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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Wohimngs- und Bodenpolitik

das kraftvolle Eingreifen der preußischen Könige, ein gut Stück Sozialismus,
seitdem aber der privatkapitalistische Individualismus."

Was mit solchen Sätzen, mögen sie mehr oder weniger schlagwortartig
formuliert sein, wissenschaftlich und praktisch gedient sein soll, ist mir nicht recht
begreiflich. Zunächst hat es doch nur mit sehr viel Einschränkungen und Vor¬
behalten Sinn, die mcrkautilistische Wvhnungs- und Bodenpolitik des acht¬
zehnten Jahrhunderts als ein Stück Sozialismus oder mit Voigt selbst als
Staatssozialismus zu bezeichnen. Was ist dann nicht alles Sozialismus? In
vielen Stücken schlägt dieser Merkantilismus den allerwesentlichsten Postulaten
jedes Sozialismus, der den Namen verdient, ins Gesicht. Es könnte fast so
scheinen, als wenn die jungen Herren Kathedersozialisten ihre Farbe durch einige
reaktionäre Streiflichter -- man nehme das Wort ohne Parteibedeutung --
etwas annehmbarer, sozusagen regierungsfähiger zu machen wünschten. Adolf
Wagner -- klüger als sie -- hat kürzlich in einem im Kreise der Boden¬
reformer über "Wohnungsnot und städtische Vodenfrage" gehaltnen Vortrage
sehr energisch gegen die weite Anwendung des Worts Sozialismus protestiert.
Er will das, was die Herren wollen, vielmehr "Anknüpfungen an ältere Rechts¬
formen" genannt wissen. Für was alle schwärmen, Wagner wie Voigt und
Mangoldt, das ist: radikaler Bruch mit der Wirtschaftspolitik des neunzehnten
Jahrhunderts; weg mit dem, was seit Stein-Hnrdenberg als klug und weise,
gerecht und nützlich gegolten hat. Das klingt natürlich den sehr mächtigen
Parteien, Klassen und Cliquen, die in Preußen seit neunzig Jahren der Devise:
"Zurück hinter Stein-Hardenberg" gehuldigt haben, als herrliche Melodie in
den Ohren, und es kann nicht fehlen, daß jener nationalökonomische Historismus
den waschechter, im engsten Sinne des Worts so zu nennenden altpreußischen
Reaktionären auch praktisch einen gewaltigen Vorspann leistet, mögen es die,
die den Merkantilismus des achtzehnten Säkulums so volltönend besingen,
wollen oder nicht.

Man wird dabei, glaube ich, dem bösen neunzehnten Jahrhundert denn
doch viel weniger gerecht, als man von einem gewissenhaften Historiker und von
einem nüchternen Volkswirt, auch einem konservativen, erwarten sollte. Die un¬
sterblichen Verdienste, das in der That anfeuernde, glänzende Beispiel der branden¬
burgisch-preußischen Regenten vom Dreißigjährigen bis zu den Napoleonischen
Kriegen wird durch die Anerkennung der Thatsache wahrlich nicht verkleinert,
daß mit dem Zusammenbruch des alten Preußens am Anfang des vorigen
Jahrhunderts auch das Merkantilshstem zusammenbrach, weil es auch alt,
morsch, unhaltbar, bankerott geworden war. Das an sich bewundernswerte
Gebäude des Polizeistaats jener großen Regenten trug in sich den Todeskeim,
der sich vielleicht in Preußen um so kräftiger entwickelte, als so kräftige Herrscher
so lange auch für das wirtschaftliche Gedeihen ihrer Unterthanen grundsätzlich in
jeder Beziehung sorgten. Es war die Erziehung zur fortschreitenden Unmündig¬
keit und Unselbständigkeit des Volks, dnrch die das alte Regime den Sturz in
kommenden Stürmen unvermeidlich gemacht hatte. Es war nicht der Krieg


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das kraftvolle Eingreifen der preußischen Könige, ein gut Stück Sozialismus,
seitdem aber der privatkapitalistische Individualismus."

Was mit solchen Sätzen, mögen sie mehr oder weniger schlagwortartig
formuliert sein, wissenschaftlich und praktisch gedient sein soll, ist mir nicht recht
begreiflich. Zunächst hat es doch nur mit sehr viel Einschränkungen und Vor¬
behalten Sinn, die mcrkautilistische Wvhnungs- und Bodenpolitik des acht¬
zehnten Jahrhunderts als ein Stück Sozialismus oder mit Voigt selbst als
Staatssozialismus zu bezeichnen. Was ist dann nicht alles Sozialismus? In
vielen Stücken schlägt dieser Merkantilismus den allerwesentlichsten Postulaten
jedes Sozialismus, der den Namen verdient, ins Gesicht. Es könnte fast so
scheinen, als wenn die jungen Herren Kathedersozialisten ihre Farbe durch einige
reaktionäre Streiflichter — man nehme das Wort ohne Parteibedeutung —
etwas annehmbarer, sozusagen regierungsfähiger zu machen wünschten. Adolf
Wagner — klüger als sie — hat kürzlich in einem im Kreise der Boden¬
reformer über „Wohnungsnot und städtische Vodenfrage" gehaltnen Vortrage
sehr energisch gegen die weite Anwendung des Worts Sozialismus protestiert.
Er will das, was die Herren wollen, vielmehr „Anknüpfungen an ältere Rechts¬
formen" genannt wissen. Für was alle schwärmen, Wagner wie Voigt und
Mangoldt, das ist: radikaler Bruch mit der Wirtschaftspolitik des neunzehnten
Jahrhunderts; weg mit dem, was seit Stein-Hnrdenberg als klug und weise,
gerecht und nützlich gegolten hat. Das klingt natürlich den sehr mächtigen
Parteien, Klassen und Cliquen, die in Preußen seit neunzig Jahren der Devise:
„Zurück hinter Stein-Hardenberg" gehuldigt haben, als herrliche Melodie in
den Ohren, und es kann nicht fehlen, daß jener nationalökonomische Historismus
den waschechter, im engsten Sinne des Worts so zu nennenden altpreußischen
Reaktionären auch praktisch einen gewaltigen Vorspann leistet, mögen es die,
die den Merkantilismus des achtzehnten Säkulums so volltönend besingen,
wollen oder nicht.

