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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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hier hätte Milde walten lassen können. So war es eine thörichte, ja grau¬
same Bestimmung, daß man nur aller vierzehn Tage einen vier Seiten langen
Brief, kleines Format, zur Post aufgeben durfte; grausam für mich, grausam
für meine Angehörigen, am grausamsten für einen Familienvater. Im Lager
entstand nach und nach eine Stadt von 2500 Mann. Aus dein Blech der
Visluitknsten wurden ganze Häuser gebaut. Auch das Handwerk gedieh. Ich
erinnere mich vornehmlich eines Buren, der sich aus Blechbüchsen und Holz¬
stücken eine Windmühle baute, an die er eine selbst angefertigte Drehbank an¬
schloß. Mit staunenswerter Vollkommenheit verfertigte er aus Horn und aus
den Knochen der geschlachteten Ochsen die verschiedensten Gegenstände, die als
"Erinnerung an Se. Helena" auch durch die Engländer zu hohen Preisen gern
gekauft wurden.

Mir selbst war das Lagerleben verhaßt. Nur wenn an mich die Koch¬
wache kam, hatte ich Arbeit, und während dieser Zeit ist in mir auch das
Verständnis für die Sorgen einer Hausfrau um ihre Küche aufgegangen. Ich
zerbrach mir den Kopf, wie man in daS ewige Einerlei von o<it<ö8 und vorrnzä
dock, oornöä dost und vn-Kos Abwechslung hineinbringen könne. Selten gab
es Brot und frisches Fleisch, fast nie Gemüse, dazu kam die schreckliche .Knauserei
mit Wasser. War ich frei, so konnte ich nicht einmal spazieren gehn, denn
das Lager war bald so aufgeweicht, daß das Gehn in dem thatsächlich fu߬
hohen Schlamm ""möglich wurde. Ganz starke Naturen ließ auch dies kalt.
Ein deutscher Offizier. Oberst von Brum, der sich auf das ihm zustehende
Recht, spazieren geh" zu dürfe", berief, betrat, als el" Spaziergang innerhalb
des Lagers nicht mehr möglich war, die ckzg.'l tun, ""bekümmert um die
Androhungen des Erschießens dnrch die Posten. Diese meldete" de" Vor¬
fall dem englischen Obersten, dem Kommandeur des Lagers, der mit Oberst
von Brau" parlameutierte. Das Ergebnis war, daß Braun zu unsrer aller
Vergnügen täglich stolz wie ein Spanier auf der uns spazieren ging
zum Ärger der Posten. Auch zu einem Gesangverein, "Halbe Lunge," wie
er genannt wurde, Schwange" sich die Deutsche" auf. Wir kultivierte" de"
deutsche" Gesang von "Deutschland, Deutschland über alles" bis zur "Holz¬
auktion."

In dem Lager lernte ich allmählich allerlei Leute kennen, doch beschränkte
sich mein Verkehr hauptsächlich auf Deutsche. Für meine" inzwischen auf
Se. Helena eingetroffnen Kommandanten Oven Tom behielt ich meine Ver¬
ehrung bei; seine Neigung, Gottesdienst zu halten, störte leider etwas unser
sonst gutes Verhältnis. Er lud mich in väterlicher Zuneigung zu seinen
religiöse" Übungen immer besonders ein, und diese Einladungen waren häufig.
Mit dem Beginn des Gottesdiestes wartete er bis zu meineiu Erscheinen, und
er "'artete oft sehr lange, manchmal vergeblich. An dem offiziellen Gottes¬
dienst des Morgens und des Abends nahm ich regelmäßig und gern teil,
wenn aber bei dem ersten Morgengrauen, während ich noch im besten Schlafe
lag, ans jeden, der umliegende" Zelte el" andrer Choral angestimmt wurde,


hier hätte Milde walten lassen können. So war es eine thörichte, ja grau¬
same Bestimmung, daß man nur aller vierzehn Tage einen vier Seiten langen
Brief, kleines Format, zur Post aufgeben durfte; grausam für mich, grausam
für meine Angehörigen, am grausamsten für einen Familienvater. Im Lager
entstand nach und nach eine Stadt von 2500 Mann. Aus dein Blech der
Visluitknsten wurden ganze Häuser gebaut. Auch das Handwerk gedieh. Ich
erinnere mich vornehmlich eines Buren, der sich aus Blechbüchsen und Holz¬
stücken eine Windmühle baute, an die er eine selbst angefertigte Drehbank an¬
schloß. Mit staunenswerter Vollkommenheit verfertigte er aus Horn und aus
den Knochen der geschlachteten Ochsen die verschiedensten Gegenstände, die als
„Erinnerung an Se. Helena" auch durch die Engländer zu hohen Preisen gern
gekauft wurden.

Mir selbst war das Lagerleben verhaßt. Nur wenn an mich die Koch¬
wache kam, hatte ich Arbeit, und während dieser Zeit ist in mir auch das
Verständnis für die Sorgen einer Hausfrau um ihre Küche aufgegangen. Ich
zerbrach mir den Kopf, wie man in daS ewige Einerlei von o<it<ö8 und vorrnzä
dock, oornöä dost und vn-Kos Abwechslung hineinbringen könne. Selten gab
es Brot und frisches Fleisch, fast nie Gemüse, dazu kam die schreckliche .Knauserei
mit Wasser. War ich frei, so konnte ich nicht einmal spazieren gehn, denn
das Lager war bald so aufgeweicht, daß das Gehn in dem thatsächlich fu߬
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Ein deutscher Offizier. Oberst von Brum, der sich auf das ihm zustehende
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Androhungen des Erschießens dnrch die Posten. Diese meldete» de» Vor¬
fall dem englischen Obersten, dem Kommandeur des Lagers, der mit Oberst
von Brau» parlameutierte. Das Ergebnis war, daß Braun zu unsrer aller
Vergnügen täglich stolz wie ein Spanier auf der uns spazieren ging
zum Ärger der Posten. Auch zu einem Gesangverein, „Halbe Lunge," wie
er genannt wurde, Schwange» sich die Deutsche» auf. Wir kultivierte» de»
deutsche» Gesang von „Deutschland, Deutschland über alles" bis zur „Holz¬
auktion."

In dem Lager lernte ich allmählich allerlei Leute kennen, doch beschränkte
sich mein Verkehr hauptsächlich auf Deutsche. Für meine» inzwischen auf
Se. Helena eingetroffnen Kommandanten Oven Tom behielt ich meine Ver¬
ehrung bei; seine Neigung, Gottesdienst zu halten, störte leider etwas unser
sonst gutes Verhältnis. Er lud mich in väterlicher Zuneigung zu seinen
religiöse» Übungen immer besonders ein, und diese Einladungen waren häufig.
Mit dem Beginn des Gottesdiestes wartete er bis zu meineiu Erscheinen, und
er »'artete oft sehr lange, manchmal vergeblich. An dem offiziellen Gottes¬
dienst des Morgens und des Abends nahm ich regelmäßig und gern teil,
wenn aber bei dem ersten Morgengrauen, während ich noch im besten Schlafe
lag, ans jeden, der umliegende» Zelte el» andrer Choral angestimmt wurde,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/338>, abgerufen am 22.07.2024.