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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Mit den Luren im Felde

Als sich die Aufregung über die Gefangennahme der Croujischeu Armee
gelegt hatte, kehrte die alte Ordnung im Lager wieder ein. Wir waren sehr
zahlreich geworden, und die Zelte wurden eng belegt. Die Muße, die wir ge¬
nossen, brachte uus auf Fluchtversuche. An dreien war ich beteiligt. Das
erstemal wurde dicht bei den Gruben mit bloßen Händen ein unterirdischer
Gang nach einen: außerhalb der Lagerumfriediguug liegenden Busch gegraben.
Der Sand wurde in zugebundne Hosen gethan, nach den Zelten getragen und
dort sorgfältig ausgestreut. Da die Temperatur in dem Gang zum Ersticken
war, wurde all seinem Ende zur Durchlüftung eine zwei Finger starke Öffnung
gemacht. Schon war die Reihenfolge, in der wir in den Gang zur Flucht
in der nächsten Nacht hineingelassen werden sollten, durch das Los bestimmt,
als ein Foxterrier das Ganze vereitelte. Er schnupperte an der Luftöffnung,
fing an zu graben und verschwand plötzlich vor den Angen der Schildwache
in die Erde. Der Posten war leider neugierig und meldete sofort das Wahr-
gcnommnc. Unsre saure Arbeit war also umsonst gewesen.

Ein zweiter Versuch glückte zum Teil. Wir gingen gewöhnlich in großer
Anzahl baden. Der durch das Los zur Freiheit Bestimmte mußte sich dicht an
dein Abhang des steilen Badestrands hinlegen. Sein Gesicht wurde mit einem
Handtuch bedeckt, und dann wurde er leicht aber vollständig mit Sand zu¬
gedeckt und liege" gelassen. Nach Ablauf der Bndestundeu gingen nur übrigen
in das Lager zurück, und die Badeposten wurden eingezogen. Der Begrabne
konnte nun aufstehn. Er kroch vorsichtig an dem Ufer entlang, bis er eine
Stelle faud, wo er landeinwärts verschwinden konnte. Ich erinnere mich eines
Flüchtlings, der, so befreit, dicht an dem Lager vorbeiging, uns mit dem
Taschentuch ein "Lebewohl" zuwinkte. Viele kamen auf diesem Wege nicht
durch, denn eines schönen Tags, als wir das Unternehmen wieder geglückt
wähnten, erschien der Kommandant und grub eigenhändig den von uns so
liebevoll bedeckten Freund aus. Es gab eine große Untersuchung, die ergebnis¬
los verlief. Das Fehlen der Entkommncn hatten wir dadurch beim Zähle"
zu verschleiern gewußt, daß aus deu abgezahlten Zügen bestimmte Leute in
die durch Weggang entstandnen Lücken der noch nicht abgezählten Züge ein¬
traten und dadurch doppelt mitgezählt wurden.

Bei dem dritten Versuch erlangte eine größere Zahl Gefangner die
Freiheit. In der Mitte der einen Lagcrseite hatten wir eine Öffnung in die
Drahtnmfriedignng geschnitten. An einer Seite hing der Draht mit dein
Zaune so zusammen, daß der hernusgeschnittne Teil wie eine Thür geöffnet
und geschlossen werde" konnte. Bei eintretender Dunkelheit hielten dazu be¬
stimmte Leute die Schildwachen an den Ecken des Lagers fest, während Nur
in aufgelöster Reihenfolge durch die Öffnung krochen. Ich war Nummer
siebzehn und hatte meinen Kopf gerade in die Öffnung gesteckt, als mein
Vordermann von dem aufziehenden Wachtposten wahrgenommen und fest¬
gehalten wird. Sofort wird Alarm geblasen, und die Truppen treten n".
Die ganze Bui wird mit den Scheinwerfern der Kriegsschiffe abgesucht und


Mit den Luren im Felde

Als sich die Aufregung über die Gefangennahme der Croujischeu Armee
gelegt hatte, kehrte die alte Ordnung im Lager wieder ein. Wir waren sehr
zahlreich geworden, und die Zelte wurden eng belegt. Die Muße, die wir ge¬
nossen, brachte uus auf Fluchtversuche. An dreien war ich beteiligt. Das
erstemal wurde dicht bei den Gruben mit bloßen Händen ein unterirdischer
Gang nach einen: außerhalb der Lagerumfriediguug liegenden Busch gegraben.
Der Sand wurde in zugebundne Hosen gethan, nach den Zelten getragen und
dort sorgfältig ausgestreut. Da die Temperatur in dem Gang zum Ersticken
war, wurde all seinem Ende zur Durchlüftung eine zwei Finger starke Öffnung
gemacht. Schon war die Reihenfolge, in der wir in den Gang zur Flucht
in der nächsten Nacht hineingelassen werden sollten, durch das Los bestimmt,
als ein Foxterrier das Ganze vereitelte. Er schnupperte an der Luftöffnung,
fing an zu graben und verschwand plötzlich vor den Angen der Schildwache
in die Erde. Der Posten war leider neugierig und meldete sofort das Wahr-
gcnommnc. Unsre saure Arbeit war also umsonst gewesen.

