Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die ersten Lebenszeichen der Neuen Bachgesellschaft

fangsglied zu der praktischen Organisation bildet, deren die auf Wieder¬
belebung alter Tonkunst gerichteten Bestrebungen schon lange bedürfen. Die
Einsicht, daß es die Neudrucke allein nicht thun, scheint noch immer nur
wenigen klar zu sein, und die Bemühungen der uoch wenigen?, die nach ihr
seit Jahrzehnten thätig gewesen sind, haben nirgends ins Weite gewirkt. Was
und wer im heutigen Musikwesen beachtet werden will, muß mit Geräusch und
Ansprüchen auftrete". Dieser Notwendigkeit folgend, hat Chrysandcr seine
neuen Einrichtungen Händelscher Oratorien zuerst in Händelfesten vor die
Öffentlichkeit gebracht, und diesen, Beispiel will die Neue Bachgesellschaft mit
ihren Bachfesten folgen.

Das erste hat sie an Bachs Geburtstag anknüpfend, das hundertfünfzigste
Jahr seines Todes nachfeiernd, in den Tagen vom. 21. bis 23. März zu
Berlin mit drei Konzerten, einer Ausstellung und mit Zusammenkünften der
Besucher begangen.

Die Wahl Berlins als Festort begründet die von Kretzschmar verfaßte
Festschrift mit den Sätzen: "Daß diese Bachfeste in Berlin einsetzen dürfen,
hat nicht bloß wegen der musikalischen Mittel der Reichshauptstadt, die sogar
erlaubt haben, den Ausführungen eine Ausstellung hinzuzufügen, Wichtigkeit,
sondern darin kommt die Thatsache zum Ausdruck, daß Berlin an der Bach¬
bewegung von jeher die größtem Verdienste gehabt hat. Hier in Berlin lebte
mit den andern großen friedcrizianischen Erinnerungen Bachsche Kunst auch
in den Zeiten, wo sie für das andre Dentschland tot war. Hier wirkten Kirn-
berger, die Singakademie, Zelter, Pölchau, hier zeigte der junge Mendelssohn
kühn der erstaunten Welt, daß der als Fugenschmied und Rechenmeister ge-
fürchtete Bach ein Tondichter vom größten Maßstab war. Otilie Berlin hätten
wir heilte keinen Bach mehr, und much die Gesamtausgabe seiner Werke ist
zum ganz überwiegenden Teil Berliner Sammlungen, vor allem der .König¬
liche!, Bibliothek zu danken." Die Thatsache, daß Berlin in entscheidenden
Zeiten Hauptträger der Bachbewegung gewesen ist, läßt sich uicht bestreiten,
zu vervollständige" wäre sie vielleicht mit dem Hinweis, daß, wenigstens in
der romantischen Periode, israelitische Kreise die Führer und die besten Stützen
stellten. Das zu betonen verlangt die Gerechtigkeit, die lockende Untersuchung
der Gründe und Folgen dieser noch heute vorhandnen Hinneigung wäre eine
Sache für sich. Den für Berlin sprechenden Pietatsgrüuden standen aber sicherlich
auch Bedenken gegenüber, das stärkste in der Zerrissenheit des Berliner Musik¬
lebens. Das hat sich bei den. Bachfeste doch fühlbar gemacht.

In die Aufgabe hatten sich der Philharmonische Chor, die Königliche Hoch¬
schule für Musik und die Singakademie mit rühmlichsten Eifer und mit einer
ihren Dirigenten nicht genug zu dankenden Hingebung so geteilt, daß jedes der
drei Institute ein selbständiges Festkonzert durchführte. Der Philharmonische
Chor brachte am ersten Tage die drei .Kantaten: "Gott der Herr ist Sonn und
Schild," "Christ lag in Todesbanden," "O Ewigkeit, dn Donnerwort" und drzu
zwei Kanlatenbruchstücke, die Altarie: "Schlage doch, gewünschte Stunde" und den


