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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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<on>hnungs- und Bodenpolitik

und der gegebnen Situation entsprechend erachten, wenn sie auch in einzelnen
Fällen recht hart und ungerecht gewesen sein mögen."

Friedrich der Große hat bis zum Ende des siebenjährigen Kriegs die
Erweiterung der Stadt und die Bauthätigkeit in Berlin gar nicht vernach¬
lässigt, doch setzte die seiner Regierung charakteristische Baupolitik eigentlich
erst nach der Wiederherstellung des Friedens el", veranlaßt durch die infolge
eines immer empfindlicher gewordnen Wohnuugsmangels, nnter dem nament¬
lich die Offiziere litten, beginnenden Preistreibereien, sowohl bei den Miet- wie
bei den Bauplatzpreisen, dnrch die Grundbesitzer. Voigt glaubt die ganze Ban-
Politik der zweiten Hälfte seiner Regierung als "bewußten Kampf gegen das
Spekulantentum" charakterisiere" zu sollen. In einer Verordnung vom 15. April
1765 hob der König zunächst für die "Residenz Berlin die bisher beobachtete
gemeine Rechts-Regni: Kauf bricht Miete" auf, um dem Künfer das Recht
zu nehmen, "den Mieter, ungeachtet sein mit dem Verkäufer eingegangner
Kontrakt noch nicht zu Ende, nach Gefallen auszutreiben, oder vou ihn, ein
so hohes Mietequantnm durch die Drohung der Austreibung zu erzwingen, daß
Käufer sich dadurch entschädigt, ja gewonnen, wenn er auch das Haus weit
über seineu wahren Wert erkaufet." An demselben Tage befahl der König,
um "den, eingerissenen Wucher mit Häusern und der aufs höchste getriebnen
Steigerung der Mieter" noch wirksamer zu begegnen, daß außer denen, die
"wegen ihrer Bedienungen, nombreuser Familien oder starken Verkehrs große
Häuser allein zu bewohne" sich genötigt sehen, diejenigen Christlichen Parti-
culiers auch Juden, so die besten und größten Häuser an sich zu bringen Ge¬
legenheit gefunden haben, auch noch damit kontinniren, und dadurch guten
teils an der Steigerung der Mieter schuld sind, solche aus Übermut und
zur Üppigkeit nicht ferner allein bewohnen, sonder" so viel Familien, als nach
Beschaffenheit der Häuser füglich darin wohnen können, miethweise darin auf¬
nehmen möchten." Wenn sie sich dazu nicht gutwillig verstünde", so sollten
sie "durch rechtlichen Zwang" angehalten werden.

Ging der König schon in dieser Beziehung ohne Rücksicht auf das Ideal
des Einfamilienhauses vor, so zeigte er in seinen weitern positiven Maßnahmen
sogar eine gewisse Hinneigung zum Mietkaseruentum, über die sich unsre
Bodenreformer eigentlich entsetzen könnten. Obgleich er es in der Hand hatte,
an der Peripherie Neubauten zu veranlassen, griff er, wie Voigt sagt, doch
nicht zu dieser Maßregel, sondern er begann, um das Übel im Kern zu treffen,
die Wohnungen in der Innenstadt direkt zu vermehren, indem er die hier noch
zahlreich vorhandnen kleinen ein- bis zweistöckigen Häuser auf Staatskosten
dnrch große drei- bis vierstöckige Gehn'nde ersetzen ließ. In ganz erstaunlich
schnellem Tempo scheint der König mit diesen Neubauten vorgegangen zu
sein. Von 1769 bis 1777 wurden in der Innenstadt 149 Bürgerhäuser
auf Staatskosten neu errichtet und sämtlich an die bisherigen Besitzer der
Grundstücke "bedingungslos verschenkt." Von 1780 bis 1785 wurde allein
über eine Million Thaler für dieselben Zwecke ausgegeben. Neben der Absicht


<on>hnungs- und Bodenpolitik

und der gegebnen Situation entsprechend erachten, wenn sie auch in einzelnen
Fällen recht hart und ungerecht gewesen sein mögen."

