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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Wohnnngs- und Bodenpolitik

Lage, in dem Standort der Gebäude." Wenn schon die bedingungslos frei
umsonst zu vollem Eigentum verschenkten Bauplätze und die Lieferung von
Baumaterial und eines Teils der Baukosten verbunden mit besondern Bau-
prämieu nicht geeignet sein konnten, die Grnndrentenbildung auszuschließen,
so erscheint mir der auf Staatskosten den Grundeigentümern "bedingungslos
geschenkte" Umbau alter einstöckiger Häuser in neue vierstöckige in der Innen¬
stadt eher das Gegenteil von einer Verhinderung der Grundrentenbildung ge¬
wesen zu sein. Durch das Verschenken von Bauplätzen und Häusern zu freiem
Privateigentum, ohne Beschränkung im Verkaufen und in der hypothekarischen
Belastung und ohne Festsetzung der Wohnungsmieten durch die Behörde, auch
Menn im öffentlichen Eigentum stehendes Gelände in nächster Nähe noch über¬
reichlich vorhanden ist, wird man in einer sich in hundert Jahren von der
Landstadt zur Großstadt aufwachsenden Residenz wohl zeitweise ein ungesundes
Wachsen der Bauplatzrente verhindern können, aber wenn man die Bauplatz-
rentenbildnng überhaupt aus der Großstadt ausschalten will -- und sie dauernd
unbeweglich machen, heißt dasselbe --, so muß man sich vor allem nicht scheuen,
auch die Beseitigung des Privateigentums am Grund und Boden zu verlangen;
dann darf man aber auch nicht in der Berliner Bodenpolitik des achtzehnten
Jahrhunderts dem zwanzigsten ein Beispiel vorhalten wollen, das zur Nach¬
ahmung anfeuern soll.

Es soll später noch auf die Frage: Grundrente und Privateigentum all
Grund und Boden zurückgekommen werden, wenn die beklagenswerten Extra¬
vaganzen in der Grnndrentenbildung im neunzehnten Jahrhundert besprochen
werden. Hier möchte ich nur kurz meinem aufrichtig und lebhaft empfundnen
Zweifel daran Ausdruck geben, ob dieses die Grundrente betreffende Ergebnis
der Voigtschen Untersuchung überhaupt einen wirtschaftspolitischen, d. h. einen
für die praktische Wohnungs- und Bodenpolitik in den Großstädten in der
Gegenwart und in der Zukunft wirklich schätzbaren Wert beanspruchen darf.
Damit wird ihren vorzüglichen Qualitäten als historische Studie nicht im ge¬
ringsten zu nahe getreten, und den kritisierten Mangel würde sie, wenn die Kritik
berechtigt ist, wohl mit sehr vielen, auch sehr bewunderten Leistungen der
modernen archivalisch-historischen Staatswissenschaft gemeinsam haben.

Der Verfasser faßt das Ergebnis seiner Untersuchungen über die merkanti-
listischc Periode dahin zusammen: "Vom Mittelalter bis zum Ausgang des
achtzehnten Jahrhunderts hat die Anlage und Erweiterung einer Stadt, die
Schaffung der Existenzgrundlage für die städtische Bevölkerung als eine im
eminentester Sinne öffentlich-rechtliche Angelegenheit und deshalb auch stets
als Aufgabe der städtischen oder staatlichen Gewalt gegolten, erst dem neun¬
zehnten Jahrhundert blieb es vorbehalten, die Schaffung der Existenzgrundlage
der ganzen Bevölkerung der privaten Spekulation zu überantworten." Herr
von Mangoldt fügt dem hinzu: "Oder um es schlagwortartig auszudrücken:
Bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts herrschte in der Berliner und
wohl überhaupt in der preußischen Städteentwicklung, gefördert namentlich durch


Wohnnngs- und Bodenpolitik

Lage, in dem Standort der Gebäude." Wenn schon die bedingungslos frei
umsonst zu vollem Eigentum verschenkten Bauplätze und die Lieferung von
Baumaterial und eines Teils der Baukosten verbunden mit besondern Bau-
prämieu nicht geeignet sein konnten, die Grnndrentenbildung auszuschließen,
so erscheint mir der auf Staatskosten den Grundeigentümern „bedingungslos
geschenkte" Umbau alter einstöckiger Häuser in neue vierstöckige in der Innen¬
stadt eher das Gegenteil von einer Verhinderung der Grundrentenbildung ge¬
wesen zu sein. Durch das Verschenken von Bauplätzen und Häusern zu freiem
Privateigentum, ohne Beschränkung im Verkaufen und in der hypothekarischen
Belastung und ohne Festsetzung der Wohnungsmieten durch die Behörde, auch
Menn im öffentlichen Eigentum stehendes Gelände in nächster Nähe noch über¬
reichlich vorhanden ist, wird man in einer sich in hundert Jahren von der
Landstadt zur Großstadt aufwachsenden Residenz wohl zeitweise ein ungesundes
Wachsen der Bauplatzrente verhindern können, aber wenn man die Bauplatz-
rentenbildnng überhaupt aus der Großstadt ausschalten will — und sie dauernd
unbeweglich machen, heißt dasselbe —, so muß man sich vor allem nicht scheuen,
auch die Beseitigung des Privateigentums am Grund und Boden zu verlangen;
dann darf man aber auch nicht in der Berliner Bodenpolitik des achtzehnten
Jahrhunderts dem zwanzigsten ein Beispiel vorhalten wollen, das zur Nach¬
ahmung anfeuern soll.

