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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Mit den Buren im Felde

das Lager beleuchtet. Der Kommandant erscheint und stellt durch Zahlung
bei schärfster Kontrolle die Zahl der Flüchtigen fest. Er tobt und flucht und
droht alle Beteiligten erschießen zu lassen. Sein Adjutant ist der entschieden
Vernünftigere und bewahrt seinen Vorgesetzte" vor thörichtem Handeln. Einige
der Flüchtigen wurden wirklich eingefangen und wieder eingeliefert. Dieser
Versuch fiel in die letzte Zeit meines Aufenthalts in Simonstown.

Anfangs Mai wurde uns bekannt gegeben, daß wir, hauptsächlich die
Transvaalbürger und die Angehörigen der fremden Nationen, nach Se. Helena
gebracht würden, der Fluchtversuche wegen, sagte der Oberst. Einige Tage
später wurden wir ausgerufen und in zwei Extrazügen nach Kapstadt an den
Quai befördert, wo man uns, fünfhundert Mann, sofort in dem Lagerraum
eines großen Dampfschiffes unterbrachte. Die numme für uns warm entsetzlich
eng bemessen, die Temperatur schrecklich. Drei Tage blieb das Schiff auf der
Bai liege", sieben Tage dauerte die Überfahrt, drei Tage hielt das Schiff vor
Se. Helena, bis wir in Kriegsschiffspinassen an Land befördert wurden. Die
Schilderung unsers Lebens während dieser zwei Wochen unterbleibt besser. Es
ist mir die schrecklichste Erinnerung des ganzen Kriegs. In welchem Zustande
wir ankamen, mag daraus entnommen werden, daß wir zu unserm Marsch in
das Deadwoodlager fünf Stunden brauchten, auf einem Wege, den wir später,
als unsre Beine wieder kräftiger geworden waren, in zwei Stunden be¬
quem zurücklegten. So hatte die Behandlung auf dem Schiffe auf die Kräfte
unsers Körpers gewirkt. Das Lager auf Se. Helena, auf der Höhe dieses
Aschenkegels, unterschied sich in Größe und Anordnung nicht von dem bei
Simvnstown. Es war dem ewigen Südostwiud und den Wirkungen des täglich
niedergehenden Regens sehr ausgesetzt. Der Boden war immer feucht, und da
wir darauf schlafe" mußten und gegen die Einwirkung der Nässe "ur durch
eine wollne Decke geschützt Ware", so träte" bald Ruhr und Typhus auf.
Die Zelte waren furchtbar dicht belegt, zu zwölfe mußten wir in einem schlafen.
Eine zweite wollne Decke schützte uns nach oben, unsre zusammengerollten
Kleider lieferten das Kopfkissen. Am empfindlichsten war anfänglich der
Waffenmangel. Je zwölf Mann erhielten zum Trinken, Kochen und Waschen
einen Eimer voll Wasser; erst später wurde es auf unsre "nansgesetzten Be¬
schwerde" hin besser. Das Lager war von Stacheldraht umgeben, anfangs
nur von einem einzigen Zaune, an deu nicht herangetrete" werde" durfte,
später vo" el"em doppelten. Es war nämlich einer der Unsrigen, als er des
Morgens a" die dicht am Zan" stehende Abfallkiste gehn wollte, von einem
Posten erschossen worden. Natürlich erregte der Borfall bei uns furchtbare
Aufregung, die deu Engländern so gefährlich erschien, daß die Mnximkanonen
auf das Lager gerichtet und die Posten verstärkt wurden. Wohl mit Rücksicht
auf diesen Vorfall wurde ein zweiter Zaun errichtet. Der Zwischenraum
zwischen diesem und dem ersten hieß die äsaä uns (Totenlinie), und wer ihn
betrat, setzte sich der Gefahr ans, erschossen zu werde". Die Überwachung
des Lagers war überhaupt viel schärfer als i" Simonstoiv", obgleich mau