Friedrich der Große hat bis zum Ende des siebenjährigen Kriegs die
Erweiterung der Stadt und die Bauthätigkeit in Berlin gar nicht vernach¬
lässigt, doch setzte die seiner Regierung charakteristische Baupolitik eigentlich
erst nach der Wiederherstellung des Friedens el», veranlaßt durch die infolge
eines immer empfindlicher gewordnen Wohnuugsmangels, nnter dem nament¬
lich die Offiziere litten, beginnenden Preistreibereien, sowohl bei den Miet- wie
bei den Bauplatzpreisen, dnrch die Grundbesitzer. Voigt glaubt die ganze Ban-
Politik der zweiten Hälfte seiner Regierung als „bewußten Kampf gegen das
Spekulantentum" charakterisiere» zu sollen. In einer Verordnung vom 15. April
1765 hob der König zunächst für die „Residenz Berlin die bisher beobachtete
gemeine Rechts-Regni: Kauf bricht Miete" auf, um dem Künfer das Recht
zu nehmen, „den Mieter, ungeachtet sein mit dem Verkäufer eingegangner
Kontrakt noch nicht zu Ende, nach Gefallen auszutreiben, oder vou ihn, ein
so hohes Mietequantnm durch die Drohung der Austreibung zu erzwingen, daß
Käufer sich dadurch entschädigt, ja gewonnen, wenn er auch das Haus weit
über seineu wahren Wert erkaufet." An demselben Tage befahl der König,
um „den, eingerissenen Wucher mit Häusern und der aufs höchste getriebnen
Steigerung der Mieter" noch wirksamer zu begegnen, daß außer denen, die
„wegen ihrer Bedienungen, nombreuser Familien oder starken Verkehrs große
Häuser allein zu bewohne» sich genötigt sehen, diejenigen Christlichen Parti-
culiers auch Juden, so die besten und größten Häuser an sich zu bringen Ge¬
legenheit gefunden haben, auch noch damit kontinniren, und dadurch guten
teils an der Steigerung der Mieter schuld sind, solche aus Übermut und
zur Üppigkeit nicht ferner allein bewohnen, sonder» so viel Familien, als nach
Beschaffenheit der Häuser füglich darin wohnen können, miethweise darin auf¬
nehmen möchten." Wenn sie sich dazu nicht gutwillig verstünde», so sollten
sie „durch rechtlichen Zwang" angehalten werden.

Ging der König schon in dieser Beziehung ohne Rücksicht auf das Ideal
des Einfamilienhauses vor, so zeigte er in seinen weitern positiven Maßnahmen
sogar eine gewisse Hinneigung zum Mietkaseruentum, über die sich unsre
Bodenreformer eigentlich entsetzen könnten. Obgleich er es in der Hand hatte,
an der Peripherie Neubauten zu veranlassen, griff er, wie Voigt sagt, doch
nicht zu dieser Maßregel, sondern er begann, um das Übel im Kern zu treffen,
die Wohnungen in der Innenstadt direkt zu vermehren, indem er die hier noch
zahlreich vorhandnen kleinen ein- bis zweistöckigen Häuser auf Staatskosten
dnrch große drei- bis vierstöckige Gehn'nde ersetzen ließ. In ganz erstaunlich
schnellem Tempo scheint der König mit diesen Neubauten vorgegangen zu
sein. Von 1769 bis 1777 wurden in der Innenstadt 149 Bürgerhäuser
auf Staatskosten neu errichtet und sämtlich an die bisherigen Besitzer der
Grundstücke „bedingungslos verschenkt." Von 1780 bis 1785 wurde allein
über eine Million Thaler für dieselben Zwecke ausgegeben. Neben der Absicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/356>, abgerufen am 01.07.2024.