Die ersten Lebenszeichen der Neuen Bachgesellschaft

fangsglied zu der praktischen Organisation bildet, deren die auf Wieder¬
belebung alter Tonkunst gerichteten Bestrebungen schon lange bedürfen. Die
Einsicht, daß es die Neudrucke allein nicht thun, scheint noch immer nur
wenigen klar zu sein, und die Bemühungen der uoch wenigen?, die nach ihr
seit Jahrzehnten thätig gewesen sind, haben nirgends ins Weite gewirkt. Was
und wer im heutigen Musikwesen beachtet werden will, muß mit Geräusch und
Ansprüchen auftrete». Dieser Notwendigkeit folgend, hat Chrysandcr seine
neuen Einrichtungen Händelscher Oratorien zuerst in Händelfesten vor die
Öffentlichkeit gebracht, und diesen, Beispiel will die Neue Bachgesellschaft mit
ihren Bachfesten folgen.

Das erste hat sie an Bachs Geburtstag anknüpfend, das hundertfünfzigste
Jahr seines Todes nachfeiernd, in den Tagen vom. 21. bis 23. März zu
Berlin mit drei Konzerten, einer Ausstellung und mit Zusammenkünften der
Besucher begangen.

Die Wahl Berlins als Festort begründet die von Kretzschmar verfaßte
Festschrift mit den Sätzen: „Daß diese Bachfeste in Berlin einsetzen dürfen,
hat nicht bloß wegen der musikalischen Mittel der Reichshauptstadt, die sogar
erlaubt haben, den Ausführungen eine Ausstellung hinzuzufügen, Wichtigkeit,
sondern darin kommt die Thatsache zum Ausdruck, daß Berlin an der Bach¬
bewegung von jeher die größtem Verdienste gehabt hat. Hier in Berlin lebte
mit den andern großen friedcrizianischen Erinnerungen Bachsche Kunst auch
in den Zeiten, wo sie für das andre Dentschland tot war. Hier wirkten Kirn-
berger, die Singakademie, Zelter, Pölchau, hier zeigte der junge Mendelssohn
kühn der erstaunten Welt, daß der als Fugenschmied und Rechenmeister ge-
fürchtete Bach ein Tondichter vom größten Maßstab war. Otilie Berlin hätten
wir heilte keinen Bach mehr, und much die Gesamtausgabe seiner Werke ist
zum ganz überwiegenden Teil Berliner Sammlungen, vor allem der .König¬
liche!, Bibliothek zu danken." Die Thatsache, daß Berlin in entscheidenden
Zeiten Hauptträger der Bachbewegung gewesen ist, läßt sich uicht bestreiten,
zu vervollständige« wäre sie vielleicht mit dem Hinweis, daß, wenigstens in
der romantischen Periode, israelitische Kreise die Führer und die besten Stützen
stellten. Das zu betonen verlangt die Gerechtigkeit, die lockende Untersuchung
der Gründe und Folgen dieser noch heute vorhandnen Hinneigung wäre eine
Sache für sich. Den für Berlin sprechenden Pietatsgrüuden standen aber sicherlich
auch Bedenken gegenüber, das stärkste in der Zerrissenheit des Berliner Musik¬
lebens. Das hat sich bei den. Bachfeste doch fühlbar gemacht.