Man wird dabei, glaube ich, dem bösen neunzehnten Jahrhundert denn
doch viel weniger gerecht, als man von einem gewissenhaften Historiker und von
einem nüchternen Volkswirt, auch einem konservativen, erwarten sollte. Die un¬
sterblichen Verdienste, das in der That anfeuernde, glänzende Beispiel der branden¬
burgisch-preußischen Regenten vom Dreißigjährigen bis zu den Napoleonischen
Kriegen wird durch die Anerkennung der Thatsache wahrlich nicht verkleinert,
daß mit dem Zusammenbruch des alten Preußens am Anfang des vorigen
Jahrhunderts auch das Merkantilshstem zusammenbrach, weil es auch alt,
morsch, unhaltbar, bankerott geworden war. Das an sich bewundernswerte
Gebäude des Polizeistaats jener großen Regenten trug in sich den Todeskeim,
der sich vielleicht in Preußen um so kräftiger entwickelte, als so kräftige Herrscher
so lange auch für das wirtschaftliche Gedeihen ihrer Unterthanen grundsätzlich in
jeder Beziehung sorgten. Es war die Erziehung zur fortschreitenden Unmündig¬
keit und Unselbständigkeit des Volks, dnrch die das alte Regime den Sturz in
kommenden Stürmen unvermeidlich gemacht hatte. Es war nicht der Krieg


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[0359] Wohimngs- und Bodenpolitik das kraftvolle Eingreifen der preußischen Könige, ein gut Stück Sozialismus, seitdem aber der privatkapitalistische Individualismus." Was mit solchen Sätzen, mögen sie mehr oder weniger schlagwortartig formuliert sein, wissenschaftlich und praktisch gedient sein soll, ist mir nicht recht begreiflich. Zunächst hat es doch nur mit sehr viel Einschränkungen und Vor¬ behalten Sinn, die mcrkautilistische Wvhnungs- und Bodenpolitik des acht¬ zehnten Jahrhunderts als ein Stück Sozialismus oder mit Voigt selbst als Staatssozialismus zu bezeichnen. Was ist dann nicht alles Sozialismus? In vielen Stücken schlägt dieser Merkantilismus den allerwesentlichsten Postulaten jedes Sozialismus, der den Namen verdient, ins Gesicht. Es könnte fast so scheinen, als wenn die jungen Herren Kathedersozialisten ihre Farbe durch einige reaktionäre Streiflichter — man nehme das Wort ohne Parteibedeutung — etwas annehmbarer, sozusagen regierungsfähiger zu machen wünschten. Adolf Wagner — klüger als sie — hat kürzlich in einem im Kreise der Boden¬ reformer über „Wohnungsnot und städtische Vodenfrage" gehaltnen Vortrage sehr energisch gegen die weite Anwendung des Worts Sozialismus protestiert. Er will das, was die Herren wollen, vielmehr „Anknüpfungen an ältere Rechts¬ formen" genannt wissen. Für was alle schwärmen, Wagner wie Voigt und Mangoldt, das ist: radikaler Bruch mit der Wirtschaftspolitik des neunzehnten Jahrhunderts; weg mit dem, was seit Stein-Hnrdenberg als klug und weise, gerecht und nützlich gegolten hat. Das klingt natürlich den sehr mächtigen Parteien, Klassen und Cliquen, die in Preußen seit neunzig Jahren der Devise: „Zurück hinter Stein-Hardenberg" gehuldigt haben, als herrliche Melodie in den Ohren, und es kann nicht fehlen, daß jener nationalökonomische Historismus den waschechter, im engsten Sinne des Worts so zu nennenden altpreußischen Reaktionären auch praktisch einen gewaltigen Vorspann leistet, mögen es die, die den Merkantilismus des achtzehnten Säkulums so volltönend besingen, wollen oder nicht. Man wird dabei, glaube ich, dem bösen neunzehnten Jahrhundert denn doch viel weniger gerecht, als man von einem gewissenhaften Historiker und von einem nüchternen Volkswirt, auch einem konservativen, erwarten sollte. Die un¬ sterblichen Verdienste, das in der That anfeuernde, glänzende Beispiel der branden¬ burgisch-preußischen Regenten vom Dreißigjährigen bis zu den Napoleonischen Kriegen wird durch die Anerkennung der Thatsache wahrlich nicht verkleinert, daß mit dem Zusammenbruch des alten Preußens am Anfang des vorigen Jahrhunderts auch das Merkantilshstem zusammenbrach, weil es auch alt, morsch, unhaltbar, bankerott geworden war. Das an sich bewundernswerte Gebäude des Polizeistaats jener großen Regenten trug in sich den Todeskeim, der sich vielleicht in Preußen um so kräftiger entwickelte, als so kräftige Herrscher so lange auch für das wirtschaftliche Gedeihen ihrer Unterthanen grundsätzlich in jeder Beziehung sorgten. Es war die Erziehung zur fortschreitenden Unmündig¬ keit und Unselbständigkeit des Volks, dnrch die das alte Regime den Sturz in kommenden Stürmen unvermeidlich gemacht hatte. Es war nicht der Krieg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/359>, abgerufen am 22.07.2024.