Grenzboten 11 1901 4L
Mit den Buren im Felde

das Lager beleuchtet. Der Kommandant erscheint und stellt durch Zahlung
bei schärfster Kontrolle die Zahl der Flüchtigen fest. Er tobt und flucht und
droht alle Beteiligten erschießen zu lassen. Sein Adjutant ist der entschieden
Vernünftigere und bewahrt seinen Vorgesetzte» vor thörichtem Handeln. Einige
der Flüchtigen wurden wirklich eingefangen und wieder eingeliefert. Dieser
Versuch fiel in die letzte Zeit meines Aufenthalts in Simonstown.

Anfangs Mai wurde uns bekannt gegeben, daß wir, hauptsächlich die
Transvaalbürger und die Angehörigen der fremden Nationen, nach Se. Helena
gebracht würden, der Fluchtversuche wegen, sagte der Oberst. Einige Tage
später wurden wir ausgerufen und in zwei Extrazügen nach Kapstadt an den
Quai befördert, wo man uns, fünfhundert Mann, sofort in dem Lagerraum
eines großen Dampfschiffes unterbrachte. Die numme für uns warm entsetzlich
eng bemessen, die Temperatur schrecklich. Drei Tage blieb das Schiff auf der
Bai liege», sieben Tage dauerte die Überfahrt, drei Tage hielt das Schiff vor
Se. Helena, bis wir in Kriegsschiffspinassen an Land befördert wurden. Die
Schilderung unsers Lebens während dieser zwei Wochen unterbleibt besser. Es
ist mir die schrecklichste Erinnerung des ganzen Kriegs. In welchem Zustande
wir ankamen, mag daraus entnommen werden, daß wir zu unserm Marsch in
das Deadwoodlager fünf Stunden brauchten, auf einem Wege, den wir später,
als unsre Beine wieder kräftiger geworden waren, in zwei Stunden be¬
quem zurücklegten. So hatte die Behandlung auf dem Schiffe auf die Kräfte
unsers Körpers gewirkt. Das Lager auf Se. Helena, auf der Höhe dieses
Aschenkegels, unterschied sich in Größe und Anordnung nicht von dem bei
Simvnstown. Es war dem ewigen Südostwiud und den Wirkungen des täglich
niedergehenden Regens sehr ausgesetzt. Der Boden war immer feucht, und da
wir darauf schlafe» mußten und gegen die Einwirkung der Nässe »ur durch
eine wollne Decke geschützt Ware», so träte» bald Ruhr und Typhus auf.
Die Zelte waren furchtbar dicht belegt, zu zwölfe mußten wir in einem schlafen.
Eine zweite wollne Decke schützte uns nach oben, unsre zusammengerollten
Kleider lieferten das Kopfkissen. Am empfindlichsten war anfänglich der
Waffenmangel. Je zwölf Mann erhielten zum Trinken, Kochen und Waschen
einen Eimer voll Wasser; erst später wurde es auf unsre »nansgesetzten Be¬
schwerde« hin besser. Das Lager war von Stacheldraht umgeben, anfangs
nur von einem einzigen Zaune, an deu nicht herangetrete» werde» durfte,
später vo» el»em doppelten. Es war nämlich einer der Unsrigen, als er des
Morgens a» die dicht am Zan» stehende Abfallkiste gehn wollte, von einem
Posten erschossen worden. Natürlich erregte der Borfall bei uns furchtbare
Aufregung, die deu Engländern so gefährlich erschien, daß die Mnximkanonen
auf das Lager gerichtet und die Posten verstärkt wurden. Wohl mit Rücksicht
auf diesen Vorfall wurde ein zweiter Zaun errichtet. Der Zwischenraum
zwischen diesem und dem ersten hieß die äsaä uns (Totenlinie), und wer ihn
betrat, setzte sich der Gefahr ans, erschossen zu werde». Die Überwachung
des Lagers war überhaupt viel schärfer als i» Simonstoiv», obgleich mau