In die Aufgabe hatten sich der Philharmonische Chor, die Königliche Hoch¬
schule für Musik und die Singakademie mit rühmlichsten Eifer und mit einer
ihren Dirigenten nicht genug zu dankenden Hingebung so geteilt, daß jedes der
drei Institute ein selbständiges Festkonzert durchführte. Der Philharmonische
Chor brachte am ersten Tage die drei .Kantaten: „Gott der Herr ist Sonn und
Schild," „Christ lag in Todesbanden," „O Ewigkeit, dn Donnerwort" und drzu
zwei Kanlatenbruchstücke, die Altarie: „Schlage doch, gewünschte Stunde" und den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234857"/>
          <fw type="header" place="top"> Die ersten Lebenszeichen der Neuen Bachgesellschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_958" prev="#ID_957"> fangsglied zu der praktischen Organisation bildet, deren die auf Wieder¬<lb/>
belebung alter Tonkunst gerichteten Bestrebungen schon lange bedürfen. Die<lb/>
Einsicht, daß es die Neudrucke allein nicht thun, scheint noch immer nur<lb/>
wenigen klar zu sein, und die Bemühungen der uoch wenigen?, die nach ihr<lb/>
seit Jahrzehnten thätig gewesen sind, haben nirgends ins Weite gewirkt. Was<lb/>
und wer im heutigen Musikwesen beachtet werden will, muß mit Geräusch und<lb/>
Ansprüchen auftrete». Dieser Notwendigkeit folgend, hat Chrysandcr seine<lb/>
neuen Einrichtungen Händelscher Oratorien zuerst in Händelfesten vor die<lb/>
Öffentlichkeit gebracht, und diesen, Beispiel will die Neue Bachgesellschaft mit<lb/>
ihren Bachfesten folgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_959"> Das erste hat sie an Bachs Geburtstag anknüpfend, das hundertfünfzigste<lb/>
Jahr seines Todes nachfeiernd, in den Tagen vom. 21. bis 23. März zu<lb/>
Berlin mit drei Konzerten, einer Ausstellung und mit Zusammenkünften der<lb/>
Besucher begangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_960"> Die Wahl Berlins als Festort begründet die von Kretzschmar verfaßte<lb/>
Festschrift mit den Sätzen: &#x201E;Daß diese Bachfeste in Berlin einsetzen dürfen,<lb/>
hat nicht bloß wegen der musikalischen Mittel der Reichshauptstadt, die sogar<lb/>
erlaubt haben, den Ausführungen eine Ausstellung hinzuzufügen, Wichtigkeit,<lb/>
sondern darin kommt die Thatsache zum Ausdruck, daß Berlin an der Bach¬<lb/>
bewegung von jeher die größtem Verdienste gehabt hat. Hier in Berlin lebte<lb/>
mit den andern großen friedcrizianischen Erinnerungen Bachsche Kunst auch<lb/>
in den Zeiten, wo sie für das andre Dentschland tot war. Hier wirkten Kirn-<lb/>
berger, die Singakademie, Zelter, Pölchau, hier zeigte der junge Mendelssohn<lb/>
kühn der erstaunten Welt, daß der als Fugenschmied und Rechenmeister ge-<lb/>
fürchtete Bach ein Tondichter vom größten Maßstab war. Otilie Berlin hätten<lb/>
wir heilte keinen Bach mehr, und much die Gesamtausgabe seiner Werke ist<lb/>
zum ganz überwiegenden Teil Berliner Sammlungen, vor allem der .König¬<lb/>
liche!, Bibliothek zu danken." Die Thatsache, daß Berlin in entscheidenden<lb/>
Zeiten Hauptträger der Bachbewegung gewesen ist, läßt sich uicht bestreiten,<lb/>
zu vervollständige« wäre sie vielleicht mit dem Hinweis, daß, wenigstens in<lb/>
der romantischen Periode, israelitische Kreise die Führer und die besten Stützen<lb/>
stellten. Das zu betonen verlangt die Gerechtigkeit, die lockende Untersuchung<lb/>
der Gründe und Folgen dieser noch heute vorhandnen Hinneigung wäre eine<lb/>
Sache für sich. Den für Berlin sprechenden Pietatsgrüuden standen aber sicherlich<lb/>
auch Bedenken gegenüber, das stärkste in der Zerrissenheit des Berliner Musik¬<lb/>
lebens.  Das hat sich bei den. Bachfeste doch fühlbar gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_961" next="#ID_962"> In die Aufgabe hatten sich der Philharmonische Chor, die Königliche Hoch¬<lb/>
schule für Musik und die Singakademie mit rühmlichsten Eifer und mit einer<lb/>