Es soll später noch auf die Frage: Grundrente und Privateigentum all
Grund und Boden zurückgekommen werden, wenn die beklagenswerten Extra¬
vaganzen in der Grnndrentenbildung im neunzehnten Jahrhundert besprochen
werden. Hier möchte ich nur kurz meinem aufrichtig und lebhaft empfundnen
Zweifel daran Ausdruck geben, ob dieses die Grundrente betreffende Ergebnis
der Voigtschen Untersuchung überhaupt einen wirtschaftspolitischen, d. h. einen
für die praktische Wohnungs- und Bodenpolitik in den Großstädten in der
Gegenwart und in der Zukunft wirklich schätzbaren Wert beanspruchen darf.
Damit wird ihren vorzüglichen Qualitäten als historische Studie nicht im ge¬
ringsten zu nahe getreten, und den kritisierten Mangel würde sie, wenn die Kritik
berechtigt ist, wohl mit sehr vielen, auch sehr bewunderten Leistungen der
modernen archivalisch-historischen Staatswissenschaft gemeinsam haben.

Der Verfasser faßt das Ergebnis seiner Untersuchungen über die merkanti-
listischc Periode dahin zusammen: „Vom Mittelalter bis zum Ausgang des
achtzehnten Jahrhunderts hat die Anlage und Erweiterung einer Stadt, die
Schaffung der Existenzgrundlage für die städtische Bevölkerung als eine im
eminentester Sinne öffentlich-rechtliche Angelegenheit und deshalb auch stets
als Aufgabe der städtischen oder staatlichen Gewalt gegolten, erst dem neun¬
zehnten Jahrhundert blieb es vorbehalten, die Schaffung der Existenzgrundlage
der ganzen Bevölkerung der privaten Spekulation zu überantworten." Herr
von Mangoldt fügt dem hinzu: „Oder um es schlagwortartig auszudrücken:
Bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts herrschte in der Berliner und
wohl überhaupt in der preußischen Städteentwicklung, gefördert namentlich durch


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[0358] Wohnnngs- und Bodenpolitik Lage, in dem Standort der Gebäude." Wenn schon die bedingungslos frei umsonst zu vollem Eigentum verschenkten Bauplätze und die Lieferung von Baumaterial und eines Teils der Baukosten verbunden mit besondern Bau- prämieu nicht geeignet sein konnten, die Grnndrentenbildung auszuschließen, so erscheint mir der auf Staatskosten den Grundeigentümern „bedingungslos geschenkte" Umbau alter einstöckiger Häuser in neue vierstöckige in der Innen¬ stadt eher das Gegenteil von einer Verhinderung der Grundrentenbildung ge¬ wesen zu sein. Durch das Verschenken von Bauplätzen und Häusern zu freiem Privateigentum, ohne Beschränkung im Verkaufen und in der hypothekarischen Belastung und ohne Festsetzung der Wohnungsmieten durch die Behörde, auch Menn im öffentlichen Eigentum stehendes Gelände in nächster Nähe noch über¬ reichlich vorhanden ist, wird man in einer sich in hundert Jahren von der Landstadt zur Großstadt aufwachsenden Residenz wohl zeitweise ein ungesundes Wachsen der Bauplatzrente verhindern können, aber wenn man die Bauplatz- rentenbildnng überhaupt aus der Großstadt ausschalten will — und sie dauernd unbeweglich machen, heißt dasselbe —, so muß man sich vor allem nicht scheuen, auch die Beseitigung des Privateigentums am Grund und Boden zu verlangen; dann darf man aber auch nicht in der Berliner Bodenpolitik des achtzehnten Jahrhunderts dem zwanzigsten ein Beispiel vorhalten wollen, das zur Nach¬ ahmung anfeuern soll. Es soll später noch auf die Frage: Grundrente und Privateigentum all Grund und Boden zurückgekommen werden, wenn die beklagenswerten Extra¬ vaganzen in der Grnndrentenbildung im neunzehnten Jahrhundert besprochen werden. Hier möchte ich nur kurz meinem aufrichtig und lebhaft empfundnen Zweifel daran Ausdruck geben, ob dieses die Grundrente betreffende Ergebnis der Voigtschen Untersuchung überhaupt einen wirtschaftspolitischen, d. h. einen für die praktische Wohnungs- und Bodenpolitik in den Großstädten in der Gegenwart und in der Zukunft wirklich schätzbaren Wert beanspruchen darf. Damit wird ihren vorzüglichen Qualitäten als historische Studie nicht im ge¬ ringsten zu nahe getreten, und den kritisierten Mangel würde sie, wenn die Kritik berechtigt ist, wohl mit sehr vielen, auch sehr bewunderten Leistungen der modernen archivalisch-historischen Staatswissenschaft gemeinsam haben. Der Verfasser faßt das Ergebnis seiner Untersuchungen über die merkanti- listischc Periode dahin zusammen: „Vom Mittelalter bis zum Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts hat die Anlage und Erweiterung einer Stadt, die Schaffung der Existenzgrundlage für die städtische Bevölkerung als eine im eminentester Sinne öffentlich-rechtliche Angelegenheit und deshalb auch stets als Aufgabe der städtischen oder staatlichen Gewalt gegolten, erst dem neun¬ zehnten Jahrhundert blieb es vorbehalten, die Schaffung der Existenzgrundlage der ganzen Bevölkerung der privaten Spekulation zu überantworten." Herr von Mangoldt fügt dem hinzu: „Oder um es schlagwortartig auszudrücken: Bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts herrschte in der Berliner und wohl überhaupt in der preußischen Städteentwicklung, gefördert namentlich durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/358>, abgerufen am 22.07.2024.