Ein zweiter Versuch glückte zum Teil. Wir gingen gewöhnlich in großer
Anzahl baden. Der durch das Los zur Freiheit Bestimmte mußte sich dicht an
dein Abhang des steilen Badestrands hinlegen. Sein Gesicht wurde mit einem
Handtuch bedeckt, und dann wurde er leicht aber vollständig mit Sand zu¬
gedeckt und liege» gelassen. Nach Ablauf der Bndestundeu gingen nur übrigen
in das Lager zurück, und die Badeposten wurden eingezogen. Der Begrabne
konnte nun aufstehn. Er kroch vorsichtig an dem Ufer entlang, bis er eine
Stelle faud, wo er landeinwärts verschwinden konnte. Ich erinnere mich eines
Flüchtlings, der, so befreit, dicht an dem Lager vorbeiging, uns mit dem
Taschentuch ein „Lebewohl" zuwinkte. Viele kamen auf diesem Wege nicht
durch, denn eines schönen Tags, als wir das Unternehmen wieder geglückt
wähnten, erschien der Kommandant und grub eigenhändig den von uns so
liebevoll bedeckten Freund aus. Es gab eine große Untersuchung, die ergebnis¬
los verlief. Das Fehlen der Entkommncn hatten wir dadurch beim Zähle»
zu verschleiern gewußt, daß aus deu abgezahlten Zügen bestimmte Leute in
die durch Weggang entstandnen Lücken der noch nicht abgezählten Züge ein¬
traten und dadurch doppelt mitgezählt wurden.

Bei dem dritten Versuch erlangte eine größere Zahl Gefangner die
Freiheit. In der Mitte der einen Lagcrseite hatten wir eine Öffnung in die
Drahtnmfriedignng geschnitten. An einer Seite hing der Draht mit dein
Zaune so zusammen, daß der hernusgeschnittne Teil wie eine Thür geöffnet
und geschlossen werde» konnte. Bei eintretender Dunkelheit hielten dazu be¬
stimmte Leute die Schildwachen an den Ecken des Lagers fest, während Nur
in aufgelöster Reihenfolge durch die Öffnung krochen. Ich war Nummer
siebzehn und hatte meinen Kopf gerade in die Öffnung gesteckt, als mein
Vordermann von dem aufziehenden Wachtposten wahrgenommen und fest¬
gehalten wird. Sofort wird Alarm geblasen, und die Truppen treten n».
Die ganze Bui wird mit den Scheinwerfern der Kriegsschiffe abgesucht und


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[0336] Mit den Luren im Felde Als sich die Aufregung über die Gefangennahme der Croujischeu Armee gelegt hatte, kehrte die alte Ordnung im Lager wieder ein. Wir waren sehr zahlreich geworden, und die Zelte wurden eng belegt. Die Muße, die wir ge¬ nossen, brachte uus auf Fluchtversuche. An dreien war ich beteiligt. Das erstemal wurde dicht bei den Gruben mit bloßen Händen ein unterirdischer Gang nach einen: außerhalb der Lagerumfriediguug liegenden Busch gegraben. Der Sand wurde in zugebundne Hosen gethan, nach den Zelten getragen und dort sorgfältig ausgestreut. Da die Temperatur in dem Gang zum Ersticken war, wurde all seinem Ende zur Durchlüftung eine zwei Finger starke Öffnung gemacht. Schon war die Reihenfolge, in der wir in den Gang zur Flucht in der nächsten Nacht hineingelassen werden sollten, durch das Los bestimmt, als ein Foxterrier das Ganze vereitelte. Er schnupperte an der Luftöffnung, fing an zu graben und verschwand plötzlich vor den Angen der Schildwache in die Erde. Der Posten war leider neugierig und meldete sofort das Wahr- gcnommnc. Unsre saure Arbeit war also umsonst gewesen. Ein zweiter Versuch glückte zum Teil. Wir gingen gewöhnlich in großer Anzahl baden. Der durch das Los zur Freiheit Bestimmte mußte sich dicht an dein Abhang des steilen Badestrands hinlegen. Sein Gesicht wurde mit einem Handtuch bedeckt, und dann wurde er leicht aber vollständig mit Sand zu¬ gedeckt und liege» gelassen. Nach Ablauf der Bndestundeu gingen nur übrigen in das Lager zurück, und die Badeposten wurden eingezogen. Der Begrabne konnte nun aufstehn. Er kroch vorsichtig an dem Ufer entlang, bis er eine Stelle faud, wo er landeinwärts verschwinden konnte. Ich erinnere mich eines Flüchtlings, der, so befreit, dicht an dem Lager vorbeiging, uns mit dem Taschentuch ein „Lebewohl" zuwinkte. Viele kamen auf diesem Wege nicht durch, denn eines schönen Tags, als wir das Unternehmen wieder geglückt wähnten, erschien der Kommandant und grub eigenhändig den von uns so liebevoll bedeckten Freund aus. Es gab eine große Untersuchung, die ergebnis¬ los verlief. Das Fehlen der Entkommncn hatten wir dadurch beim Zähle» zu verschleiern gewußt, daß aus deu abgezahlten Zügen bestimmte Leute in die durch Weggang entstandnen Lücken der noch nicht abgezählten Züge ein¬ traten und dadurch doppelt mitgezählt wurden. Bei dem dritten Versuch erlangte eine größere Zahl Gefangner die Freiheit. In der Mitte der einen Lagcrseite hatten wir eine Öffnung in die Drahtnmfriedignng geschnitten. An einer Seite hing der Draht mit dein Zaune so zusammen, daß der hernusgeschnittne Teil wie eine Thür geöffnet und geschlossen werde» konnte. Bei eintretender Dunkelheit hielten dazu be¬ stimmte Leute die Schildwachen an den Ecken des Lagers fest, während Nur in aufgelöster Reihenfolge durch die Öffnung krochen. Ich war Nummer siebzehn und hatte meinen Kopf gerade in die Öffnung gesteckt, als mein Vordermann von dem aufziehenden Wachtposten wahrgenommen und fest¬ gehalten wird. Sofort wird Alarm geblasen, und die Truppen treten n». Die ganze Bui wird mit den Scheinwerfern der Kriegsschiffe abgesucht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/336>, abgerufen am 22.07.2024.