gewesen wie im neunzehnten Jahrhundert, und es wird wohl auch im
zwanzigsten so bleibe". Dabei wolle man sich auch wieder ein wenig daran
zu erinner" anfangen, daß Friedrich der Große aus dem brandenburgisch-
preußischcn Polizeistaat und der despotischen Willkürherrschaft des umoisn
rvAiine den Rechtsstaat Preußen geschaffen und sich damit denn doch auch ein
"soziales" Verdienst erworben hat, das sehr hoch emporragt über alle seine
Berliner Ballten miteinander. In dem Rechtsstaat, den er geschaffen hat, war
für die despotische Wohnungs- und Baupolitik seines NaterS kein Platz mehr,


U)ohnungs- und Bodenpolitik

an sich und allein, der den Zusammenbruch heraufbeschwor. Treitschke hat
Recht, auch in Bezug auf die wirtschaftspolitische Lage, wenn er sagt: „Das
historische Urteil vermag nicht abzusehen, wie die Demütigungen von 1806 der
alten Monarchie hätten erspart werden sollen. Nur die durchschlagende Be¬
weiskraft des Kriegs konnte dein verblendeten Geschlecht den innern Verfall
jener friederizianischen Formen zeigen, die durch den Zauber des Ruhms alle
Thatkraft verloren hatte." Wie konnte es anders sein? Hundert Jahre am
Gängelbande, wie Voigt sie uns geschildert hat, und wie sie auch auf allen
andern Gebieten des wirtschaftlichen Lebens verlaufen waren, müssen solche
Folgen haben. Wahrhaftig nicht nur im Recht war das neue Geschlecht, sondern
hohes Lob hat es verdient auch von dem jungen Geschlecht von 1900, wenn
es, wie Treitschke sagt, nach 1806 im Gegensatz zum friederizianischcn System
alles entfernen wollte, was den Einzelnen bisher hinderte, den Wohlstand zu
erwerben, den er nach dem Maße seiner Kräfte zu erwerben fähig war. Es
wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Zustände in Berlin an der vorletzten
Jahrhundertwende, wenn die Männer, die nach dem Kriege berufen waren,
den Gewerbestand in die Höhe zu bringen, darüber klagten, daß in der Haupt¬
stadt BauuNvvllenfabrikanten mit hundert bis zweihundert Stühlen nur mit
Mühe ihre Namen schreiben, Bücher nicht führen könnten und bei jeder Stockung
im Geschäft nichts andres zu sagen wüßten, als daß die Regierung ihr ab¬
helfen müsse, und daß überhaupt nur wenig Bedeutendes zu sehen sei, was uicht
aus der unmittelbarsten Einwirkung der Staatsbehörde» hervorgezogen wäre,
und auch dabei sich nicht fast ganz auf die von ihr ausgesuchten und aufgestellten
Muster beschränkte.

Und das sollten sich unsre jungen archivalischen Nationalökonomen, wie
schon, angedeutet worden ist, doch auch immer vor Augen halten, daß die Wirt¬
schaftspolitik der preußisch-deutschen Hohenzollern mit ihrem so arg verketzerten
sogenannten Individualismus im neunzehnten Jahrhundert thatsächlich auf Er¬
folge zurücksehen kann, die denen des achtzehnten Jahrhunderts gewiß um nichts
nachstehn, auch im Berliner Wirtschaftsleben. Die Entwicklung der städtischen
Bevölkerung, Industrie und Steuerkraft ist so gewaltig gediehen, die Macht¬
mittel des Staats und des Reichs sind dadurch so erfreulich gewachsen, wie
es im merkantilistischen Zeitalter kaum jemand geträumt hat. Die Großmacht
ist zur Weltmacht, die Großstadt zur Weltstadt geworden. Und wo viel Licht
ist, da ist auch viel Schatten. Das ist auch im achtzehnten Jahrhundert reichlich
so gewesen wie im neunzehnten Jahrhundert, und es wird wohl auch im
zwanzigsten so bleibe». Dabei wolle man sich auch wieder ein wenig daran
zu erinner» anfangen, daß Friedrich der Große aus dem brandenburgisch-
preußischcn Polizeistaat und der despotischen Willkürherrschaft des umoisn
rvAiine den Rechtsstaat Preußen geschaffen und sich damit denn doch auch ein
„soziales" Verdienst erworben hat, das sehr hoch emporragt über alle seine
Berliner Ballten miteinander. In dem Rechtsstaat, den er geschaffen hat, war
für die despotische Wohnungs- und Baupolitik seines NaterS kein Platz mehr,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/360>, abgerufen am 03.07.2024.