ihren Dirigenten nicht genug zu dankenden Hingebung so geteilt, daß jedes der<lb/>
drei Institute ein selbständiges Festkonzert durchführte. Der Philharmonische<lb/>
Chor brachte am ersten Tage die drei .Kantaten: &#x201E;Gott der Herr ist Sonn und<lb/>
Schild," &#x201E;Christ lag in Todesbanden," &#x201E;O Ewigkeit, dn Donnerwort" und drzu<lb/>
zwei Kanlatenbruchstücke, die Altarie: &#x201E;Schlage doch, gewünschte Stunde" und den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0327] Die ersten Lebenszeichen der Neuen Bachgesellschaft fangsglied zu der praktischen Organisation bildet, deren die auf Wieder¬ belebung alter Tonkunst gerichteten Bestrebungen schon lange bedürfen. Die Einsicht, daß es die Neudrucke allein nicht thun, scheint noch immer nur wenigen klar zu sein, und die Bemühungen der uoch wenigen?, die nach ihr seit Jahrzehnten thätig gewesen sind, haben nirgends ins Weite gewirkt. Was und wer im heutigen Musikwesen beachtet werden will, muß mit Geräusch und Ansprüchen auftrete». Dieser Notwendigkeit folgend, hat Chrysandcr seine neuen Einrichtungen Händelscher Oratorien zuerst in Händelfesten vor die Öffentlichkeit gebracht, und diesen, Beispiel will die Neue Bachgesellschaft mit ihren Bachfesten folgen. Das erste hat sie an Bachs Geburtstag anknüpfend, das hundertfünfzigste Jahr seines Todes nachfeiernd, in den Tagen vom. 21. bis 23. März zu Berlin mit drei Konzerten, einer Ausstellung und mit Zusammenkünften der Besucher begangen. Die Wahl Berlins als Festort begründet die von Kretzschmar verfaßte Festschrift mit den Sätzen: „Daß diese Bachfeste in Berlin einsetzen dürfen, hat nicht bloß wegen der musikalischen Mittel der Reichshauptstadt, die sogar erlaubt haben, den Ausführungen eine Ausstellung hinzuzufügen, Wichtigkeit, sondern darin kommt die Thatsache zum Ausdruck, daß Berlin an der Bach¬ bewegung von jeher die größtem Verdienste gehabt hat. Hier in Berlin lebte mit den andern großen friedcrizianischen Erinnerungen Bachsche Kunst auch in den Zeiten, wo sie für das andre Dentschland tot war. Hier wirkten Kirn- berger, die Singakademie, Zelter, Pölchau, hier zeigte der junge Mendelssohn kühn der erstaunten Welt, daß der als Fugenschmied und Rechenmeister ge- fürchtete Bach ein Tondichter vom größten Maßstab war. Otilie Berlin hätten wir heilte keinen Bach mehr, und much die Gesamtausgabe seiner Werke ist zum ganz überwiegenden Teil Berliner Sammlungen, vor allem der .König¬ liche!, Bibliothek zu danken." Die Thatsache, daß Berlin in entscheidenden Zeiten Hauptträger der Bachbewegung gewesen ist, läßt sich uicht bestreiten, zu vervollständige« wäre sie vielleicht mit dem Hinweis, daß, wenigstens in der romantischen Periode, israelitische Kreise die Führer und die besten Stützen stellten. Das zu betonen verlangt die Gerechtigkeit, die lockende Untersuchung der Gründe und Folgen dieser noch heute vorhandnen Hinneigung wäre eine Sache für sich. Den für Berlin sprechenden Pietatsgrüuden standen aber sicherlich auch Bedenken gegenüber, das stärkste in der Zerrissenheit des Berliner Musik¬ lebens. Das hat sich bei den. Bachfeste doch fühlbar gemacht. In die Aufgabe hatten sich der Philharmonische Chor, die Königliche Hoch¬ schule für Musik und die Singakademie mit rühmlichsten Eifer und mit einer ihren Dirigenten nicht genug zu dankenden Hingebung so geteilt, daß jedes der drei Institute ein selbständiges Festkonzert durchführte. Der Philharmonische Chor brachte am ersten Tage die drei .Kantaten: „Gott der Herr ist Sonn und Schild," „Christ lag in Todesbanden," „O Ewigkeit, dn Donnerwort" und drzu zwei Kanlatenbruchstücke, die Altarie: „Schlage doch, gewünschte Stunde" und den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/327
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/327>, abgerufen am 22.07.2024.