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[0337] Mit den Buren im Felde das Lager beleuchtet. Der Kommandant erscheint und stellt durch Zahlung bei schärfster Kontrolle die Zahl der Flüchtigen fest. Er tobt und flucht und droht alle Beteiligten erschießen zu lassen. Sein Adjutant ist der entschieden Vernünftigere und bewahrt seinen Vorgesetzte» vor thörichtem Handeln. Einige der Flüchtigen wurden wirklich eingefangen und wieder eingeliefert. Dieser Versuch fiel in die letzte Zeit meines Aufenthalts in Simonstown. Anfangs Mai wurde uns bekannt gegeben, daß wir, hauptsächlich die Transvaalbürger und die Angehörigen der fremden Nationen, nach Se. Helena gebracht würden, der Fluchtversuche wegen, sagte der Oberst. Einige Tage später wurden wir ausgerufen und in zwei Extrazügen nach Kapstadt an den Quai befördert, wo man uns, fünfhundert Mann, sofort in dem Lagerraum eines großen Dampfschiffes unterbrachte. Die numme für uns warm entsetzlich eng bemessen, die Temperatur schrecklich. Drei Tage blieb das Schiff auf der Bai liege», sieben Tage dauerte die Überfahrt, drei Tage hielt das Schiff vor Se. Helena, bis wir in Kriegsschiffspinassen an Land befördert wurden. Die Schilderung unsers Lebens während dieser zwei Wochen unterbleibt besser. Es ist mir die schrecklichste Erinnerung des ganzen Kriegs. In welchem Zustande wir ankamen, mag daraus entnommen werden, daß wir zu unserm Marsch in das Deadwoodlager fünf Stunden brauchten, auf einem Wege, den wir später, als unsre Beine wieder kräftiger geworden waren, in zwei Stunden be¬ quem zurücklegten. So hatte die Behandlung auf dem Schiffe auf die Kräfte unsers Körpers gewirkt. Das Lager auf Se. Helena, auf der Höhe dieses Aschenkegels, unterschied sich in Größe und Anordnung nicht von dem bei Simvnstown. Es war dem ewigen Südostwiud und den Wirkungen des täglich niedergehenden Regens sehr ausgesetzt. Der Boden war immer feucht, und da wir darauf schlafe» mußten und gegen die Einwirkung der Nässe »ur durch eine wollne Decke geschützt Ware», so träte» bald Ruhr und Typhus auf. Die Zelte waren furchtbar dicht belegt, zu zwölfe mußten wir in einem schlafen. Eine zweite wollne Decke schützte uns nach oben, unsre zusammengerollten Kleider lieferten das Kopfkissen. Am empfindlichsten war anfänglich der Waffenmangel. Je zwölf Mann erhielten zum Trinken, Kochen und Waschen einen Eimer voll Wasser; erst später wurde es auf unsre »nansgesetzten Be¬ schwerde« hin besser. Das Lager war von Stacheldraht umgeben, anfangs nur von einem einzigen Zaune, an deu nicht herangetrete» werde» durfte, später vo» el»em doppelten. Es war nämlich einer der Unsrigen, als er des Morgens a» die dicht am Zan» stehende Abfallkiste gehn wollte, von einem Posten erschossen worden. Natürlich erregte der Borfall bei uns furchtbare Aufregung, die deu Engländern so gefährlich erschien, daß die Mnximkanonen auf das Lager gerichtet und die Posten verstärkt wurden. Wohl mit Rücksicht auf diesen Vorfall wurde ein zweiter Zaun errichtet. Der Zwischenraum zwischen diesem und dem ersten hieß die äsaä uns (Totenlinie), und wer ihn betrat, setzte sich der Gefahr ans, erschossen zu werde». Die Überwachung des Lagers war überhaupt viel schärfer als i» Simonstoiv», obgleich mau Grenzboten 11 1901 4L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/337>, abgerufen am 22.07.2024.